Eine Frau vor Panzersperren in Kiew
APA/AFP/Sergei Supinsky
Erhöhte Wachsamkeit

Kiew erwartet neue Angriffe über Feiertage

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor möglichen russischen Angriffen an den kommenden Feiertagen und während der Urlaubszeit gewarnt. „Mit der nahenden Ferienzeit könnten die russischen Terroristen wieder aktiv werden“, sagte Selenskyj am Freitagabend in einer Videoansprache.

Selenskyj forderte die Ukrainerinnen und Ukrainer auf, in den kommenden Tagen besonders wachsam zu sein. „Bitte beachten Sie daher die Luftschutzsignale, helfen Sie sich gegenseitig und achten Sie immer aufeinander.“ Gleichzeitig richtete er eine ungewöhnlich scharfe Warnung an Russland. „Die Bürger Russlands müssen klar verstehen, dass Terror nie unbeantwortet bleibt“, sagte er – ohne das näher zu erläutern.

Ziel russischer Angriffe war ukrainischen Angaben zufolge am Samstag die südukrainische Stadt Cherson. Mindestens zehn Menschen wurden getötet und über 55 verletzt, wie der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Kyrylo Tymoschenko, mitteilte.

„Das ist Terror“

Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten von einer Reihe von Bombenangriffen, die den zentralen Markt und angrenzende Straßen in Cherson trafen. Der Angriff habe sich nicht gegen militärische Einrichtungen gerichtet, so Selenskyj, der auf Telegram erneut von Terror sprach. „Das ist kein Krieg nach den festgelegten Regeln. Das ist Terror, das ist Töten zur Einschüchterung und zum Vergnügen.“

Die Stadt war am 11. November nach acht Monaten russischer Besatzung von der ukrainischen Armee befreit worden. Seitdem steht Cherson wieder unter ukrainischer Kontrolle, in den vergangenen Wochen war es jedoch regelmäßig Ziel russischer Angriffe. Diese richteten sich insbesondere gegen die Energieinfrastruktur.

Tote bei russischem Angriff auf Cherson

Bei einem russischen Angriff auf die südukrainische Stadt Cherson sind Dutzende Menschen getötet und verletzt worden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP an Ort und Stelle berichteten von einer Reihe von Bombenangriffen, die den zentralen Markt und angrenzende Straßen in Cherson trafen. Der Angriff habe sich nicht gegen militärische Einrichtungen gerichtet, so der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Selenskyj pocht auf Weihnachtswunder

Der ukrainische Präsident munterte unterdessen seine Landsleute in einer Ansprache zu Weihnachten auf. Man habe Angriffen, Drohungen, nuklearer Erpressung, Terror und Raketenangriffen widerstanden, sagte er in einer Videoansprache unter freiem Himmel mit einem Christbaum im Hintergrund. „Wir werden auch diesen Winter aushalten, weil wir wissen, wofür wir kämpfen.“ Selbst in völliger Dunkelheit werde man einander fest umarmen.

„Und wenn es keine Wärme gibt, werden wir uns lange umarmen, um uns gegenseitig zu wärmen. (…) Wir werden lächeln und glücklich sein, wie immer. Es gibt nur einen Unterschied – wir werden nicht auf ein Wunder warten, denn wir erschaffen es selbst.“ Selenskyj sprach damit diejenigen seiner Landsleute an, die im Dezember Weihnachten feiern. Die meisten sind orthodoxe Christen und begehen das Fest erst Anfang Jänner.

Große Schäden bei Angriffen auf Energieversorgung

Die russischen Militärs haben in den vergangenen Wochen immer wieder das Energieversorgungsnetz der Ukraine mit Marschflugkörpern, Raketen und Drohnen angegriffen. Trotz hoher Abschusszahlen der ukrainischen Luftabwehr richteten die Angriffe große Schäden an – weitreichende Ausfälle in der Strom- und Wasserversorgung waren die Folge.

Zuletzt hatte die ukrainische Militärführung wiederholt vor möglichen neuen Raketenangriffen auf die Infrastruktur und Energieversorgung des Landes gewarnt. Unter anderem verwies das Militär am Freitag darauf, dass im Schwarzen Meer ein russischer Flottenverband unterwegs sei, zu dem auch ein mit Marschflugkörpern bestücktes Kriegsschiff gehöre.

Ukraine: Zehn Monate Krieg

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt vor möglichen russischen Angriffen während der Feiertage. Neben dem Krieg in der Ukraine führt die Regierung in Russland selbst einen weiteren Feldzug, und zwar gegen Andersdenkende.

