Ein chinesischer Mann steht vor einem leuchtenden TikTok-Logo
AP/FeatureChina/Long Wei
TikTok

Zankapfel zweier Supermächte

Das soziale Netzwerk TikTok steht in den USA vor einer ungewissen Zukunft. Wegen Datenschutzbedenken haben bereits mehrere Bundesstaaten Beamten verboten, die chinesische App zu verwenden. Das könnte jedoch erst der Anfang sein. Denn ein nationales Verbot steht im Raum – was nicht nur rund 130 Millionen Nutzerinnen und Nutzer vor den Kopf stoßen, sondern auch die ohnehin angespannte Situation zwischen den beiden Großmächten USA und China weiter verschärfen dürfte.

Mehrere Bundesstaaten verbieten Beamten mittlerweile, die App auf ihren Diensthandys zu installieren. „South Dakota wird sich nicht an den Geheimdienstoperationen von Nationen beteiligen, die uns hassen“, sagte etwa die Gouverneurin Kristi Noem. Auch das Militär, das Weiße Haus, das Verteidigungs-, das Heimatschutz- und das Außenministerium haben TikTok bereits von Geräten im Besitz der US-Regierung verbannt.

US-Beamte und TikTok verhandeln seit Monaten über einen nationalen Sicherheitspakt, der die Bedenken über Chinas Zugriff auf die Daten der mehr als 100 Millionen US-Nutzerinnen und -Nutzer von TikTok ausräumen soll. Kemba Walden, die stellvertretende nationale Cyber-Direktorin, sagte, das Weiße Haus habe noch keine endgültige Entscheidung über ein Verbot getroffen, unterstütze aber „jede Maßnahme, die die Sicherheit erhöht“.

Datenschutzbedenken als Grund

Beim Gesetzesentwurf gegen TikTok nannten US-Politiker Datenschutzbedenken als Begründung. Die Herkunft der App schürt bereits länger die Sorge, dass das Unternehmen durch China ausgenutzt und manipuliert werden könnte. 2020 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump unter Verweis auf Risiken für die nationale Sicherheit mit einem Verbot gedroht und versucht, einen Verkauf des internationalen Geschäfts von TikTok zu erzwingen. China torpedierte das mit einem Verkaufsstopp für Software-Algorithmen.

Die USA-Zentrale von TikTok in Culver City (US-Bundesstaat Kalifornien)
Reuters/Mike Blake
Die TikTok-Zentrale in Culver City, Kalifornien

Trumps Nachfolger Joe Biden stoppte den Verbotsversuch – vor allem aus juristischen Gründen. Doch die Sicherheitsbedenken bestehen fort. So hatte etwa FBI-Direktor Christopher Wray im November erklärt, er sei „äußerst besorgt“ über die Aktivitäten von TikTok in den USA. Die chinesische Regierung könnte die App benutzen, um die Kontrolle über Daten der geschätzten 130 Millionen US-Nutzer von TikTok zu erlangen. Sie könne die Empfehlungsalgorithmen der Software manipulieren, um etwa politischen Einfluss auszuüben.

Zudem räumte ByteDance kürzlich ein, dass sich Mitarbeiter unerlaubt Zugang zu Daten von zwei US-Journalisten verschafft haben. Die Angestellten seien inzwischen entlassen worden, hieß es in einer E-Mail, in die die Nachrichtenagentur Reuters Einblick erhielt.

Nationales Verbot möglich

Und auch national könnte die Zeit für die App abgelaufen sein, schreibt die „New York Times“ („NYT“). Das Verbot für Beamte betreffe die gesamte TikTok-Nutzerbasis kaum, sagte Matthew Quint, ein Markenexperte an der Columbia Business School. „Die Frage ist eher, ob diese Aktion den Stein ins Rollen bringt, um eine parteiübergreifende Bewegung für ein vollständiges Verbot des Dienstes aufgrund einer potenziellen Bedrohung der nationalen Sicherheit zu schaffen.“

Denn für viele gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Laut dem US-Magazin „Politico“ erwägt die Biden-Administration derzeit, ob sie den chinesischen Eigentümer von TikTok dazu zwingen soll, sich von seinen US-Geschäften zu trennen. Das Finanzministerium sei einem Kompromissvorschlag gegenüber aufgeschlossener, der es ByteDance erlauben würde, zumindest nominelle Eigentumsrechte an der App in den USA zu behalten, so eine Quelle. Wenn sich die Parteien nicht einigen können, dann sei eine Anordnung, die ByteDance zwingt, sich von der App in den USA zu trennen, das wahrscheinlichste Ergebnis.

Tiktok-App am Handy
IMAGO/NurPhoto
TikTok ist laut Data.ai die siebentmeist heruntergeladene App der 2010er Jahre

TikTok dementiert Vorwürfe

TikTok dementierte die Vorwürfe und verwies auf gemeinsam erarbeitete Kompromisse. „Wir sind enttäuscht, dass so viele Staaten auf den Zug aufspringen, um Maßnahmen zu ergreifen, die auf unbegründeten, politisch aufgeladenen Unwahrheiten über TikTok basieren“, sagte Hilary McQuaide, eine Sprecherin von TikTok, in einer dem CNN zur Verfügung gestellten Erklärung.

