Typoskript zu Alte Meister
Österreichische Nationalbibliothek
Thomas Bernhard

Rekordpreis für einen Nachlass

Er war sicher der größte Staatskritiker der heimischen Literatur nach 1945. Und seit Freitag ist er unumstritten der für den Staat kostbarste, wenn man nicht sagen will: teuerste Autor. Für 2,1 Millionen Euro wurde der komplette Nachlass von Thomas Bernhard mit Hilfe der Republik für das Österreichische Literaturarchiv erworben. Ein Glücksfall, finden Expertinnen und Experten. „Er ist damit für das Land zur neuen Sisi geworden“, attestiert Marlene Streeruwitz.

Der Erwerb von Vor- oder Nachlässen ist ein heikles Unterfangen, nicht nur in Österreich. Überall auf der Welt bemühen sich nationale Institutionen um geschlossene Konvolute von Autorinnen und Autoren, nicht zuletzt, um ein für die jeweilige Kultur wichtiges Werk haltbar und noch besser verstehbar zu machen. Über Preise wird gerne geschwiegen. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach etwa nennt nie die Summen für den Erwerb von Vor- oder Nachlässen. Dennoch sagen Kenner der Szene, dass Bernhard seit Freitag in dieser Liga einer der kostbarsten Autoren ist.

Rekordpreis für einen Nachlass

Er war sicher der größte Staatskritiker der heimischen Literatur nach 1945. Und seit Freitag ist er unumstritten der für den Staat kostbarste, wenn man nicht sagen will: teuerste Autor. Für 2,1 Millionen Euro wurde der komplette Nachlass von Thomas Bernhard mit Hilfe der Republik für das Österreichische Literaturarchiv erworben.

Die Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), so verlautete man am Freitag, erwirbt den literarischen Nachlass Bernhards um 2,1 Millionen Euro. 1,6 Millionen Euro steuert das Kulturministerium (BMKÖS) bei, 500.000 Euro kommen von der ÖNB. „Wir sind uns der Verantwortung bewusst, diesen Bestand langfristig für die Forschung und die Allgemeinheit zu sichern“, wurde ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger in der Pressemitteilung zitiert – Bernhards Werk sei „Teil der Weltliteratur“.

Rekordpreis für einen Nachlass

Er war sicher der größte Staatskritiker der heimischen Literatur nach 1945. Und seit Freitag ist er unumstritten der für den Staat kostbarste, wenn man nicht sagen will: teuerste Autor. Für 2,1 Millionen Euro wurde der komplette Nachlass von Thomas Bernhard mit Hilfe der Republik für das Österreichische Literaturarchiv erworben.

Der Poker um die Vorlässe

Oft sind Vor- und Nachlässe Zankgegenstand unterschiedlicher Institutionen. Peter Handkes Vorlass etwa ist zwischen Deutschland und Österreich zerstreut. Die unterschiedlichen Player sind aber auch innerhalb eines Landes zu finden. So sind Länder und Bund nicht nur Spieler, sondern auch Gegenspieler im Poker um Vorlässe. Und Autorinnen und Autoren natürlich auch Mitspieler in diesem Match, das ja für die Erwerbsgrundlage nicht unwesentlich ist.

Thomas Bernhard auf dem Tonhof bei Maria Saal. Weihnachten 1957
Helmut Baar / brandstaetter images / picturedesk.com
Thomas Bernhard 1957. Vor der Moderne führte der Weg durch das Innerste der Heimat.

Als sich etwa das Land Kärnten und die Stadt Klagenfurt auf den Erwerb des Vorlasses von Josef Winkler für 460.000 Euro einigten, war der Politstreit über diesen Ankauf lange nicht ausgestanden. Die FPÖ etwa hatte diesen kritisiert – und die Kritik damit an sich selbst gerichtet, denn der Vorstoß für den Kauf lag bei der gleichen Partei ab Ende der 1990er Jahre.

Experte Fetz: „Singulärer Stil Bernhards“

Für den Ankauf des Bernhard-Nachlasses sieht man sich indes argumentativ gerüstet. „Thomas Bernhard hat einen singulären literarischen Kosmos geschaffen, in dem Sprache, Stil und Weltanschauung unauflöslich ineinander verwoben sind“, sagt Bernhard Fetz, der Direktor des Literaturarchivs und des Literaturmuseums der ÖNB und hebt die Bedeutung hervor, dass hier ein geschlossener Nachlass „nahezu vollständig“ überliefert sei, der tatsächlich die ganze literarische Produktion Bernhards abdeckt, also sämtliche veröffentlichte und unveröffentlichte Werke, und, was für die Aufarbeitung des literarischen und kulturellen Feldes besonders wichtig ist: die überlieferten Korrespondenzen.

Dazu zählen Briefe von Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Elias Canetti, Handke und Bernhards früher Förderin Hedwig Stavianicek. Sie war es ja, die den jungen Autor, der sich vom Gesang ab- und der Literatur zugewandt hatte, in das Bürgertum einführte und damit zu der für Bernhard typischen Habitus-Ausstattung beitrug.

