Die spanisch-britische Grenze bei Gibraltar
Reuters/Jon Nazca
Brexit-Nachwehen

Lösung für Gibraltar in Sicht

London und Brüssel sind nach dem EU-Austritt Großbritanniens nun offenbar nahe daran, eine von mehreren noch offenen Fragen zu lösen. Der Brexit hatte den uralten Streit über die britische Exklave auf der spanischen Halbinsel reaktiviert, auf die auch Spanien Anspruch erhebt. Nun dürfte eine Einigung auf den künftigen Status in Griffweite sein.

Die Verhandlungen über das Verhältnis Gibraltars zur EU nach dem Brexit finden auf zwei Ebenen statt – zwischen London und Brüssel sowie London und Madrid. Eine Einigung mit Spanien ist die Voraussetzung für eine Einigung zwischen Großbritannien und der EU.

Spaniens Außenminister Jose Manuel Albares sagte Mittwochabend, Madrid und London hätten sich darauf verständigt, sich „um einen möglichst raschen Fortschritt“ zu bemühen, um vor allem die Differenzen zu visafreien Reisen von Bewohnerinnen und Bewohnern Gibraltars und Spaniens – und damit im Schengen-Gebiet – zu überwinden, berichtete „Politico“. Eine Vereinbarung besonders in diesem Bereich ist für die rund 35.000 Einwohner besonders wichtig. Denn viele von ihnen pendeln täglich zum Arbeiten nach Spanien.

De facto Teil von Schengen?

„Spanien ist bereit zu einer Einigung“, so Albares bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Madrid mit seinem britischen Amtskollegen James Cleverly nach einem kurzfristig arrangierten Treffen der beiden. Fabian Picardo, Gibraltas Chief Minister, in etwa mit einem Regierungschef vergleichbar, war via Videolink dabei.

Im Mittelpunkt der jüngsten Beratungen stand ein detaillierter Vorschlag der EU-Kommission zur Entfernung des Grenzzauns und der Verlagerung von Zollkontrollen in Gibraltars Hafen und Flughafen. Der Zaun war bereits in der Vergangenheit Anlass für viele Streitereien. Ein solcher Schritt würde Spanien laut eigenen Angaben für die Kontrolle der Außengrenzen Gibraltars verantwortlich machen.

Die spanisch-britische Grenze bei Gibraltar
Reuters/Jon Nazca
„The Rock“ wird Gibraltar auch gern einfach genannt. Auf dem Fels leben Hunderte Berberaffen, eine der Sehenswürdigkeiten.

Seit Jahrhunderten umstritten

Der kleine Felsenvorsprung, der allerdings aufgrund seiner Lage an der nördlichen Seite der Straße von Gibraltar von strategischer Bedeutung ist, steht nach dem spanischen Erbfolgekrieg seit 1704 unter der Souveränität Londons. Gibraltar wurde 1713 von Spanien zwar offiziell im Frieden von Utrecht abgetreten, wird jedoch seitdem von Spanien beansprucht.

Albares betonte im Anschluss, man sei jetzt näher an einer Einigung als vor dem Treffen. Und: Man komme „in einem guten Tempo“ voran. Kurz vor der Pressekonferenz war Albares zufällig von einer TV-Kamera aufgenommen worden, wie er zu Cleverly sagte: „Wir haben es. Wir haben es geschafft.“

Cleverly: „Enorme“ Fortschritte

Cleverly sprach ebenfalls von „enormem“ Fortschritt. In einigen Punkte gebe es aber noch Dissens. Er zeigte sich überzeugt, es werde möglich sein, einen Vertrag abzuschließen, der die Positionen Großbritanniens und Spaniens bezüglich der Souveränität Gibraltars berücksichtige. „Wir stehen voll hinter den Bemühungen, so rasch wie möglich eine Einigung zu erzielen“, so Cleverly.

Parallel laufen Verhandlungen in Brüssel über eine Festlegung der Post-Brexit-Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU bezüglich Gibraltar. Die Verhandlungen, die 2020 begonnen haben, wurden von der CoV-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und den zwei Wechseln in Downing Street 10 behindert.

Chance könnte bald vorbei sein

Beide Seiten sind an einem Abschluss der Verhandlungen interessiert: In Spanien stehen nächstes Jahr mehrere Lokalwahlen an, die – je nach Ausgang – eine Einigung erschweren könnten. In Umfragen werden Gewinne der konservativen Volkspartei und der Rechtsaußen-Partei Vox prognostiziert. Beide riefen zur Schließung der Grenze zu Gibraltar auf. Und Madrid übernimmt im zweiten Halbjahr 2023 die EU-Ratspräsidentschaft und möchte vorher dieses Thema abhaken.

Ob und wie rasch es zu einer Einigung kommt, ist aber noch unklar. Picardo gab sich zwar optimistisch, schloss weitere Verzögerungen oder gar ein Scheitern aber nicht aus: „Wir können nicht erwarten, dass 300 Jahre Streit plötzlich verschwinden.“

Sorge wegen „harter Grenze“

Der Brexit hatte Befürchtungen aufkommen lassen, dass eine neue „harte Grenze“ zwischen Gibraltar und der EU entstehen könnte. Doch die Unterhändler erreichten nur wenige Stunden vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU am 1. Jänner 2021 eine Rahmenvereinbarung, nach der Gibraltar von den Regeln des Schengen-Raums profitieren soll. Die Einzelheiten des Abkommens müssen noch festgelegt werden.

Die nur knapp sieben Quadratkilometer große britische Exklave im Süden Spaniens ist zur Versorgung ihrer 34.000 Einwohnerinnen und Einwohner komplett von Importen abhängig. Die Vereinbarung war von entscheidender Bedeutung, um den Warenverkehr nicht durch neue Zollverfahren zu erschweren.