Graffiti des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Belgad
Reuters/Antonio Bronic
Von Investition bis Desinformation

Russisches Machtspiel auf dem Balkan

Seit Langem pflegt Russland enge Beziehungen zum Balkan, allen voran zu Serbien. Als Schnittstelle zwischen Ost und West ist die Region Schauplatz der Spannungen zwischen Russland und der EU. Gerade im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine setzt Russlands Präsident Wladimir Putin vor allem auf Destabilisierung – auch wenn sich einige Balkan-Länder von Moskau distanziert haben.

Nach den Jugoslawien-Kriegen vor mehr als zwei Jahrzehnten ist die geopolitische Lage auf dem Balkan noch immer angespannt. Zuletzt kam hinzu, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen wegen des Ukraine-Krieges verschlechtert haben. Annäherungsversuche der Balkan-Staaten an EU und NATO hat Russland immer wieder unterbunden und sich die herrschenden Spannungen zunutze gemacht, um seinen Einfluss zu sichern.

Dabei setzt Russland auch auf Desinformationskampagnen, um die Regionen zu destabilisieren. Diese basieren unter anderem auf einer Mischung aus offiziellen staatlichen Medienquellen, anonymen Websites und Accounts in sozialen Netzwerken. Erst im November startete etwa der staatliche russische Nachrichtensender Russia Today (RT) einen Onlinedienst in serbischer Sprache.

RT Balkan soll eine russlandfreundliche, „alternative“ Perspektive auf das regionale und weltweite Geschehen – auch auf den Ukraine-Krieg – bieten, hieß es in einer Ankündigung auf der RT-Website. Bis 2024 will RT Balkan auch entsprechende Fernsehdienste anbieten. In der EU wurde RT im Frühjahr 2022 als Teil der Sanktionen wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gesperrt.

Historische Verbindungen durch Kirche

Russlands Einfluss auf dem Balkan speist sich zu einem guten Teil aus den engen kulturellen, politischen und religiösen Verbindungen zur Region. Zwischen dem Einfluss des katholischen Westens und dem des islamischen Osmanischen Reichs positionierte sich Russland als Verbündeter und Förderer der orthodoxen christlichen Slawen.

Russische Einflussnahme passiert häufig inoffiziell über Stellvertreter – etwa durch Unterstützung von Vereinen, Schulen, Sportmannschaften, religiösen Zentren, Medien und Veteranengruppen. Die russisch-orthodoxe Kirche unterstützt überdies die serbisch-orthodoxe in ihrem Standpunkt, dass der Kosovo kein unabhängiger Staat sei.

Das ist freilich auch die offizielle serbische Position. Der Kosovo hatte früher zu Serbien gehört. Nach einer NATO-Intervention 1999 spaltete er sich ab und erklärte sich 2008 für unabhängig. Serbien ist bis heute nicht bereit, die Eigenstaatlichkeit des Kosovo anzuerkennen. Russland blockiert die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die Vereinten Nationen und positioniert sich damit auf der Seite Serbiens, was auch Russlands Beliebtheit bei der serbischen Bevölkerung steigert.

Russland sicherte Serbien immer wieder seine Unterstützung zu. „Wir haben sehr enge Beziehungen als Verbündete mit Serbien, historische und spirituelle“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Wir unterstützen Belgrad bei all seinen Maßnahmen, die ergriffen werden.“

Serbien in politischer Zwickmühle

All das führt dazu, dass Serbien landläufig als Putin-freundlich gilt – auch durch das gute Verhältnis von Präsident Aleksandar Vucic zum Kreml-Chef. Wenngleich Vucic selbst einen Schlingerkurs fährt, geht es doch auch um einen Beitritt zur Europäischen Union. Seit 2014 führt das Land Beitrittsverhandlungen mit der EU.

Wladimir Putin und Aleksandar Vucic
Reuters/Maxim Shipenkov
Putin hat seinen Amtskollegen Vucic nach einem Treffen in Belgrad 2019 mit dem Alexander-Newski-Orden ausgezeichnet

Doch Vucic distanziert sich zunehmend von Russland. Denn Putin verwende unter anderem die Unabhängigkeitsbestrebungen des Kosovo zur Rechtfertigung der Annexionsreferenden in der Ostukraine, was viele serbische Nationalisten verärgere, die darin eine Legitimierung der Ansprüche des Kosovo sähen, schreibt der Thinktank Council on Foreign Relations (CFR).