Knapp 30.000 Blätter mit Handschriften, handschriftlich korrigierten Typoskripten und Fahnenkorrekturen mache der Werkbestand aus. „Für uns ist dieser Nachlass deshalb so bedeutend, weil er sich anschließt an den ebenso im Literaturarchiv liegenden Nachlass von Ingeborg Bachmann, mit der Bernhard ja in engem Kontakt stand“, so Fetz in einem Gespräch mit ORF.at am Freitag. Fetz erinnerte dabei auch an die Wichtigkeit, dass der Nachlass nicht in Einzelteile zerrissen worden sei, also dass die Erben und Nachlassverwalter, konkret die Gmundner Familie um den Halbbruder Peter Fabjan, einzelne Teile zur Auktion gebracht habe.

Thomas Bernhard bei einer Lesung in St. Veit/Glan, 1968
Otto Breicha / brandstaetter images / picturedesk.com
Thomas Bernhard als etablierter Provokateur 1967 bei einer Lesung. Sein Roman „Frost“ brachte den Durchbruch.

Experte von außen als Ermittler des Preises

Den Preis habe ein unabhängiger Experte ermittelt und den Vertragsparteien vorgelegt. „Dabei wurden die Optionen des Verkaufs etwa an Auktionsplätzen bewertet, entsprechende Ergebnisse und Erwartungen mit einkalkuliert“, so Fetz, der noch zwei Gründe nannte, warum man an diesem Nachlass doch sehr nachhaltig interessiert gewesen sei: „Es die Geschlossenheit eines stilistischen Kosmos auf der einen Seite und auf der anderen auch die weltliterarische Bedeutung, die Bernhard über die Grenzen des Landes erlangt hat.“ Javier Marias, Michel Houllebecq und William Gaddis seien nur einige der Namen, bei denen die Bernhard-Bezüge groß zu schreiben seien.

Die Aussage, dass jetzt ausgerechnet der größte Staatskritiker mit Hilfe der Republik zum nationalen Kulturbestand geworden sei, rief bei Fetz ein Schmunzeln hervor. Die Aufgabe der Wissenschaft sei ja die Neutralität, man agiere ja nicht im Sinne einer bestimmten Regierung, sondern freue sich, dass der Umgang mit dem Werk Bernhards einer neuen Generation deutlich gelassener geworden sei.

Typoskript zu Alte Meister
Österreichische Nationalbibliothek
Typoskript der ersten Seite von „Alte Meister“

Ein ewiges Tauziehen

Das Tauziehen um den Nachlass Bernhards währt schon eine lange Zeit. Die zuständige Staatssekretärin Andrea Mayer hat mit ihrem Amtsantritt im Kulturressort diese Verhandlungen neu angestoßen und sich dazu internationale Expertise geholt. An genau diesem Gutachten, so hielt Mayer am Freitag fest, habe man sich orientiert. „Großer Dank gilt dem Verhandlungsteam und Dr. Peter Fabjan, der das Erbe seines Bruders mehr als drei Jahrzehnte lang professionell und mit großer Umsicht betreut und wesentlich zur internationalen Wirkung dieses einzigartigen Autors beigetragen hat“, so Mayer.

Fetz lobte in diesem Zusammenhang zahlreiche Vorarbeiten, die der österreichischen Germanistik im Umgang mit Bernhard gelungen seien. „Die 22-bändige Frankfurter Bernhard-Ausgabe bei Suhrkamp ist ein Beleg für die großartige Arbeit, die der heimischen Germanistik gelungen ist“, so Fetz, der mit Blick auf Bernhards Stück „Jagdgesellschaft“ sich ohnedies für neue Zugänge zu diesem lange Zeit umstrittenen und am Ende heiliggesprochenen Autor wünscht: „Die Zeiten, wo man dachte, nur ein Claus Peymann könne Bernhard adäquat auf die Bühne bringen, sind vorüber. Und ein genauer Blick in die Texte offenbar, dass etwa die Kritik an den Umweltsünden in der ‚Jagdgesellschaft‘ so ziemlich das Gelungenste ist, was man zu diesem Thema gegenwärtig lesen kann.“ Man müsse nur Bernhard mit einem neuen Blick messen.

Chance, eine Entwicklung zu zeigen

Entsprechend darf man sich auf die kommenden Forschungsprojekte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) freuen, wo man mit drei Stellen eben auch die Genese des Werkes Bernhards vom konservativem Schreiber zum modernen Großautor untersuchen kann. Der Fortschritt in der zukünftigen Forschung besteht auch darin, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Einbezug der Bernhard-Erben ausgesucht werden.

Am Ende geht es ja doch um wissenschaftliche Arbeit und nicht die Einleitung eines Seligsprechungsverfahrens mit der Hilfe öffentlicher Mittel. Für die Autorin Streeruwitz ist Bernhard mit diesem Ankauf endgültig in die Kategorie „Sisi“ einzuordnen, sagte sie in einer Reaktion gegenüber ORF.at. Sie hatte ihren Vorlass im Vorjahr für 200.000 Euro dem Literaturarchiv überlassen.