Demonstranten auf der Straße in Lima
APA/AFP/Ernesto Benavides
Castillo-Absetzung

Aufruhr offenbart tiefe Gräben in Peru

Nach der Eskalation des Machtkampfs zwischen dem linksgerichteten Präsidenten Pedro Castillo und dem Parlament kommt Peru nicht zur Ruhe. Castillo wurde vom Kongress des Amtes enthoben und von der Polizei festgenommen, nachdem er die Auflösung des Parlaments verkündet hatte. Doch die tiefen politischen Gräben des Landes reichen weiter.

Im ganzen Land sind seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Pedro Castillo und der Vereidigung der bisherigen Vizepräsidentin Dina Boluarte vergangene Woche Proteste ausgebrochen. Die Demonstrationen gegen die neue Präsidentin nahmen ihren Ausgang in den verarmten Gebieten im Süden Perus. Inzwischen weiteten sie sich aus, auch der internationale Flughafen in Arequipa wurde gestürmt.

Die Regierung geht gegen die Proteste vor, bei Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden bereits mehrere Demonstrierende getötet. Die peruanischen Streitkräfte werden die Kontrolle über den „Schutz“ wichtiger Infrastrukturen wie Flughäfen und Wasserkraftwerke übernehmen, sagte der Verteidigungsminister Alberto Otarola am Dienstag. Einen Tag später wurde ein landesweiter Ausnahmezustand ausgerufen. Er soll für 30 Tage gelten und die „Aussetzung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit“ beinhalten.

Polizisten und Demonstranten geraten aneinander
Reuters/Oswald Charca
Bei den Protesten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei

Die Proteste haben auch Auswirkungen auf viele Touristen und Touristinnen. Hunderte sitzen derzeit an der weltberühmten Inka-Stätte Machu Picchu fest. Zuvor war die Bahnstrecke zwischen der Weltkulturerbestätte und der Stadt Cusco gesperrt worden. Die gut hundert Kilometer lange Bahnstrecke ist der einfachste und meistgenutzte Weg, um zum Machu Picchu oder von ihm wieder wegzukommen. Als Grund für die Sperre hatte die peruanische Staatsbahn PeruRail Sicherheitsbedenken angegeben.

Holprige Amtszeit

Die Amtszeit des ersten peruanischen Präsidenten aus armen Verhältnissen war auch von diversen Meinungsverschiedenheiten und Disputen innerhalb des Kabinetts geprägt. Immer wieder räumten wichtige Minister ihre Posten, rund 80 Ministerinnen und Minister waren während den 17 Monaten unter Castillo insgesamt im Amt. Die Regierung des Linkspolitikers befand sich zudem in einem permanenten Machtkampf mit dem Parlament.

Vergangene Woche hatte Castillo dann versucht, das Parlament zu suspendieren, um einer Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen ihn zuvorzukommen, der sich aus mehreren Korruptionsvorwürfen gegen ihn ergab. Der Generalstaatsanwalt des Landes ermittelt in sechs Fällen, unter anderem wegen Einflussnahme bei Beförderungen im Militär und bei der Polizei sowie wegen Behinderung der Justiz.

Perus Ex-Präsident Castillo
AP/Martin Mejia
Schon während Castillos Amtszeit gab es immer wieder Machtkämpfe mit dem Parlament

Missglückter „Selbstputsch“

Castillo kündigte noch vor dem Misstrauensvotum an, per Dekret mit Notstandsbefugnissen zu regieren, und rief zu einer neuen Parlamentswahl auf. Doch innerhalb weniger Stunden seines Machtübernahmeversuchs stellten sich einige Ministerinnen und Minister und politische Verbündete – darunter auch seine Vizepräsidentin Boluarte – sowie die Streitkräfte und die Polizei gegen Castillo.

