Feuerwerk im Lusail Stadion in Doha
IMAGO/Uk Sports Pics Ltd
WM in Katar

Zwei Welten und mehrere Sieger

Eine „WM der Schande“, die niemand will – schon gar nicht im Winter. So oder so ähnlich war der Tenor vor dem Anpfiff in Katar, als sich alles um die Frage drehte: „Schaust du oder boykottierst du?“ Man müsse Sportliches und problematische Umstände trotz aller Verflechtungen getrennt bewerten und über Katar und die vielen negativen Seiten dieser WM reden, hieß es vielfach in Europa. Die großen Gewinner waren am Ende andere.

Sinnbild für die europäische Kritik am Gastgeberland war die Debatte über die „One Love“-Schleife, die von den Kapitänen der europäischen Starter als Zeichen für Vielfalt, Offenheit und Toleranz getragen werden sollte. Doch das Schleifenstatement wurde von den Verbänden nicht gesetzt, sie knickten trotz des von Deutschland und Co. großspurig angekündigten Vorhabens vor dem Internationalen Fußballverband (FIFA) ein. Schon an diesem Punkt zeigte sich, dass die Kritikstrategie nur schwer durchzuhalten sein wird.

Auch gab es keine Solidarität für dieses Anliegen – vielmehr war das Gegenteil der Fall: Groß verhandelt wurde die symbolisch aufgeladene Schleifenfrage nur in Europa. In anderen Teilen der Welt, etwa in Afrika und Südamerika, war der Fokus auf den rollenden Ball gerichtet. Und von Fans aus dem arabischen Raum standen Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser im Fokus – Ausdruck dafür waren Flaggen und entsprechende Accessoires bei vielen Spielen.

Palästinenser-Flaggen im Stadion
IMAGO/ANP
Insbesondere bei Spielen der Teams aus der arabischen Welt wurde Solidarität mit Palästinensern demonstriert

Arabische Solidarität und stolzes Afrika

Etwa bei Matches des Sensationsteams Marokko waren die palästinensischen Farben stark präsent. Und überhaupt wurde die WM ein Vehikel für die Stärkung der arabischen Solidarität – von Marrakesch über Beirut bis Dubai wurde die rote Flagge mit dem grünen Pentagramm geschwungen. Gleichzeitig erfüllte der Erfolg Marokkos den gesamten afrikanischen Kontinent mit Stolz. Und in Katar konnte man sich rasch des Umstands gewiss werden, wonach Kritik auf die westliche Welt beschränkt bleibt.

Und entsprechend wurde der Umgang Katars damit selbstsicherer, als etwa die verhinderte Schleifengeschichte im Zuge des deutschen Scheiterns in der Vorrunde ihre Fortsetzung fand. Denn die Spieler, die sich beim Teamfoto vor dem Japan-Match aus Protest die Hände auf den Mund hielten, bekamen in der Folge Schadenfreude aus Katar zu spüren. In der Sporttalksendung „Madschlis“ des katarischen Senders al-Kass stellten die Gäste nach dem Aus der deutschen Mannschaft die Geste nach – und winkten dabei sekundenlang schweigend (zum hämischen Abschied) in die Kamera.

Deutsche NAtionalmanncshaft und Moderatoren im katarischen TV halten sich die Hand vor den Mund
IMAGO/Ulmer/Teamfoto; Screenshot Twitter/EuroFoot
Deutscher Protest nach dem Schleifenbann (oben), der hämische Konter im katarischen TV nach dem deutschen WM-Aus

Am Ende steht nun die Erkenntnis, dass man den Eindruck einer allerorts unter Kritik stehenden WM mehr oder minder nur in Europa bekommen konnte. Und die entsprechende Annahme, dass während der WM nur über politische Belange geredet werden würde, löste sich mit Fortlauf des Turniers selbst in Europa zunehmend auf. Gefühlt begann das im Achtelfinale, zunehmend schienen sportliche Fragen in der europäischen Debatte die Oberhand zu gewinnen – die Kritikdebatte ermüdete.

