Notaufnahme eines Krankenhauses in der südwestlichen chinesischen Stadt Chongqing
APA/AFP/Noel Celis
Coronavirus

Bange Blicke Richtung China

Das Coronavirus breitet sich in China nach der Abkehr von der Null-Covid-Politik ungebremst aus, die täglichen Neuinfektionen überschreiten Berechnungen zufolge die Millionengrenze. Von Peking gibt es keine offiziellen Zahlen, der offensichtliche Versuch, das Ausmaß der Infektionswelle herunterzuspielen, lässt weltweit die Alarmglocken schrillen. Die Furcht vor Mutationen wächst.

Nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Zwangsquarantäne und Massentests hat China am 7. Dezember seine harte Null-Covid-Politik abrupt aufgehoben. Die Kehrtwende wurde damit begründet, dass die Infektionen mit den neuen Omikron-Varianten nicht mehr so schwer verliefen. Doch sahen Experten und Expertinnen den Grund vor allem darin, dass die strikten Maßnahmen angesichts der explosionsartigen Ausbreitung nicht mehr durchgehalten werden konnten und sich die Proteste dagegen intensivierten. Darüber hinaus hatten die Beschränkungen die zweitgrößte Volkswirtschaft zunehmend belastet.

Seither verbreitet sich das Virus mit einer ungekannten Geschwindigkeit unter den rund 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas und der Hauptstadt Peking sind nach internen Schätzungen der chinesischen Gesundheitsbehörde infiziert, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Freitag berichtete. Wie die Behörde zu ihrer Schätzung kam, ist allerdings unklar, nachdem das Land sein einst umfassendes Netz von PCR-Teststationen geschlossen hat und die Coronavirus-App abgedreht wurde.

Leere Straßen im Finanzdistrikt von Shanghai
Reuters/Aly Song
Ungewohnte Leere in der Wirtschaftsmetropole Schanghai – die Hälfte der Bewohner dürfte derzeit infiziert sein

Nur ein Bruchteil wird bekanntgegeben

Die Entwicklung wird im Ausland mit Sorge betrachtet, da China das Ausmaß und die Schwere der Infektionswelle herunterspielt. So melden Gesundheitsbehörden offiziell nur wenige tausend Infektionen täglich, während Modellrechnungen des in London ansässigen Forschungsinstituts Airfinity gegenwärtig von wahrscheinlich mehr als einer Million Infektionen und mehr als 5.000 Toten am Tag ausgehen.

Bloomberg nannte am Freitag unter Berufung auf interne Schätzungen der obersten Gesundheitsbehörde Pekings noch weitaus erschreckendere Zahlen: An einem einzigen Tag in dieser Woche könnten sich fast 37 Millionen Menschen infiziert haben. Bis zu 248 Millionen Menschen sollen es in den ersten 20 Dezember-Tagen gewesen sein. Das geht aus dem Protokoll einer internen Sitzung der Nationalen Gesundheitskommission Chinas vom Mittwoch hervor, das von an den Gesprächen beteiligten Personen bestätigt wurde, schrieb Bloomberg.

China: Coronavirus breitet sich rasant aus

Das Coronavirus breitet sich in China nach der Abkehr von der Null-Covid-Politik ungebremst aus. Die täglichen Neuinfektionen überschreiten Berechnungen zufolge die Millionengrenze. Von Peking gibt es keine offiziellen Zahlen. Nach unbestätigten internen Schätzungen haben sich im Dezember 248 Millionen Menschen bzw. 18 Prozent der Bevölkerung mit CoV infiziert, wie aus Notizen von einem Treffen der nationalen Gesundheitskommission hervorgeht. Die Furcht vor Mutationen wächst.

Die rasante Verbreitung lässt weltweit die Sorgen wachsen, dass sich neue Varianten des Coronavirus in dem Land bilden könnten. US-Außenminister Antony Blinken forderte Peking am Freitag auf, Informationen bereitzustellen. In einem Telefonat mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi unterstrich er „die Notwendigkeit von Transparenz für die internationale Gemeinschaft“. Auch das Nachbarland Indien ist alarmiert und versucht, sich auf einen möglichen Anstieg der Fälle im eigenen Land vorzubereiten.

