Krankenpflegerinnen streiken in London
Reuters/Henry Nicholls
Spitäler, Bahn, Post

Streiks fordern britische Regierung heraus

Großbritannien befindet sich in einer großen Streikwelle. Bis Ende des Jahres sind mehrere Arbeitsniederlegungen bei der Bahn, in den Flughäfen, bei der Post und im Gesundheitswesen zu erwarten. Am Donnerstag legen Zehntausende Krankenpfleger und -pflegerinnen bis zum Abend ihre Arbeit nieder – bisher der größte Arbeitskampf im britischen Gesundheitswesen. Die Streiks stellen die konservative Regierung auf eine harte Probe.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) legt das Pflegepersonal in einer konzertierten Aktion in ganz England, Wales und Nordirland die Arbeit nieder. Einzig in Schottland wird nicht gestreikt. Dort zeichnet sich eine Einigung mit der Regionalregierung ab. Zahlreiche ambulante Termine und Operationen mussten abgesagt werden. Dringende und lebensrettende Dienste wie die Notaufnahme für Kinder werden aber wie an Feiertagen besetzt sein.

Das Militär wurde aktiviert, um Krankenwagen zu fahren – allerdings nicht in Notfallsituationen. Nur etwa 40 Militärärzte könnten aufgrund ihrer Qualifikation im NHS arbeiten, räumte selbst die Regierung ein. Sollte es keine Einigung geben, ist für den 20. Dezember ein neuer Streiktag geplant. Am Tag darauf wollen auch die Rettungswagenfahrer ihre Arbeit niederlegen.

Krankenpflegerinnen streiken in London
Reuters/Henry Nicholls
Zehntausende Pflegerinnen und Pfleger legen am Donnerstag in England, Wales und Nordirland ihre Arbeit nieder

„Zeichen des Versagens der Regierungen“

Der Verband Royal College of Nursing (RCN) bedauerte den Streik. Das Personal habe aber keine andere Wahl gehabt, da sich die Regierung geweigert habe, Lohnverhandlungen wieder aufzunehmen. Das RCN möchte eine Gehaltserhöhung von 19 Prozent – für die Regierung eine inakzeptable Forderung. Der Berufsverband der Krankenpflegerinnen und -pfleger argumentiert, dass ihr Berufsstand in den vergangenen zehn Jahren einen 20-prozentigen Gehaltsverlust einstecken musste.

Pflegepersonal im Streik sei ein „Zeichen des Versagens der Regierungen“, meinte RCN-Generalsekretärin Pat Cullen. Sie übte heftige Kritik an Gesundheitsminister Steve Barclay, der sich geweigert habe, mit dem RCN über die Gehälter zu verhandeln. Die Regierung spricht von „unangemessenen und unbezahlbaren“ Forderungen der Beschäftigten. Selbst bot sie eine Gehaltserhöhung für das Pflegepersonal von im Schnitt vier Prozent an. Man sei bei den Löhnen den Empfehlungen des unabhängigen Lohngremiums gefolgt, argumentierte die Regierung für ihr Angebot.

Das britische Gesundheitssystem steckt in einer tiefen Krise. Rund sieben Millionen Menschen warten auf einen Routineeingriff. Rettungswagen brauchen statt weniger Minuten im Durchschnitt eine Stunde, bis sie Notfälle erreichen – auch aufgrund von Staus bei den Notaufnahmen.

Warnung für Regierung

Die wirtschaftlichen Herausforderungen dominieren die Probleme der konservativen Regierung. Premier Rishi Sunak muss sich harte Attacken von Labour-Chef Keir Starmer gefallen lassen. Starmer wirft der Regierung Versagen vor. Ähnliche Diskussion gab es bereits Ende der 70er Jahre – allerdings mit vertauschten Rollen der politischen Gegner. Eine große Streikwelle im öffentlichen und privaten Sektor legte Großbritannien 1978 und 1979 lahm. Das führte letztlich zum Sturz des damaligen Labour-Premierministers James Callaghan. Es folgte die Ära der konservativen Regierungschefin Margret Thatcher.

Premier Rishi Sunak
APA/AFP/Isabel Infantes
Die Arbeitsunruhen bringen die konservative Regierung und Premier Sunak unter Druck

Die Macht der Gewerkschaften ist inzwischen kleiner geworden. Angesichts der Arbeitsunruhen wächst aber die Kritik an der Regierung. „Die Geschichte ist ein großes Warnzeichen für Sunak und Co.“, sagte der Politologe Matthew Goodwin von der Universität von Kent gegenüber der „New York Times“ („NYT“).

Sunak will Gesetz gegen Streiks

Sunak scheint für die Streikenden wenig Verständnis zu haben. Die Regierung habe mehreren Sektoren ehrliche Lohnangebote gemacht. Es sei nicht richtig, „so viele Menschen in Not zu bringen und zu stören, besonders zur Weihnachtszeit“, sagte er am Donnerstag in einem Interview mit der „Daily Mail“. Er kündigte darin an, im kommenden Jahr ein Gesetz gegen Streiks einzuführen.

Die Regierung hofft auf ein Umschwenken der öffentlichen Meinung gegen die Streikenden – unterstützt von rechten Boulevardzeitungen. Noch ist von einem Meinungsumschwung in der Bevölkerung gegen die Streikenden aber in den Umfragen nichts zu spüren. Besonders die Pflegekräfte gelten seit der Pandemie als Helden und Heldinnen.