der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer
AP/Virginia Mayo
Außengrenzschutz

ÖVP will neue Zäune, Grüne gegen ‚Polemik‘

ÖVP-Regierungsmitglieder haben sich für die Errichtung „physischer Barrieren“ im Außengrenzschutz Europas ausgesprochen. Europaministerin Karoline Edtstadler schwebt „ein Zaun, eine Mauer“ vor, Bundeskanzler Karl Nehammer warb in Brüssel dafür, „endlich das Tabu Zäune zu brechen“, um der irregulären Migration Einhalt zu gebieten. Der grüne Koalitionspartner reagierte mit Skepsis.

Österreich hatte beim EU-Innenministerrat in der Vorwoche aufgrund der gestiegenen irregulären Migration den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens blockiert. Es brauche in Bulgarien einen Zaun, der mit finanziellen Mitteln der Europäischen Union unterstützt werde, betonte Nehammer im Vorfeld des EU-Gipfels am Donnerstag in Brüssel.

Er sei im „engen Austausch“ mit den Staatsoberhäuptern der beiden Länder, so Nehammer. „Der bulgarische Präsident führt selbst an, dass es notwendig ist, den Zaun gegenüber der Türkei“ zu verstärken, sagte der Kanzler. Sofia brauche dafür nach eigenen Angaben rund zwei Milliarden Euro. „Zäune an sich sind nichts Neues“, sagte Nehammer in Hinblick auf die Barrieren an der griechisch-türkischen Grenze weiter. „Nur bis jetzt werden die Nationalstaaten alleine gelassen, die EU-Kommission gibt die Gelder nicht frei.“

Grafik: Zäune an EU-Grenzen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: EU-Parlament

Die Kommission erkläre stets, dass es kein Geld für Mauern, Zäune und Stacheldraht gibt, lediglich für Infrastruktur an der Grenze. Ein Argument lautet etwa, dass dann das Geld an anderer Stelle fehlen würde, beispielsweise bei der Küstenwache. In den vergangenen Jahren haben bereits mehrere EU-Länder zum Außengrenzschutz Zäune an ihren Grenzen errichtet.

Grüne Skepsis, SPÖ spricht von Symbolpolitik

Mit Kritik nahm der grüne Koalitionspartner Nehammers Forderung auf: „Was die EU-Außengrenzen betrifft, muss beides möglich sein: Ordnung UND Humanität. Wenn die EU ihre Mitgliedsstaaten in Sachen Grenzkontrollen unterstützt, dann so, dass genau dieses Ziel erreicht wird. Der einfache Ruf ‚baut Mauern um Europa‘ aus dem Binnenland Österreich trägt mehr zur Polemik in der Debatte als zur Lösung bei“, hielt Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer fest.

Der SPÖ-Parlamentsklub warf der ÖVP „hilflose Symbolpolitik im Asyl- und Migrationsbereich“ vor. „Seit Jahren unternehmen die ÖVP-Regierungen nichts, um das Thema irreguläre Migration wirksam und nachhaltig zu lösen“, heißt es in einer Aussendung des SPÖ-Klubs. „Mit falschen Partnern wie Orban, der Österreich auf der Nase herumtanzt, hat Nehammer überhaupt keine Glaubwürdigkeit. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, seriöse Vorschläge für ein neues Asyl- und Migrationssystem in Europa vorzulegen.“

Empörung bei NEOS, FPÖ für „Festung“

Empört zeigte sich NEOS über den Vorstoß des Kanzlers: „Dieser ‚trumpeske‘ Vorschlag wird Österreich nur noch mehr in die Nähe rechter Populisten wie (Ungarns Regierungschef Viktor) Orban rücken und von den restlichen EU-Mitgliedsländern isolieren“, sagte Europaabgeordnete Claudia Gamon. „Der Bundeskanzler sollte sich für ein gemeinsames, europäisches Asylsystem starkmachen, anstatt Millionen Euro für kilometerlange Zäune zu verschwenden. Und vor allem sollte er als ersten Schritt heute das Veto gegen Rumänien und Bulgarien zurücknehmen“, forderte Gamon.

