Strommasten
ORF.at/Christian Öser
Energie

Lehren aus dem Jahr der Preisexplosionen

Nach einem Jahr der Preisexplosionen hat sich die Situation auf den Energiemärkten Anfang 2023 deutlich beruhigt. Die Zeit der günstigen fossilen Energie ist nach Ansicht von Fachleuten aber vorbei. Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur plädiert dafür, den 2022 nicht ganz freiwillig eingeschlagenen Pfad – weg von russischem Erdgas, Energiesparen und Ausbau Erneuerbarer – beizubehalten.

An den Großhandelsplätzen hat der europäische Gaspreis seinen Sinkflug zuletzt fortgesetzt. Der für den Gashandel richtungsweisende Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas bewegt sich aktuell rund um die 70 Euro pro Megawattstunde. So günstig war europäisches Erdgas zuletzt vergangenen Februar vor der russischen Invasion in der Ukraine.

Der Gaspreis hatte sich bereits seit Herbst 2021 auf erhöhtem Niveau bewegt. Nach einem vorübergehenden Lieferstopp Russlands stieg er im vergangenen Sommer zeitweise auf 345 Euro pro Megawattstunde. Im langjährigen Durchschnitt waren es in dieser Jahreszeit 20 Euro.

„Trendumkehr“ nicht in Sicht

„Insgesamt zeigen die derzeitigen Prognosen, dass sich die Großhandelspreise auch im kommenden Jahr auf einem höheren Niveau einpendeln werden, als wir es in den letzten paar Jahren gesehen haben“, sagt Dolna-Gruber. Eine „Trendumkehr“ sei derzeit nicht in Sicht, „kurzfristige Preissenkungen bei Strom und Gas sind eher nur als Ausreißer zu werten“, so der Energieexperte.

Die Preisausschläge haben schmerzlich vor Augen geführt, wie sehr sich der Kontinent im Allgemeinen und Österreich im Besonderen von russischem Erdgas abhängig gemacht hatten. Zudem sind sie Beleg dafür, dass Kreml-Chef Wladimir Putin im Ukraine-Krieg nicht davor zurückschreckt, Energie als Druckmittel einzusetzen, obwohl Europa 2021 der weltweit mit Abstand größte Exportmarkt von russischem Erdgas war.

Seit Beginn der Invasion hat Österreich die Abhängigkeit von russischem Erdgas stark verringern können. Im November stammten 41 Prozent der insgesamt importierten Gasmenge aus Russland, im Februar waren es noch fast 79 Prozent gewesen, wie Daten der E-Control zeigen. Für Dezember liegen noch keine Zahlen vor.

Chinas Energiehunger

Dass Österreich und andere europäische Staaten die Abhängigkeit so rasch verringern konnten, sei eine „Überraschung, mit der im Februar kaum jemand gerechnet hat“, so Dolna-Gruber. Die Abkehr ist nicht rein freiwillig erfolgt und sie war teuer, da die Ausfälle bei billigem russischem Erdgas mit teurem Flüssigerdgas (LNG) ausgeglichen werden mussten.

Der Wettlauf um LNG-Ressourcen ist eine der großen Unbekannten, von denen die Entwicklung der Gaspreise heuer abhängen wird. Eine zentrale Rolle spielt China. Nach dem abrupten Ende der Null-Covid-Politik versucht die Staatsführung, die Wirtschaft anzukurbeln, was Auswirkungen auf den LNG-Markt hat.

„Wenn sich die Gasnachfrage in China erhöht, dann reduziert das die Verfügbarkeit der Gasmenge in Europa bei LNG“, sagt E-Control-Vorstand Alfons Haber gegenüber ORF.at. LNG ist vereinfacht gesagt Erdgas, das bei Temperaturen unter minus 160 Grad Celsius verflüssigt wird. Für diesen kostspieligen Prozess braucht es spezielle Anlagen. Ein Engpass und damit verbunden eine starke Preissteigerung könnte es Haber zufolge auch bei den Frachtschiffen geben, mit denen das verflüssigte Gas um die Welt transportiert wird.

Ukraine-Krieg und Gaspreisdeckel

Weitere Unbekannte ist die Entwicklung des Ukraine-Kriegs. Die NATO erwartet eine neue russische Offensive im Frühjahr. Moskaus Truppen erlitten zuletzt allerdings einige militärische Rückschläge. Ob und inwieweit der Kreml Energie als Druckmittel einsetzen wird, lässt sich schwer vorhersagen. „Mit jedem Lieferstopp hat Putins Energiewaffe an Feuerkraft verloren“, sagt Dolna-Gruber. Dennoch sollte man davon ausgehen, mit weniger russischem Gas auskommen zu müssen als im Vorjahr.

