Nationalratssitzung
APA/Robert Jaeger
Beschluss im Nationalrat

Maßnahmenvollzug auf neuen Beinen

In seiner letzten Sitzung im Ausweichquartier hat der Nationalrat am Donnerstag die erste große Reform des seit Langem vielkritisierten Maßnahmenvollzugs beschlossen. Nach 50 Jahren Stillstand habe man den Vollzug für psychisch kranke Rechtsbrecher endlich „ins 21. Jahrhundert geholt“, sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne). Die Opposition stimmte gegen den Entwurf.

Nach gut fünf Jahren in der Hofburg finden die Sitzungen ab Mitte Jänner wieder im sanierten historischen Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße statt. Ganz eingestellt wird der parlamentarische Betrieb in der Hofburg auch nach Donnerstag aber nicht: Der Bundesrat wird sich am 20. und 21. Dezember noch im Ausweichquartier mit den Beschlüssen der aktuellen Plenarwoche beschäftigen.

Die Reform des Maßnahmenvollzugs wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen beschlossen, sie tritt teils im März, teils im September 2023 in Kraft. Kern ist die Erhöhung der Strafschwellen: Psychisch kranke Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrecher können nur noch dann potenziell lebenslang in eine Anstalt eingewiesen werden, wenn das Anlassdelikt mit mehr als drei Jahren (bisher: ein Jahr) Freiheitsstrafe bedroht ist (bei Gefahr für sexuelle Integrität oder Leib und Leben schon ab einem Jahr).

Für Jugendliche gelten künftig noch höhere Schwellen: Sie kommen, wenn sie psychisch krank sind, erst bei einem Kapitalverbrechen (ab zehn Jahren Strafdrohung) in den Maßnahmenvollzug. Ebenfalls enthalten ist eine Sonderregelung für Terroristen – und zwar für Rückfallstäter, von denen ein neuer Terrorakt zu erwarten ist.

Nationalrat: Letzte Sitzung in Dependance

Nach gut fünf Jahren in seinem Ausweichquartier in der Wiener Hofburg hält der Nationalrat am Donnerstag seine letzte Sitzung dort ab. Im neuen Jahr kehrt das Parlament dann wieder in das historische Haus am Ring zurück.

Sie sollen in den Maßnahmenvollzug – und damit potenziell lebenslang hinter Gitter – kommen können, wenn sie wegen einer einschlägigen Tat (schwere vorsätzliche Gewalt, Terrorismus) bereits zwölf Monate in Haft waren und dann neuerlich ein mit 18 Monaten bedrohtes Terrordelikt begangen haben.

Opposition unzufrieden, Regierung sieht Fortschritt

Aus Sicht von SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim ist das alles kein „Durchbruch“. Es gebe weiterhin nicht ausreichend Mittel für gute Betreuung und Behandlung der Menschen im Maßnahmenvollzug. In der Rückfallstäterregelung sieht sie ein „Ablenken von wahrer Terrorismusprävention“.

Die FPÖ lehnte die Gesetzesänderung ab, weil damit eine „falsche Zielsetzung“ verfolgt worden sei – „nämlich Kostenersparnis statt Schutz der Gesellschaft“, sagte Harald Stefan. NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter befürchtete, dass die Qualität der Gutachten noch schlechter wird. Denn mit der Aufnahme von Psychologen in den Kreis der Gutachter würden die Anforderungen heruntergesetzt – obwohl es hier um die „sehr entscheidende Frage geht, ob wir jemanden wegsperren oder nicht“.

ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker sieht hingegen genau in der Heranziehung klinischer Psychologen für Gutachten einen wesentlichen Fortschritt. Die fachgerechte Behandlung werde sichergestellt, zudem den Insassen mit regelmäßiger Überprüfung die Perspektive gegeben, wieder freizukommen.

Die Grüne Agnes Sirkka-Prammer verteidigte ebenfalls die Reform. Damit sei die nötige Grundlage geschaffen; die Frage der Modernisierung von Behandlung und Betreuung der psychisch Kranken im Vollzug samt jener der ausreichenden Unterstützung für das Personal werde der zweite Schritt sein. Dieser sei in Ausarbeitung, berichtete Zadic. Heuer habe man schon 40 Millionen Euro extra veranschlagt.

Neue Einkommensgrenzen bei Kindergeld

Beschlossen wurde am Donnerstag auch eine Anhebung der Zuverdienstgrenze beim Kindergeld. Diese liegt künftig bei 7.800 Euro (einkommensabhängige Variante) bzw. 18.000 Euro (pauschale Variante) brutto pro Jahr. Die Vorlage passierte den Nationalrat einstimmig.

Ebenfalls einstimmig sprach sich der Nationalrat gegen die Errichtung von kleinen modularen Atomreaktoren („Small Modular Reactors“, SMRs) aus, die bis 2032 auf dem Gelände des tschechischen Atomkraftwerks in Temelin geplant sind.

Gegen die Stimmen der FPÖ wurde auch eine Reform der Filmförderung beschlossen, die Förderlücken schließen soll. So wird das am 1. Jänner 2023 in Kraft tretende neue Förderinstrumentarium FISA+ auch Serien, TV-Filme und Streamingproduktionen berücksichtigen. Höhere Fördersätze sind etwa für ökologisch nachhaltige Filmproduktionen und für Beiträge zur Chancengleichheit aller Geschlechter in der Filmbranche vorgesehen.

Grundwehr- und Zivildiener bekommen mehr Geld

Alle Fraktionen stimmten auch dem Wehrrechtsänderungsgesetz und der Novelle des Zivildienstgesetzes zu – die Opposition freilich nicht, ohne so manche Kritik zu diversen sicherheitspolitischen Themen anzubringen. Beschlossen wurde für Grundwehrdiener ab 1. Jänner 2023 eine deutlich höhere Grundvergütung, nämlich 261,97 statt bisher 124,22 Euro. Im Falle eines Einsatzes (etwa an der Grenze) steigt sie auf 572,11 Euro.

Die Entschädigung der Zivildiener wird von knapp 363 auf 500 Euro aufgestockt. Bei ihnen kommen wie bisher die Verpflegungskosten hinzu. Gleichzeitig soll das Zivildienstgeld, das bestimmte Rechtsträger vom Bund erhalten, um annähernd den gleichen Betrag (140 Euro) steigen.