Das Europäische Parlament in Brüssel
IMAGO/Beata Zawrzel
Bericht

Erstes Geständnis im EU-Korruptionsskandal

In den Ermittlungen zu schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen gegen Mitglieder, Mitarbeiter des EU-Parlaments und ihnen nahestehende Personen gibt es laut Medienberichten ein erstes Geständnis. Der Lebensgefährte der abgesetzten EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili, Francesco Giorgi, habe „Korruption und Einmischung im Dienste von Marokko und Katar gestanden“, berichtete am Donnerstag die belgische Zeitung „Le Soir“.

Giorgi sitzt wie auch Kaili derzeit in Belgien in Untersuchungshaft. Seine Aufgabe sei es gewesen, „Bargeld zu verwalten“, schreibt die italienische Zeitung „La Repubblica“, die Giorgi mit den Worten zitiert: „Ich tat alles für Geld, das ich nicht brauchte.“ Die Angaben sollen aus Dokumenten der Ermittlungsbehörden stammen, in die neben „Le Soir“ auch „La Repubblica“ Einblick gehabt habe.

Laut „La Repubblica“ deutete Giorgi auch an, dass er den Italiener Andrea Cozzolino und den Belgier Marc Tarabella, beide Abgeordnete der S&D-Fraktion im EU-Parlament, verdächtigt, über den ehemaligen italienischen EU-Abgeordneten Antonio Panzeri Geld angenommen zu haben. Marokko soll über den Geheimdienst DGED (Directorate General of Studies and Documentation) in die mutmaßliche Bestechungsaffäre verwickelt sein. Panzeri, Cozzolino und Giorgi seien mit dem DGED, aber auch mit einem hochrangigen, offenbar in Polen sitzenden marokkanischen Diplomaten in Kontakt gestanden, wie „Le Soir“ und „La Repubblica“ mit Verweis auf die eingesehenen Dokumente weiter berichteten.

Panzeri als Fädenzieher vermutet

Im Zentrum der Ermittlungen der belgischen Justiz steht das Netzwerk Panzeris. Dieser war viele Jahre Mitglied der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), derzeit die stärkste Oppositionspartei in Italien. 2017 wechselte er zur Partei des ehemaligen italienischen Kommunistenchefs und Ex-Premiers Massimo D’Alema, Articolo 1, blieb jedoch im Europäischen Parlament in der Fraktion der Sozialdemokraten.

Die Staatsanwaltschaft Brüssel ist sich sicher, dass bei Panzeri die Fäden zusammenliefen, wenn es darum ging, politische und wirtschaftliche Entscheidungen des EU-Parlaments zugunsten von Staaten wie Katar und Marokko zu beeinflussen. Im Zentrum steht die von Panzeri nach seinem Ausscheiden 2019 aus dem EU-Parlament gegründete Nichtregierungsorganisation „Fight Impunity“.

Frau und Tochter Panzeris in Haft

Er soll das Geld aus Katar verteilt haben, um Entscheidungen des Parlaments im Sinne des Emirats zu beeinflussen. Panzeri sitzt in U-Haft, seine Frau und seine Tochter wurden in Italien festgenommen. Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der die Arbeitsmarktreformen in Katar als „Erfolgsgeschichte“ gerühmt hatte und ebenfalls in die Affäre verwickelt ist, kam am Sonntag unter Auflagen wieder frei. Noch am 25. Oktober hatte Visentini in einem Interview Katar als reformorientiertes Land gelobt.

Kaili-Anhörung verschoben

Mit Lob für Katars Fortschritte in Sachen Demokratie und Menschenrechte sorgte auch Kaili und damit die bisher prominenteste in den Korruptionsskandal involvierte EU-Vertreterin für Gesprächsstoff. Auch wenn ihr Lebensgefährte Giorgi bei seiner Einvernahme offenbar die Freilassung der 44-jährigen Griechin einforderte, bleibt auch diese weiter in Haft.