Für die bis März laufende Heizperiode geben Fachleute von Klimaministerium, E-Control und Energieagentur Entwarnung. Selbst im schlechtesten Szenario, wenn Russland seine Erdgaslieferungen komplett einstellen würde, wäre die Versorgung gesichert. Zu verdanken sei das vor allem der strategischen Gasreserve im Eigentum der Republik, die 2022 als Reaktion auf die Verknappung bei Gas angelegt wurde und etwa 20 Terawattstunden umfasst, sagt Dolna-Gruber.

Um rapide Preisanstiege heuer zu verhindern, haben sich die EU-Staaten auf einen Gaspreisdeckel geeinigt, der am 15. Februar aktiviert werden soll. Ausgelöst wird er, wenn der Preis auf dem Großhandelsplatz TTF drei Tage in Folge 180 Euro pro Megawattstunde überschreitet und gleichzeitig 35 Euro höher ist als der internationale LNG-Preis. Somit kann der Preis, wenn der Mechanismus ausgelöst wurde, auch über 180 Euro pro Megawattstunde liegen. Einmal ausgelöst, gilt der Mechanismus für 20 Tage.

Klimakrise spielt komplexe Rolle

Eine komplexe Rolle im Gesamtgefüge spielen die Auswirkungen der Klimakrise. Aufgrund der für diese Jahreszeit ungewöhnlich hohen Temperaturen ist der Gasverbrauch aktuell niedrig, die Speicher können weiter gefüllt werden. Länger werdende Trockenperioden und die damit verbundenen niedrigen Pegelstände der Flüsse führten im Vorjahr allerdings in einigen Ländern zu Problemen bei der Stromerzeugung durch Wasserkraftwerke und AKWs.

Gas einsparen „perspektivisch notwendig“

Die Erfahrungen aus der kurzfristigen Reaktion im Vorjahr sollten genutzt werden, um langfristig einen „sinnvollen Weg“ einzuschlagen, sagt Dolna-Gruber. Die Abhängigkeit von importiertem Erdgas müsse weiter reduziert werden. Schlüssel dazu ist aus seiner Sicht der effizientere Einsatz von Energie.

„Gas einsparen wird sicher perspektivisch notwendig sein in den nächsten ein, zwei Jahren“, betont auch E-Control-Vorstand Haber. „Umso weniger Gas wir beschaffen müssen, weil der Verbrauch geringer ist, umso sicherer sind wir mit der Versorgung.“

Ambitionierte Ziele bei den Erneuerbaren

Ersetzt werden soll das importierte Erdgas mittel- und langfristig durch erneuerbare Energie aus Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie. In Sachen Photovoltaik wird für heuer ein Rekord bei den neu installierten PV-Anlagen erwartet.

Bei der Stromproduktion hat sich Österreich ambitionierte Ziele gesetzt. Ab 2030 soll der Gesamtstromverbrauch zu 100 Prozent national bilanziell mittels erneuerbarer Energiequellen gedeckt werden, sieht das 2021 im Nationalrat verabschiedete Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vor. Das Ziel bezieht sich rein auf den Strom.

Ein konkretes Gesamtenergieziel gibt es dagegen nicht, „nachdem Österreich bis dahin die Klimaneutralität erreicht haben will, kann man von einem Erneuerbaren-Anteil jenseits der 90 Prozent ausgehen“, so Dolna-Gruber. Der aktuelle Wert liegt bei 36,4 Prozent.

Gesetzesvorhaben „über Ziellinie bringen“

Um den raschen Ausbau zu ermöglichen, sei es wichtig, „weit fortgeschrittene legistische Vorhaben wie das Energieeffizienzgesetz, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz und das Erneuerbares-Gas-Gesetz 2023 endlich über die Ziellinie zu bringen“, so Dolna-Gruber.

In puncto erneuerbare Stromerzeugung gebe das EAG dem Ausbau einen dauerhaften Förderrahmen. Daneben brauche es „flankierende Maßnahmen“. Darunter fallen laut Dolna-Gruber Schritte zu veränderter Raumplanung in den Ländern, die Sicherung von Fachkräften und den raschen Ausbau von Stromnetzen und -speichern.