Patriot-Raketensystem
Reuters/Radovan Stoklasa
Luftabwehr

Offene Fragen vor Patriot-Lieferung an Ukraine

Von den USA wird grünes Licht signalisiert und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erneuert seine Forderung danach: Nach weiterem massivem Beschuss der Infrastruktur durch Russland scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die USA das Patriot-Flugabwehrsystem an die Ukraine liefern. Bisher war die Regierung in Washington skeptisch gewesen. Doch selbst wenn das System geliefert wird, bleiben noch Fragen offen.

Der Westen müsse gegenüber Russland „den Druck erhöhen“, sagte der Staatschef in der Nacht zum Samstag in seiner täglichen Videoansprache. Sein Land benötige dringend Luftabwehrraketen. Das Patriot-System („Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target“) würde Experten zufolge einen großen Unterschied für die Ukraine machen.

Die Infrastruktur und Bevölkerungszentren würden damit besser gegen zerstörerische russische Luftangriffe geschützt, während sich die Bewegungsfreiheit der ukrainischen Streitkräfte auf dem Boden vergrößerte. Mehrere US-Medien hatten diese Woche berichtet, die Lieferung müsse nur noch von Verteidigungsminister Lloyd Austin final genehmigt werden. Offizielles Statement dazu gab es aber noch keines.

Lloyd Austin
Reuters/Tom Brenner
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin noch zurückhaltend

USA lange skeptisch

Russland greift seit Wochen regelmäßig die Energieinfrastruktur der Ukraine an. Millionen Menschen sind deshalb bei Minusgraden ohne Strom und Heizung. Laut dem staatlichen Energieversorger Ukrenergo ist etwa die Hälfte des ukrainischen Stromnetzes schwer beschädigt.

NATO und USA standen den Wünschen aus Kiew nach dem hoch entwickelten Patriot-Luftabwehrsystem lange skeptisch gegenüber. So befürchtete man zu Beginn des Krieges, gelieferte Waffensysteme könnten in die Hände Russlands fallen und dann womöglich auch an andere Feinde der USA, allen voran China, weitergegeben werden. Mittlerweile scheint das Vertrauen in die Schlagkraft des ukrainischen Militärs groß genug, das Wagnis einzugehen.

USA wollen Angriffe auf russisches Territorium verhindern

Offen scheint auch noch die Frage, welche Komponenten des Patriot-Systems geliefert werden. Die PAC-2-Versionen sind Langstrecken-Boden-Luft-Raketen mit einer Reichweite von 99 Meilen gegen Flugzeuge und Marschflugkörper. Die kleineren PAC-3-Varianten haben eine geringere Reichweite von 19 Meilen.

Die USA sind darauf bedacht, der Ukraine Waffen zu liefern, mit denen sie keine Ziele in Russland angreifen können – auch weil man damit Vorwürfe und eine Eskalation aus Moskau verhindern will. Diskutiert wird offenbar, ob es eine Möglichkeit gibt, die Waffensysteme so zu programmieren, dass sie nicht auf russischem Territorium eingesetzt werden können, schreiben die Sicherheitsanalysten Michael Weiss und James Rushton auf Yahoo!News.

Lieferung von Defensivsystem argumentierbar

Russland kommentierte die Berichte über die mögliche Patriot-Lieferung zwar umgehend, dass man das als „Provokation“ sehen würde und den USA dringend empfehle, „die richtigen Schlussfolgerungen“ aus ihren Warnungen zu ziehen. Doch da Patriot ein reines Defensivsystem ist, scheint die Drohung für die USA verkraftbar zu sein: „Der Schutz ukrainischer Wohnblocks, Stromnetze und Umspannwerke ist schließlich kaum aggressiv oder eskalierend“, schreiben Weiss und Rushton. Dabei gehe es mittlerweile auch um die Sicherheit von Hunderten westlichen Diplomaten, heißt es weiter.

Logistische Probleme

Sie führen auch aus, dass die derzeitigen Luftabwehrsysteme der Ukraine nicht in der Lage seien, ballistische Kurzstreckenraketen iranischer Bauart abzufangen. Über eine Lieferung solcher Raketen von Teheran an Moskau wurde zuletzt spekuliert. Das Patriot-System sei dazu aber in der Lage.

Die beiden Sicherheitsanalysten weisen aber auch auf logistische Herausforderungen hin. So sei das Patriot-System schwer in die Ukraine zu schaffen – und auch sehr teuer. Eine einzige Rakete würde je nach Bauart zwischen drei und sechs Millionen Dollar kosten.

Einschulung dauert mehrere Wochen

Und fraglich ist auch, wie schnell das System von der ukrainischen Armee genützt werden kann. Allein die Ausbildung der ukrainischen Armee an dem System dauert in der Regel vier bis fünf Monate. Weiss und Rushton zitierten einen Offizier der US-Armee, der eine weit positivere Einschätzung abgibt. Bei der Einschulung der Ukrainer auf den Mehrfachraketenwerfer HIMARS habe man nur die Hälfte der veranschlagten Zeit gebraucht. Insofern könnte das beim Patriot-System ähnlich verlaufen, dann würde sich die Zeit auf acht bis zehn Wochen verkürzen.

Naheliegend und wahrscheinlich ist, dass Ukrainer – wie auch bei anderen Waffensystemen schon praktiziert – in Deutschland daran ausgebildet werden, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern.