Schreiner in einer Werkstatt
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Pilotprojekt in Gramatneusiedl

Jobgarantie gegen Existenzängste

Ein Recht auf Arbeit statt unbeantwortete Bewerbungsschreiben und Existenzängste: Das verspricht ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt des Arbeitsmarktservice (AMS) im niederösterreichischen Gramatneusiedl. Die erste Phase wurde soeben abgeschlossen und endete laut AMS vielversprechend. Die Teilnehmenden profitierten, die Langzeitarbeitslosigkeit ist trotz Freiwilligkeit deutlich zurückgegangen.

Bereits im Jahr 1933 setzten sich Forschende in Gramatneusiedl, damals noch Marienthal, mit den Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit auf die Gesellschaft und individuelle Gesundheit auseinander. Die viel zitierte Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel wurde zu einem frühen Klassiker der Soziologie und zeigte, dass Arbeit mehr als nur ein Einkommen bedeutet: Wenn sie fehlt, geht das für Betroffene oft mit Depressionen, Ängsten und dem Gefühl mangelnder Wertschätzung einher.

In einer neuen Studie sollte nun das Gegenteil untersucht werden: wie sich die Wirtschaft, die Gemeinschaft und das Leben der Menschen durch den Zugang zu garantierter Beschäftigung verändern.  Im Herbst 2020 beschloss das AMS Niederösterreich, ein Jobgarantieprogramm ins Leben zu rufen – eine Initiative, die Arbeitslosen Arbeit garantieren soll. Das auf bis zu 150 Personen ausgelegte Projekt läuft noch bis April 2024 und wird wissenschaftlich von den Universitäten Oxford und Wien begleitet.

Das Konzept einer Jobgarantie ist simpel: Alle, die arbeiten wollen, bekommen einen Job auf Staatskosten garantiert. Hier wird der Staat von sich aus aktiv und findet oder schafft öffentlich finanzierte Stellen für Arbeitslose, besonders für diejenigen, die wenig Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Eine gut ausgestaltete Jobgarantie ermöglicht es Menschen, einer sinnvollen und angemessen bezahlten Arbeit nachzugehen.

Langzeitarbeitslosigkeit im Ort beseitigt

Jeder, der seit neun Monaten oder länger arbeitslos ist, bekommt damit die Möglichkeit, einen garantierten bezahlten Arbeitsplatz anzunehmen. Bei den Teilnehmenden handle es sich vor allem um Personen, die es schwer hätten auf dem Arbeitsmarkt – etwa wegen gesundheitlicher oder familiärer Einschränkungen.

Archivbild der Studie aus dem Marienthal zur Arbeitslosigkeit
AGSÖ
1929/1930 sperrte eine Textilfabrik in Marienthal zu – zahlreiche Arbeitslose waren die Folge

Das Ergebnis: Durch das Pilotprojekt konnte die Langzeitarbeitslosigkeit im Bezirk Gramatneusiedl um 60 Prozent reduziert werden – erstaunlich, wie das AMS schreibt, „wenn man bedenkt, dass das Programm ausschließlich auf freiwilliger Basis durchgeführt wurde“. Die gesamte Arbeitslosenquote ging um etwa 20 Prozent zurück. Es handle sich bei den Ergebnissen also nicht nur um eine „kurze Euphorie“, so Lukas Lehner, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Oxford und Autor der Studie.

Zwischenmenschliche Vorteile

Das Einkommen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer stieg, und sie gewannen mehr finanzielle Sicherheit, zudem waren sie glücklicher und zufriedener und hatten das Gefühl, ihr Leben besser im Griff zu haben. Auch zwischenmenschlich zeigten sich Vorteile: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer pflegten engere Beziehungen zu anderen, fühlten sich stärker wertgeschätzt und hatten das Gefühl, dass sie mehr Menschen um sich herum hatten, auf die sie sich verlassen konnten.

Diese Verbesserungen des sozialen und finanziellen Wohlbefindens und der Rückgang der Arbeitslosigkeit hielten in den ersten beiden Jahren des Programms an. Bei der physischen Gesundheit habe es jedoch keine statistisch relevanten Ergebnisse gegeben, ebenso beim wahrgenommenen sozialen Status. Was sich aber verändert habe, sei die soziale Identität, merkte Lehner an. Die Menschen sehen sich demzufolge nicht mehr länger als Arbeitslose, sondern als Arbeitende samt gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeit.