Im Juni gab TikTok bereits bekannt, dass „100 Prozent des Datenverkehrs der US-Nutzer an die Oracle Cloud Infrastructure weitergeleitet werden“. Das bedeutet, dass die Daten der in den USA ansässigen TikTok-Nutzer in den USA gespeichert werden, was zwar nicht alle Datenschutzbedenken ausräumt, aber als ein Anfang gesehen wird. Die Regierung Biden hat die Ergebnisse der im Juni 2021 eingeleiteten Sicherheitsüberprüfung der App noch nicht veröffentlicht.

Zunehmende Rivalitäten zwischen USA und China

Auch bei anderen chinesischen Technologiefirmen wie Huawei brachten Abgeordnete beider Parteien kürzlich einen Gesetzesentwurf ein, der die Unternehmen von Geschäften mit US-Banken ausschließt. Derartige Entwicklungen sind auch vor dem Hintergrund von Chinas wirtschaftlichem Aufschwung zu sehen: Die kommunistische Volksrepublik wurde in den letzten Jahren insbesondere im Tech-Bereich zu einem der größten Konkurrenten des Silicon Valley.

Parallel dazu haben sich die internationalen Beziehungen Chinas mit westlichen Ländern etwa wegen Handelskonflikten bzw. im Zuge der Pandemie und des Ukraine-Krieges stark verschlechtert. Die USA könnten sich nach wie vor nicht mit der staatlich gelenkten Wirtschaft Chinas, der Menschenrechtslage und den militärischen Absichten des Landes arrangieren, schreibt „Politico“. Auf der anderen Seite nehme China die USA als übermäßig hegemonial und potenzielle Bedrohung für die Stabilität des Regimes wahr.

Der chinesische Präsident Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden
Reuters/Kevin Lamarque
Die Fronten zwischen den USA und China gelten als verhärtet

Eine harte Haltung gegenüber China sei der einzige Standpunkt, bei dem in den USA überparteilicher Konsens herrsche, schreibt die „NYT“. In dem angespannten geopolitischen Kontext werde TikTok als trojanisches Pferd für chinesischen Einfluss betrachtet. Das chinesische Außenministerium kritisierte in Bezug auf Huawei die „Verallgemeinerung des Konzepts der nationalen Sicherheit durch die USA und den Missbrauch der Staatsmacht zur Unterdrückung chinesischer Unternehmen“. TikTok bezeichnete die geplanten Verbote in einer Erklärung als „politische Geste“.

US-Regierung kommuniziert über TikTok

Trotz der Bedenken setzt die US-Regierung in ihrer Kommunikation paradoxerweise selbst zunehmend auf die Onlineplattform. „Wir sind uns bewusst, dass das ein äußerst wichtiger Weg ist, um die amerikanische Öffentlichkeit über die neuesten Entwicklungen zu informieren“, sagte der Direktor für digitale Strategie des Weißen Hauses, Rob Flaherty, kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine in einer Konferenz mit 30 TikTok-Beauftragten.

Die widersprüchliche Herangehensweise der US-Regierung an TikTok, die App einerseits als wichtige Verbindung zur Öffentlichkeit und andererseits als potenzielles Werkzeug ausländischer Einflussnahme darzustellen, sei vielleicht „eine passende Antwort auf das völlig einzigartige Problem, das TikTok darstellt“, schreibt die „NYT“.

Verbot könnte Image beeinträchtigen

Denn kein chinesisches Unternehmen hat die amerikanische Gesellschaft je so erobert wie TikTok. Facebook brauchte fast neun Jahre, um eine Milliarde Nutzer zu erreichen, TikTok schaffte es in fünf Jahren. Laut dem GlobalWebIndex wird TikTok von 18 Prozent der weltweiten Internetnutzer zwischen 16 und 64 Jahren genutzt. Bis Ende 2022 werden international 1,8 Milliarden monatliche aktive Nutzer prognostiziert.

Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Fachleute sagten, dass die Verbote der US-Regierung dem Ruf des Unternehmens schaden könnten, was wiederum wertvolle Werbekundinnen und -kunden abschrecken könnte. „Das ist es, was TikTok massiv gefährdet: dass sich der Ruf der Marke auf die Gesamteinnahmen auswirkt, die sie erzielen können“, sagte Eunice Shin, Partnerin beim Markenstrategen Prophet.

Chinesisches Unternehmen nach amerikanischem Vorbild

TikTok ist zwar die einzige Onlineplattform mit globaler Reichweite, die nicht aus den USA stammt, ihre Entwicklung ist aber eng mit der anderer westlicher Tech-Unternehmen verflochten. ByteDance-Gründer Zhang Yiming zeigte sowohl in politischer als auch in kultureller Hinsicht eine Vorliebe für den Westen und setzte sich unter anderem gegen chinesische Zensur im Internet ein, besuchte das Silicon Valley und beriet sich mit amerikanischen Investoren. 2017 erwarb er die chinesische Lipsync-Plattform Musical.ly, die in den USA bereits populär war und aus der schlussendlich TikTok hervorging.

Als Zhang ByteDance 2012 gründete, war Xi Jinping noch nicht an der Macht, und man konnte sich noch vorstellen, dass sich das Land auf einem Weg zu mehr Reformen und Offenheit bewegen würde, so die „NYT“. Doch unter Xi wurde diese Hoffnung im Keim erstickt. TikTok selbst ist in China nicht verfügbar – die Nutzer dort müssen auf eine andere ByteDance-App zugreifen, die den Richtlinien der chinesischen Regierung zu Zensur und Propaganda folgt.