Deutscher Ruf nach Stopp der Flugverbindungen

In Deutschland forderte der deutsche außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, einen Stopp der Flugverbindungen mit der Volksrepublik. Die durch die verfehlte Politik „verursachten explodierenden Covid-Zahlen in China bedrohen die ganze Welt mit einer neuen Infektionswelle“, sagte der CDU-Abgeordnete. Das Verkehrsministerium in Berlin wies das Ansinnen zurück. „De facto finden kaum noch Flüge zwischen Deutschland und China statt", erklärte ein Sprecher des Ministeriums. „Ein einseitiges deutsches oder EU-weites Einflugverbot“ sei zudem „nicht zielführend, solange es alternative Routen über die Golfstaaten oder die Türkei gibt“.

Chinas Gesundheitsamt forderte die Provinzbehörden unterdessen auf, regelmäßig Proben des Virus zu analysieren und über die Ergebnisse zu berichten. Um neue Varianten zu entdecken, wurden drei Krankenhäuser in jeweils drei Städten auserkoren, die jede Woche Proben sammeln. Nach der Entschlüsselung der Genome soll über die Ergebnisse innerhalb einer Woche berichtet werden. So könnten „mögliche Symptome, Übertragungsfähigkeiten und Pathogenität neuer Varianten mit potenziellen biologischen Veränderungen“ in Echtzeit beobachtet werden, sagte der Direktor des Virusinstituts des Gesundheitsamtes, Xu Wenbo, laut Nachrichtenagentur Xinhua.

Eine Million Tote befürchtet

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das globale Ende der Pandemie wegen der Infektionsausbrüche in China jedenfalls abgesagt. „Die Frage ist, ob man es tatsächlich postpandemisch nennen kann, wenn ein bedeutender Teil der Welt gerade in die zweite Welle eintritt“, sagte die niederländische Virologin Marion Koopmans diese Woche. Warnungen kursieren, dass in China nach der Omikron-Welle über eine Million Tote zu beklagen sein werden. Wobei die Regierung dazu übergegangen ist, die Definition von Tod durch das Coronavirus viel enger zu fassen: Nur wenn tatsächlich das Virus todbringend war, werden die Opfer von der Statistik erfasst.

Eine Schlange vor einer Apotheke in Peking
Reuters/Xiaoyu Yin
Hunderte Apotheken melden einen Mangel an Fiebermedikamenten, die Abgabe wird vielerorts rationiert

Chinas abrupter Politikwechsel traf das fragile Gesundheitssystem unvorbereitet: Krankenhäuser suchen händeringend nach Betten, Apotheken nach Medikamenten, die Behörden treiben den Bau von Kliniken voran. Peking etwa hat provisorische Krankenhäuser und zentrale Quarantäneeinrichtungen eingerichtet und die Zahl der Fieberkliniken drastisch erhöht. Darunter könnten jedoch ländliche Gebiete leiden, da sich die überwiegende Mehrheit der chinesischen Intensivbetten in den Städten befindet.

Viele Versäumnisse

Fachleute und politische Analysten, die von Reuters befragt wurden, nannten das Versäumnis, ältere Menschen zu impfen und der Öffentlichkeit eine Ausstiegsstrategie zu vermitteln, sowie die übermäßige Konzentration auf die Beseitigung des Virus als Ursachen für die Belastung der medizinischen Infrastruktur Chinas. China hat in den letzten drei Jahren viel Geld für Quarantäne- und Testeinrichtungen ausgegeben, anstatt Krankenhäuser und Kliniken zu verstärken und medizinisches Personal auszubilden, so die Befragten.

Die vor drei Wochen eingeleitete Impfaktion für ältere Menschen hat noch keine Früchte getragen. In China sind nach offiziellen Angaben rund 90 Prozent der Menschen mindestens einmal geimpft, bei Zweit- und Drittstichen wird die Zahl deutlich dünner. In der besonders vulnerablen Gruppe der über 80-Jährigen haben nur rund 42 Prozent eine Auffrischungsimpfung erhalten. Zudem wurden nur im Inland entwickelte Covid-19-Impfstoffe zugelassen, die alle als weniger wirksam gelten als die im Westen hergestellten Impfstoffe, die die neue mRNA-Technologie verwenden.