Freiwillige Teilnahme und „echter“ Arbeitsvertrag

„Die Motivation, diese Studie zu starten, fußt auf einer breiten gesellschaftlichen Debatte über eine Jobgarantie“, sagte Lehner. „Es gab aber bisher keine Evidenz, wie so etwas – vor allem in reichen Ländern – funktionieren kann.“ Vorteile für Staaten gäbe es in jedem Fall: Ein Jahr österreichische Arbeitslosigkeit koste rund 30.000 Euro pro Person, während das Projekt 29.841 Euro pro Teilnehmer und Jahr veranschlagt habe.

Ehemalige Arbeitersiedlung im Marienthal
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Marienthal habe in der Vergangenheit bereits dazu beigetragen, das Verständnis für Beschäftigungsfragen zu erweitern, so das AMS

Wesentliche Kernelemente seien eine freiwillige Teilnahme und keine Sanktionen für die Ablehnung des Jobangebots sowie ein Lohn, der zumindest dem Kollektivvertrag entspricht, in Verbindung mit einem „echten“ Arbeitsvertrag mit Anspruch auf Pension und Krankenversicherung. Es ginge um eine „sinnvolle Beschäftigung, unter Berücksichtigung persönlicher Einschränkungen“.

Den Teilnehmenden solle Wertschätzung entgegengebracht werden. „Wir sehen ganz klar, dass die Personen sich als Beschäftigte und nicht als Langzeitarbeitslose sehen, aber es kommt auch auf die Beschäftigung an, es soll keine Art Bastelstube sein, sondern sinnvolle Arbeit", sagte Lehner. Die Mehrheit der Menschen wolle arbeiten – Langzeitarbeitslosigkeit resultiere nicht nicht aus Unwilligkeit.

Jobs individuell angepasst

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programms erhalten zu Beginn eine zweimonatige Vorbereitung, anschließend werden sie bei der Suche nach einem geeigneten und subventionierten Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft unterstützt. Manche Projekte wurden von den Teilnehmenden selbst ins Leben gerufen, andere unterstützen öffentliche Einrichtungen wie die örtliche Schule und den Kindergarten.

Die Jobs würden daher auch individuell angepasst werden. So seien seit Beginn des Programms etwa Arbeitsplätze in den Bereichen Schreinerei, Renovierung, Gartenarbeit, Altenpflege und Büroverwaltung geschaffen worden, „aber zum Beispiel auch die Betreuung von einem Kräuter- und Gemüsegarten, der öffentlich zugänglich ist“.

Die teilnehmenden Menschen arbeiten zwischen 16 und 38 Stunden pro Woche, je nach ihren Zielen, gesundheitlichen Voraussetzungen und Betreuungspflichten. Die Gehälter, die in der Regel zwischen 1.100 und 2.400 Euro pro Monat liegen, sind so festgelegt, dass jeder mindestens so viel verdient, wie er zuvor an Arbeitslosengeld erhalten hat.

Sinnvoll als „zusätzliches Sicherungsinstrument“

Eine Jobgarantie sei zwar kein „Silver Bullet“, keine Lösung für alles, bilanziert Lehner, sie sei aber in jedem Fall ein „zusätzliches soziales Sicherungsinstrument, das die Situation von vielen Menschen bessern kann. Sie bekommen wieder mehr Teilhabe und sie schaffen wieder den Einstieg in reguläre Jobs.“

Damit stehe die Jobgarantie als soziales Programm nicht im Widerspruch zu existierenden Elementen des Sozialstaats und der Einkommensicherung, sondern könne als zusätzliches Netz gedacht werden, das regional ausgeweitet werden kann.

Viele Vorschläge für Ausgestaltung

Vorschläge für Jobgarantien kursieren in den USA bereits länger. Die Hoffnung dahinter: Es soll ein Sicherungsnetz für alle geschaffen werden und damit auch die Wirtschaft in Rezessionszeiten gestützt. Entscheidend bei derartigen Projekten sei das Kleingedruckte, schreibt das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut: So müsse eine Jobgarantie immer freiwillig sein, die garantierten Jobs müssten angemessen bezahlt werden, und die Jobs müssten sinnvoll sein.

Ende November waren in Österreich 330.454 Personen arbeitslos oder in Schulung gemeldet, um 33.040 Personen bzw. um 9,1 Prozent weniger als vor einem Jahr, wie das Arbeitsministerium mitteilte. Die Arbeitslosenquote lag bei 6,2 Prozent, das ist der niedrigste November-Wert seit 15 Jahren. Nach wie vor hoch ist allerdings die Zahl der offenen Stellen.