Gleichzeitig ist Serbien aber auch im Bereich der Energie von Russland abhängig. Während die EU auf ein umfassendes Verbot russischer Energielieferungen drängte, schloss Vucic stattdessen einen dreijährigen Gasliefervertrag mit Russland ab. Energie ist eines der, wenn nicht gar das wichtigste wirtschaftliche Instrument des russischen Einflusses. So erwarben russische Unternehmer etwa Anteile an wichtigen Unternehmen im Bereich der Stromerzeugung oder an Raffinerien.

Moskau setzt in seinen Bemühungen auch auf staatlich kontrollierte russische Unternehmen wie die Staatsbank Sberbank und den Energiekonzern Gasprom, die in der gesamten Region Investitionen tätigen.

NATO-Erweiterung als Streitpunkt

Auch in Bosnien und Herzegowina sind die durch den Ukraine-Krieg befeuerten Spannungen zwischen Russland und der EU nicht folgenlos geblieben. Seit dem Einmarsch in die Ukraine hat die EU-Friedensmission in Bosnien und Herzegowina (EUFOR) ihre Streitkräfte fast verdoppelt. Befürworter der NATO-Erweiterung sehen eine Chance, den Beitritt Bosniens und Herzegowinas zu beschleunigen.

Die beiden Entitäten des Staates Bosnien Herzegowina: die Republika Srpska und die Föderation von Bosnien und Herzegowina

Der Friedensvertrag von Dayton von 1995, der den Bosnienkrieg beendete, legte die Grundlage für den bis heute gültigen komplexen Staatsaufbau. Die Zentralregierung unterliegt einer dreiköpfigen Staatsführung – jeweils mit einem serbischen, kroatischen und bosniakischen Vertreter. Zudem ist das Land geteilt in zwei Entitäten – die Föderation Bosnien und Herzegowina mit einer mehrheitlich kroatischen und muslimischen (bosniakischen) Bevölkerung und die serbische Republika Srpska – sowie den Distrikt Brcko als Sonderverwaltungsgebiet.

Gerade vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise spielt der Umgang des Westens mit Bosnien-Herzegowina eine große Rolle. Denn die Beziehungen der Republika Srpska und ihres polternden Vertreters Milorad Dodik zu Putin sind sehr eng. Indem sich Russland auf die Seite der serbischen Separatisten stellt, nutzt es die Spannungen in Bosnien und Herzegowina auch aus, um die NATO-Osterweiterung zu unterbinden.

Für Putin stellt die Erweiterung eine Bedrohung dar. Er behauptet, dass der Westen sein Versprechen, auf eine Osterweiterung zu verzichten, gebrochen habe. Die engen Beziehungen zu den Balkan-Staaten sollen deren Beitritt zur NATO und zur EU verhindern – denn es geht auch um die Seemacht im Mittelmeerraum. Montenegro verfügte beispielsweise über die letzten Nicht-NATO-Häfen an der Adria, bevor es 2017 dem Bündnis beitrat.

Träge Reaktionen aus dem Westen

Auf längere Sicht soll Bosnien und Herzegowina auch Teil der EU werden. Mitte Dezember erhielt das Land den EU-Kandidatenstatus. Zwar bemüht sich die EU immer wieder um die Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Situation auf dem Balkan. Doch darin liege das Problem, schreibt der Thinktank CFR. Einige Kritiker meinten, dass sich das westliche Engagement zu sehr auf die Aufrechterhaltung der Stabilität konzentriere. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Institutionen komme zu kurz. Dadurch werde eine umfassendere Integration der Region nicht ermöglicht.

Die Verhandlungen zum Beitritt einiger Balkan-Staaten beziehungsweise zum Erhalt des Kandidatenstatus sind in den letzten Jahren eher stockend verlaufen. Das eröffnet wiederum Russland die Möglichkeit, sich stärker in der Region zu engagieren. Mit Kroatien ist 2013 zum vorerst letzten Mal ein Balkan-Land der EU beigetreten, wenngleich die meisten anderen Länder des westlichen Balkans als EU-Kandidaten gelten.