Anders gelagerte Loyalitäten

Und schließlich war noch festzustellen, dass selbst innerhalb Europas an politisch höchsten Stellen Loyalitäten anders gelagert waren als gemeinhin angenommen: Zur Schlüsselfigur avancierte mit Eva Kaili ausgerechnet eine hochrangige Repräsentantin der höchsten Instanz der europäischen Volksvertretung. Der Vizepräsidentin des EU-Parlaments und weiteren Beschuldigten wird die „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption“ vorgeworfen.

Sie sollen von Katar dafür bezahlt worden sein, sich im EU-Parlament für dessen Interessen einzusetzen. Kailis Lebensgefährte hatte später gestanden, Teil einer Organisation gewesen zu sein, die von Katar und auch Marokko benutzt wurde, um sich in europäische Angelegenheiten einzumischen und diese zu beeinflussen. Seine Aufgabe soll es gewesen sein, Bargeld zu verwalten. Katar wies die Vorwürfe freilich zurück, aus Sicht Europas ist der Schaden immens.

Superstars auf Katars Payroll

Was den sportlichen Abschluss des Turniers betrifft, können Gastgeber Katar und die FIFA als Sieger bilanzieren. Der Gewinn des Weltfußballverbandes ist bereits in Zahlen gegossen: Gemeldet wurde ein Rekordumsatz von 7,25 Milliarden Euro in den letzten vier Jahren – vor allem durch die WM. Und Katar war bereits im Dezember 2010 großer Sieger der WM 2022 – bereits die Vergabe machte politisch und wirtschaftlich jede spätere locker Kritik wett.

Doch auch aktuell kann sich Katar als Sieger fühlen: Denn neben der ausgelaufenen Kritik aus Europa konnte man sich über ein Finale freuen, das wohl ganz im Sinne des Emirats verlief. Schließlich standen mit dem Argentinier Lionel Messi und mit dem Franzosen Kylian Mbappe jene zwei Spieler im Fokus des globalen Interesses, die über ihren Arbeitgeber Paris Saint-Germain auf der Payroll Katars stehen – der Staatsfonds Qatar Investment Authority ist Eigentümer.

Gianni Infantino, Lionel Messi Argentinien und Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani
IMAGO/Matthias Koch
Infantino, Messi und der Emir: Unbeschwerte Freude bei den Gewinnern der WM

Überlagerte Kritik

Was konnte dem Emirat und der insbesondere vonseiten Europas gescholtenen FIFA also Besseres passieren, als ein Finale, das durch mitreißende Drehungen und Wendungen – noch dazu maßgeblich durch die Superstars Messi und Mbappe beeinflusst – endgültig alle Kritik am Turnier überlagerte? Sport konnte also endlich ganz Sport sein, unbelastet von Politik – ganz, wie es die FIFA so gerne darstellt und der Öffentlichkeit fern der eigenen Ausrichtung weismachen will.

Wie ein Mantel legte sich die Euphorie über das finale Totalspektakel über die vielen Vorwürfe: Korruption, schwerste Menschenrechtsverletzungen, tote Gastarbeiter, offen geäußerte Abneigung gegen Homosexuelle und scheinbar längst verblichene Debatten über „One Love“-Schleifen, walisische Regenbogenhüte und generell die umstrittene und mutmaßlich durch Gegengeschäfte ungeahnten Ausmaßes erwirkte Austragung des Turniers in Katar.

Weltweit ausverkaufte Messi-Trikots

Dass Messi im Moment des Triumphs von Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani eine traditionelle Bischt (ein schwarzes mantelartiges Übergewand, das insbesondere auf der arabischen Halbinsel und im Iran getragen wird) umgelegt bekam, sorgte wiederum für Kritik. Gegen die Begeisterung kam diese letztlich nicht mehr an, vielmehr lobte sich Katar als Ausrichter der „besten WM der Geschichte“. Und, wie der Sportartikelhersteller adidas meldete, sind die Argentinien-Trikots mit dem Messi-Aufdruck ausverkauft – weltweit.