Der Hintergrund: Ihre Anhörung wurde auf Antrag der Verteidigung auf den 22. Dezember verschoben, wie ihr Anwalt Andre Risopoulos am Mittwoch gegenüber AFP sagte. Den Angaben zufolge konnte Kaili bei einer für Mittwoch vorgesehenen Anhörung aufgrund eines Streiks in den Gefängnissen nicht anwesend sein.

Kaili war am vergangenen Freitag in Brüssel festgenommen worden, ebenso wie ihr Lebensgefährte. In ihrer gemeinsamen Wohnung wurden laut belgischen Justizkreisen 150.000 Euro gefunden, weitere 750.000 Euro bei Kailis Vater, der sich in einem Hotel in der belgischen Hauptstadt aufhielt. Die Staatsanwaltschaft in Brüssel wirft auch Kaili „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption“ vor.

ein Teil des in Brüssel beschlagnahmten Geldes
AP/Belgian Prosecutors Office
Die Ermittler beschlagnahmten in der Causa bereits Hunderttausende Euro in bar

Anwalt: Von Geld nichts gewusst

Nach Angaben von Kailis anderem Anwalt, Michalis Dimitrakopoulos, wusste die 44-Jährige „von der Existenz dieses Geldes nichts“, sie sei „unschuldig“. Nur ihr Lebensgefährte könne „Antworten auf die Existenz dieses Geldes“ geben, sagte der Anwalt am Dienstag.

Während Katar die gegen das Land erhobenen Vorwürfe strikt zurückweist, mehrten sich zuletzt Berichte über eine Verwicklung von Marokko. Panzeri hatte in seiner aktiven Zeit als EU-Abgeordneter als Vorsitzender der Delegation für Beziehungen zu Marokko auch offizielle Verbindungen zu dem Maghreb-Staat.

So wie Giorgi und Kaili bleibt nach Angaben der Staatsanwaltschaft auch Panzeri weiter in Untersuchungshaft. Der bereits am Sonntag aus der U-Haft entlassene Visentini muss bis zur Verhandlung eine elektronische Fußfessel tragen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Nur „Spitze des Eisbergs“?

Im EU-Parlament ist unterdessen die Sorge groß, dass der Korruptionsskandal weitere Kreise ziehen könnte. Rene Repasi von den Sozialdemokraten und Linken-Kofraktionschef Martin Schirdewan sprachen von einer möglichen „Spitze eines Eisbergs“.

Beobachter sprechen bereits jetzt vom womöglich schwersten Korruptionsfall in der Geschichte des EU-Parlaments. An den laufenden, von den belgischen Behörden seit fünf Monaten geführten Ermittlungen sind Medienberichten zufolge fünf weitere Länder beteiligt. Ob, wie der „Corriere della Sera“ am Donnerstag berichtete, Italien von dieser Operation ausgeschlossen wird, bleibt offen. Nicht bestätigt sind zudem griechische Medienberichte, wonach Dutzende weitere EU-Abgeordnete im Visier der Ermittler stünden.

Metsola: Kein „Business as usual“

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hat sich auf einer Pressekonferenz zu den schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen gegen Mitglieder und Mitarbeiter des EU-Parlaments geäußert. Es werde „keine Straffreiheit, kein Unter-den-Teppich-Kehren, kein Business as usual“ geben, so Metsola.

Kein „Business as usual“

Allein die bisher im Raum stehenden Anschuldigungen gegen das Europäische Parlament seien „ein Schlag gegen die Demokratie und alles, woran wir seit vielen Jahren gearbeitet haben“, sagte am Donnerstag EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.

Es werde „keine Straffreiheit, kein Unter-den-Teppich-Kehren, kein Business as usual“ geben, so Metsola: „Ich werde alles tun, was ich kann, um die Position als Haus der Demokratie, als Gesetzgeber, als entscheidungsbefugte, saubere und transparente Institution, die nicht zum Verkauf an ausländische Akteure steht, wiederherzustellen.“