Sein Versuch, in die mexikanische Botschaft zu flüchten und dort Asyl zu beantragen, scheiterte an seinem eigenen Sicherheitsdienst, der den Wagen zu einer Polizeistation umleitete. Castillo wurde festgenommen, und das Parlament enthob ihn seines Amtes. Er sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft.

Castillo bleibt in Haft

Perus entmachteter Präsident Pedro Castillo bleibt vorerst in Haft. Ein Berufungsantrag wurde abgelehnt. Castillo wurde am vergangenen Mittwoch vom Parlament des Amtes enthoben und später festgenommen. Nun kam es zu Ausschreitungen.

In Peru ist es legal, das Parlament aufzulösen, wenn das Parlament dem Präsidenten oder der Präsidentin zweimal das Vertrauen verweigert. Das ist nicht passiert, weshalb Castillos Versuch als „Selbstputsch“ – ähnlich dem Staatsstreich von Alberto Fujimori 1992 – ausgelegt wird. Fujimori führte nach seinem Staatsstreich fast zehn Jahre ein autokratisches Regime in Peru.

Geteiltes Stimmungsbild nach Absetzung

Die Anhänger Castillos beschuldigen wiederum das Parlament, einen Staatsstreich gegen ihn inszeniert zu haben. Castillo wurde als erster Angehöriger der verarmten ländlichen Bevölkerung Präsident des Landes. Er ist der Sohn von Bauern und Analphabeten und arbeitete vor seiner Politkarriere als Dorfschullehrer.

Es gebe einen Hunger, an Castillo zu glauben, sagte Omar Coronel, Soziologieprofessor an der Päpstlichen Katholischen Universität Perus, dem „Guardian“. Es sei einfacher, an Castillo, den Gefangenen, Castillo, den Märtyrer, zu glauben als an Castillo, der von allen möglichen Korruptionsvorwürfen umgeben sei.

Perus Präsident Boluarte präsentiert ihr Kabinett
Reuters/Sebastian Castaneda
Nach der Absetzung Castillos hat die ehemalige Vizepräsidentin Boluarte mit ihrem Kabinett die Regierungsgeschäfte übernommen

International fallen die Reaktionen auf die Proteste gemischt aus. Mehrere lateinamerikanische Länder wie Chile und Brasilien zeigten sich über die Entwicklungen in Peru besorgt und riefen zu Ruhe, Besonnenheit und Vernunft auf. Mexiko, Argentinien, Bolivien und Kolumbien hingegen weigern sich, Boluarte als rechtmäßiges Staatsoberhaupt Perus anzuerkennen.

Hoffnung auf Veränderung geplatzt

Zwar könnten die Proteste rund um die Weihnachtsfeiertage abflauen, aber die grundlegenden Probleme, die den Unruhen zugrunde liegen, bleiben: Peru ist gezeichnet von einer tiefen Kluft zwischen der mächtigen Hauptstadt Lima und dem übrigen Land, das sich nach wie vor großteils mit Castillo identifiziert.

Viele Peruanerinnen und Peruaner vor allem aus ländlichen Regionen fühlen sich von den Institutionen und dem Parlament, das als korruptes Schlangennest angesehen wird, vernachlässigt. Mit Castillos Sieg in der Präsidentschaftswahl vergangenes Jahr glaubten sie an Veränderung im Land. Er hatte unter anderem auch eine neue Verfassung angekündigt und weitreichende Versprechen für die indigene Bevölkerung abgelegt.

Doch bald nach Amtsantritt gab der ehemalige Lehrer seine Versprechungen zu grundlegenden Veränderungen wieder auf. Während einige seiner Anhänger von den gebrochenen Versprechen enttäuscht sind, sehen viele von ihnen die Schuld für Castillos Scheitern beim korrupten Parlament.

Peru befindet sich seit Langem immer wieder in politischen Krisen. Seit 2000 sind bis auf eine Ausnahme alle gewählten Präsidenten abgesetzt oder verhaftet worden – außer Alan Garcia, der vor seiner Verhaftung Suizid beging.