„Wenn Nehammer es ernst meint, dann soll die Regierung endlich Grenzbarrieren an strategisch wichtigen Punkten an der österreichischen Grenze errichten und die Kosten dafür gleich beim EU-Beitrag Österreichs zum Abzug bringen. Das geht schneller, als auf eine Finanzierungszusage der EU zu warten. Da es keine Festung Europa gibt, braucht es eine Festung Österreich – und Grenzbarrieren sind ein wichtiger Beitrag dazu“, forderten FPÖ-Chef Herbert Kickl und der freiheitliche Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer.

Edtstadler: „Sie können es nennen, wie Sie wollen“

Edtstadler sprach bereits am Mittwochabend auf Krone.tv von der Notwendigkeit „physischer Barrieren“ für den Außengrenzschutz. Zäune seien unabdingbar für eine effektive Eindämmung der irregulären Migration: „Ich glaube, wir müssen irgendwann zur Kenntnis nehmen, dass es ohne physische Barrieren nicht gehen wird, dass wir einen ordentlichen Außengrenzschutz haben.“ Auf Nachfrage der Krone.tv-Moderatorin präzisierte sie, es handle sich um „ein(en) Zaun, eine Mauer – Sie können es nennen, wie Sie wollen“. Gleichzeitig räumte sie ein, dass dieser Vorschlag sicher „auf Ablehnung“ stoßen werde.

Zum Schengen-Veto sagte die Ministerin, das „Nein“ gelte nicht den beiden betroffenen Ländern, sondern einem „System, das nicht funktioniert“. Die Union müsse endlich „in die Gänge kommen“, und das sei durch das Veto gelungen. Denn: „Jetzt wird Österreich endlich gehört und ernst genommen“, sagte Edtstadler.

Migrationsforscherin: Zäune in Europa längst Realität

Dagegen glaubt Migrationsforscherin Judith Kohlenberger nicht daran, dass das österreichische Veto einen Effekt auf die Zuwanderung habe. Die Migrationszahlen würden ohnehin derzeit wieder sinken – allerdings aufgrund von saisonalen Effekten. Obwohl sie sich sicher sei, dass das Dublin-Abkommen „tot“ sei und das System nicht funktioniere, müsse man eher für eine „faire und solidarische Verteilung“ und legale Fluchtrouten eintreten. Zudem seien Zäune oder Mauern in Europa längst Realität.

Karner vs. Doskozil

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat indessen die Kritik des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil (SPÖ) wegen der Forderung nach effektiven Grenzkontrollen zurückgewiesen. „Innenminister Karner hat bei der EU-Kommission genau diese effektiven Grenzkontrollen und Verfahrenszentren – beispielsweise auch in Bulgarien – verlangt“, teilte Karners Sprecher am Donnerstag in einer Aussendung mit.

Doskozil hatte zuvor im Ö1-Morgenjournal darauf verwiesen, dass Polizei und Soldaten derzeit an Schengen-Grenzen kontrollieren, hierzulande dennoch „Rekordaufgriffe“ von Flüchtlingen stattfinden würden. Karner hätte daher effektive Grenzkontrollen in Bulgarien sowie Verfahrenszentren fordern sollen: „Das wäre die richtige Forderung gewesen“, sagte Doskozil unter Anspielung auf das Veto Österreichs gegen eine Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien.

Aus dem Innenministerium hieß es dazu, dass Karner seit Jahresbeginn bei seinen Amtskollegen auf die sich verschärfende Migrationslage hingewiesen und einen besseren Außengrenzschutz gefordert habe. „Darüber hinaus hat der Innenminister einen Fünfpunkteplan vorgelegt, der zum Teil auch Eingang in einen Aktionsplan der Europäischen Kommission für den Balkan gefunden hat“, sagte sein Sprecher. Dieser Plan umfasse nicht nur effektive Grenzkontrollen, sondern etwa auch die Finanzierung baulicher Maßnahmen an der Außengrenze durch die EU-Kommission und ein Pilotprojekt für Verfahrenszentren an der Außengrenze.