Besucher auf der Galerie während einer Nationalratssitzung
ORF.at/Roland Winkler
Langzeitstudie

Österreicher „misstrauisch-kritische Bürger“

Österreicherinnen und Österreicher haben laut einer Langzeitstudie über die letzten Jahrzehnte ihr Verhältnis zum Staat grundlegend verändert: Von einer „vertrauensvollen Untertanenkultur“ habe sich das Bewusstsein hin zu dem eines „misstrausch-kritischen Staatsbürgers“ entwickelt. Mit dieser positiven Entwicklung gehe ein zunehmend negatives Bild von Politikerinnen und Politikern einher.

Zu dieser Einschätzung kommen die beiden Meinungsforscher und Politologen Peter Hajek und Peter Ulram in einer am Dienstag präsentierten Langzeitstudie. Auf Basis repräsentativer Umfragen von 1974 bis 2022 haben sie das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Politik nachgezeichnet.

Die aktuellen Zahlen stammen aus einer repräsentativen Befragung im Juli 2022 mit 800 Interviews (telefonisch und online, Schwankungsbreite plus/minus 3,5 Prozent). Frühere Studien stammen aus dem wissenschaftlichen Fundus von Ulram und sind überwiegend GfK-Studien, die telefonisch oder persönlich durchgeführt wurden. Es handelt sich dabei um Eigenstudien ohne Auftraggeber.

Zwei Hauptfaktoren für Veränderung

Dass die Menschen im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte von einer Kultur der Untertanen eher zu kritischen Bürgern wurden, dafür machen Hajek und Ulram die Bildungsexplosion der 1970er Jahre und das Aufkommen einer Medienlandschaft jenseits der Parteizeitungen mitverantwortlich. Bürgerinnen und Bürger und politische Eliten lebten sich zunehmend auseinander: Auf der einen Seite stand eine Bevölkerung, die ein nachlassendes Sichkümmern der politischen Elite erlebte und sich gleichzeitig zunehmend politisch kompetenter und besser informiert fühlte.

Auf der anderen Seite standen politische Amtsträger, deren Anforderungen immer internationaler und komplexer wurden und die einer immer höher gebildeten und besser informierten Bevölkerung gegenüberstanden. Dass das Misstrauen gegenüber den politischen Eliten heute überwiegt, sei aber nicht ausschließlich den Krisen der letzten Jahre zuzurechnen.

Grafik zu einer Langzeitstudie von Peter Hajek und Peter Ulram
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Hajek/Ulram

Viel mehr Vertrauen in eigene Kompetenz

Die Einschätzung, in welchem Ausmaß sich die Politik um die Anliegen der Bevölkerung kümmert, liegt seit Jahrzehnten konstant auf niedrigem Niveau. Insgesamt schätzen 81 Prozent ihre Bedeutung für politische Eliten als niedrig ein. Deutlich gestiegen ist hingegen die Einschätzung der eigenen Kompetenz, politische Vorgänge bewerten zu können. Betrachteten sich 1989 lediglich 38 Prozent der Bevölkerung als ausreichend qualifiziert, um am politischen Geschehen teilnehmen zu können, tun das heute 60 Prozent.

65 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher glauben, einen guten Einblick in die wichtigsten Probleme des Landes zu haben, 1993 lag dieser Wert bei 53 Prozent. 28 Prozent sehen sich als gut qualifiziert, um am politischen Geschehen teilzunehmen. Weitere 30 Prozent sehen sich als ausreichend qualifiziert, und 41 Prozent sehen sich als nicht ausreichend qualifiziert.

Das deutlich schlechtere Image von Politikerinnen und Politikern zeigt sich etwa an der Frage, ob diese ihre Arbeit generell nicht gut machen. Stimmten hier 1981 30 Prozent zu, waren es heuer 64 Prozent.

Studie: Hohe Unzufriedenheit mit Regierung

70 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind laut einer neuen Studie mit der Arbeit der Regierung weniger oder gar nicht zufrieden. Einen derart schlechten Wert gab es zuletzt im Sommer 2016.

Vier Typen von Staatsbürgern

Hajek und Ulram leiten aus den Umfragedaten in der Folge vier „Effektivitätstypen“ ab:

  • Die „misstrauischen Staatsbürger“ sind mit 58 Prozent die größte Gruppe. Sie schätzen ihre eigenen Fähigkeiten, am politischen Geschehen teilzuhaben, zwar als hoch ein, die Wirkung und die Wahrnehmung ihrer Anliegen durch die politischen Eliten allerdings als niedrig. Diese Menschen sehen sich als selbstbewusste Staatsbürger, gegenüber der politischen Elite und deren Absichten sind sie misstrauisch.
  • „Misstrauische Untertanen“ bilden mit 28 Prozent eine Gruppe, die sich gegenüber den politischen Eliten ebenfalls skeptisch zeigt. Sie schätzen aber auch ihre eigene politische Kompetenz als niedriger ein.
  • „Vertrauensvolle Staatsbürger“ bilden mit zehn Prozent eine Gruppe, die einen positiven Blick auf die Politiker und deren Bemühen um die Gesellschaft wirft, wie auch auf ihre eigene Kompetenz, politische Prozesse zu verstehen.
  • „Vertrauensvolle Untertanen“ bilden mit vier Prozent schließlich die kleinste Gruppe. Diese Menschen haben ein positives Bild der politischen Elite und beurteilen die eigene Fähigkeit, politische Entwicklungen zu verstehen, zurückhaltend. Diese Gruppe war in den 1970er Jahren noch deutlich größer.

Keine vertrauensvollen Staatsbürger bei FPÖ

Betrachtet man die „Effektivitätstypen“ nach Parteipräferenz, fällt auf, dass bei den FPÖ-Wählern der „vertrauensvolle Staatsbürger“ überhaupt nicht vertreten ist, dafür sind drei Viertel „misstrauische Staatsbürger“. Bei den anderen Parteien macht die Gruppe der „vertrauensvollen Staatsbürger“ rund ein Viertel aus, bei der SPÖ allerdings auch nur acht Prozent, was Hajek mit der derzeitigen Oppositionsrolle der SPÖ erklärte.

Was nicht mehr geht

Trotz dieses Befundes hält Hajek die Demokratie für „sehr gefestigt“. Er verwies darauf, dass die Zahl der Menschen, die auch einer Diktatur gegenüber nicht abgeneigt sind, seit den 1990er Jahren zwischen neun und derzeit zwölf Prozent pendelt.

Und die Empfehlung des Experten hinsichtlich des gestiegenen Misstrauens der Bevölkerung lautet „Transparenz“. Als Beispiel nannte Hajek geheime Sideletter zu Koalitionsverträgen. So etwas „geht nicht mehr“. Und auch Hearings für öffentliche Positionen hielte er nicht für das Schlechteste.