Ein Mann räumt nach einem russischen Angriff in Bachmut (Ukraine) Trümmer von der Straße
AP/Libkos
Bachmut

Russen rücken in „östliche Festung“ vor

Russische Kräfte sind nach britischer Einschätzung in die umkämpfte Stadt Bachmut in der Ostukraine eingedrungen. Die Straßenkämpfe dauerten an. Erst am Dienstag hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj der „östlichen Festung“ überraschend einen Besuch abgestattet. Russlands Präsident Wladimir Putin behauptete unterdessen einmal mehr, dass der Westen am Krieg schuld sei.

In Bachmut lobte Selenskyj die ukrainischen Truppen für ihren „Mut, ihre Unverwüstlichkeit und ihre Stärke“. Im Hintergrund waren allerdings Artilleriegeschütze zu hören. „Die russische Infanterie hat jetzt wahrscheinlich in den östlichen Industriegebieten der Stadt Fuß gefasst und ist zeitweise in die Wohnviertel der Stadt vorgedrungen“, hieß es am Mittwoch aus einem Lagebericht des britischen Verteidigungsressorts.

Bei den russischen Truppen in Bachmut handle es sich um reguläres Militär und um Söldner der Gruppe Wagner. Seit den Kämpfen um die Städte Lyssytschansk und Sjewjerodonezk im Juli habe es in dem Krieg nur wenige Gefechte in Ballungszentren gegeben, hieß es in London. Solche Schlachten erforderten gut trainierte Infanterie. „Es ist unwahrscheinlich, dass diese Art von Kampf schlecht ausgebildete Wagner-Kämpfer und die mobilisierten Reservisten der russischen Armee begünstigt.“

Beschädigte Häuser und Rauschschwaden nach einem russischen Angriff in Bachmut (Ukraine)
Reuters/Yevhen Titov
Bachmut ist seit dem Sommer hart umkämpft – russische Angriffe hinterlassen eine Geisterstadt

Besuch an gefährlicher Front

Bachmut liegt in Donezk, einer der vier ukrainischen Regionen, die der russische Präsident Waldimir Putin im September für annektiert erklärte. Die Regionen werden aber nur zum Teil von russischen Truppen kontrolliert. Russische Streitkräfte versuchten seit dem Sommer, die Stadt einzunehmen. Zermürbende Kämpfe haben in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Toten auf beiden Seiten geführt. Bachmut sei die „östliche Festung der Ukraine“, hieß es aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium.

Wohl auch deshalb besuchte Selenskyj am Dienstag die Front. Der ukrainische Staatssender Freedom verbreitete ein Video, das den Präsidenten zeigt, wie er Soldaten in Bachmut Orden überreicht. „Ich wünschte, es gäbe Licht, aber die Situation ist so schwierig, dass es Licht gibt – und dann nicht mehr“, sagte Selenskyj in Anspielung auf die Stromausfälle im ganzen Land nach schweren russischen Luftangriffen in den vergangenen Wochen.

Selenskyj hat während des seit fast zehn Monaten andauernden Krieges mit Russland bereits mehrfach Orte an der Front besucht, darunter Cherson im Süden, das kürzlich von den ukrainischen Streitkräften zurückerobert wurde, sowie die Stadt Slowjansk im Donbas. Der Frontbesuch in Bachmut war sein bisher gefährlichster. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) nannte den Besuch eine „machtvolle Demonstration“. Laut Präsidialamt steht Bachmut im Zentrum der Kämpfe an der Ostfront.

Putin verspricht Armee Unterstützung

Selenskyj war allerdings nicht der Einzige, der Orden verteilte. Auch Putin zeichnete im Kreml Soldaten sowie Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft mit Orden aus, wie im Fernsehen zu sehen war, darunter auch im Osten der Ukraine eingesetzte Separatistenführer. Zuvor hatte Putin Probleme in den annektierten Regionen eingeräumt: „Die Situation in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie in den Regionen Cherson und Saporischschja ist extrem schwierig.“

Videokonferenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin
IMAGO/ZUMA Wire/Mikhail Metzel/Kremlin Pool
Putin machte erneut „geopolitische Rivalen“ für den russischen Angriff auf die Ukraine verantwortlich

Am Mittwoch legte Putin nach und sagte den Streitkräften die volle Unterstützung bei den Kämpfen zu. Es gebe dafür von der Regierung keine finanziellen Grenzen, sagte er. Dabei beharrte der russische Präsident auf seiner Interpretation des russischen Angriffs auf die Ukraine. Das Land sei durch „geopolitische Rivalen“ manipuliert worden. Was jetzt passiere, sei nicht das Ergebnis russischer Politik, sondern Frucht der Politik von „Drittländern“, so Putin, gegen den bereits Vorwürfe des Kriegsverbrechens erhoben wurden.

Der Präsident stellte sich somit einmal mehr als Opfer dar: Nicht Russland habe die Aggression begonnen, sondern der Westen, der 2014 den Umsturz in der Ukraine unterstützt habe. Putin sagte, dass er über Jahre eine Annäherung an den Westen versucht habe, aber dort nicht erwünscht gewesen sei. Die Erfahrung im Kampf gegen den Einsatz von NATO-Waffen in der Ukraine solle analysiert und genutzt werden für den Aufbau der russischen Streitkräfte, sagte Putin. „Unsere militärischen Möglichkeiten wachsen mit jedem Tag.“

Mehr Soldaten gegen Personalmangel

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu warf dem Westen vor, den Krieg mit Waffenlieferungen in die Länge ziehen zu wollen. Er räumte aber ein, dass die Teilmobilmachung, bei der rund 300.000 Reservisten einberufen wurden, eine „schwere Prüfung“ für das Land und die Armee gewesen sei. Sie habe die Kampfkraft Russlands erhöht, so Schoigu. Putin sagte, das Verteidigungsministerium müsse die Kritik an dem Krieg zur Kenntnis nehmen.

Seit Wochen weist die russische Führung Ängste in der Bevölkerung zurück, es könne eine zweite Welle der Mobilmachung geben. Hunderttausende Russen sind deshalb ins Ausland geflohen. Lösen will Russland den Personalmangel über weitere Soldaten im aktiven Militärdienst. Schoigu schlug vor, die Zahl der Soldaten auf 1,5 Millionen anzuheben. Das entspricht einer Aufstockung von 350.000 Soldaten. Vor allem bei den Zeitsoldaten soll deutlich nachgelegt werden. Deren Zahl soll auf 695.000 steigen.

Zugleich wird auch der Alterszeitraum, in dem junge Männer als Wehrpflichtige eingezogen werden können, erweitert. Schoigu schlägt als Höchstgrenze 30 Jahre vor. Bisher wurden in Russland vor allem junge Männer nach Vollendung des 18. Lebensjahres einberufen. Das alles dient nach Schoigus Angaben auch dem notwendigen Ausbau der Streitkräfte wegen der NATO-Erweiterung. Daher forderte der 67-Jährige, gerade im Nordwesten Russlands an der Grenze zu den potenziellen neuen NATO-Staaten Schweden und Finnland neue Einheiten aufzustellen.