Weitere Drohnenlieferungen an Russland?

Die ukrainische Führung fordert in diesem Zusammenhang am Samstag die „Liquidierung“ iranischer Waffenfabriken, die Drohnen und Raketen herstellen und an Russland liefern. Der Iran „demütigt offensichtlich die Institution internationaler Sanktionen“, so der unter anderem auch als Berater für die ukrainische Präsidentschaftskanzlei tätige Mychailo Podoljak, der auf dem Kurznachrichtendienst Twitter dem Iran gleichzeitig vorwirft, weitere Waffenlieferungen an Russland zu planen.

Nach Angaben der Ukraine hat der Iran bereits 1.700 Drohnen vom Typ Schahed-136 an Russland geliefert. Diese würden seit September eingesetzt, um Ziele in der Ukraine zu treffen. Der Iran weist den Vorwurf zurück. In einem am Freitag veröffentlichten Interview erklärte der Geheimdienstchef der Ukraine, Russland habe bereits rund 540 dieser Drohnen auf Ziele des Militärs und der Energieinfrastruktur der Ukraine abgefeuert.

London: Russland hat zu wenig Munition

Nach Einschätzung britischer Militärgeheimdienste mangelt es den russischen Truppen in der Ukraine weiter an Munition und Raketen. Angesichts der Rekrutierung Zehntausender Rekruten seit Oktober habe Moskau zwar den unmittelbaren Personalmangel gelindert – ein Munitionsmangel bleibe aber „höchstwahrscheinlich der wichtigste einschränkende Faktor für russische Offensivoperationen“, hieß es am Samstag vom britischen Verteidigungsministerium.

Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Marschflugkörpern habe Russland seine Angriffe mit Langstreckenraketen auf die ukrainische Infrastruktur auf etwa einmal pro Woche beschränkt. Der Vorrat an Artilleriemunition genüge nicht für größere Offensivoperationen. Das liege daran, dass auch für die Verteidigung entlang der Front täglich zahlreiche Granaten und Raketen gebraucht würden.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

Putin in Panzerfabrik

Kreml-Chef Wladimir Putin forderte die russische Rüstungsindustrie zuletzt dennoch zu mehr Anstrengungen zur Unterstützung der Streitkräfte seines Landes auf. „Die Schlüsselaufgabe der Unternehmen der Rüstungsindustrie ist die Versorgung aller Einheiten mit allen notwendigen Waffen, Technik, Munition und Ausrüstung“, sagte der russische Präsident gestern beim Besuch eines Rüstungsbetriebs in Tula südlich von Moskau.

Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Panzerfabrik
Reuters/Sputnik
Putin forderte bei einem Besuch in einem Rüstungsbetrieb erhöhte Anstrengungen

In einer Werkshalle kletterte Putin auf einen auf Hochglanz polierten Panzer. Er forderte, bei der Produktion von Waffen die „bisherigen Kampferfahrungen“ einfließen zu lassen. Er vermied jeden Hinweis darauf, wo diese „Kampferfahrungen“ gesammelt wurden.

Putin hatte am Mittwoch bei einer Sitzung im Verteidigungsministerium ein höheres Tempo bei der Aufrüstung und Modernisierung der Streitkräfte gefordert. Für die weitere Aufrüstung der Armee gebe es „keine finanziellen Beschränkungen“, sagte er. Zudem sollen die Streitkräfte demzufolge um knapp 350.000 Soldaten auf eine Stärke von 1,5 Millionen Mann ausgebaut werden.

Verstärkte russische Truppenbewegungen

Die russischen Streitkräfte bringen nach Erkenntnissen der ukrainischen Aufklärung derzeit Verstärkung für ihre Truppen an die Fronten im Osten und Süden der Ukraine. „Der Feind hat den Umfang des Bahntransports von Truppen, Technik und Munition in die Kampfgebiete erhöht“, teilte der Generalstab in Kiew am Freitag mit.

Als Kampfgebiete galten vor allem die Umgebung der Frontstadt Bachmut im Osten, ebenso wie die Ortschaften Awdijiwka, Kupjansk und Limansk in der Region Donbas. Verstärkungen auf russischer Seite seien auch im Süden des Landes erkannt worden. Die neuen Einheiten in der Region Cherson würden – so die ukrainische Einschätzung – aber nur eingesetzt, um die Verteidigungslinien auszubauen.

Unwahrscheinlich, aber möglich

Nach Einschätzung des US-amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW) schafft Russland zudem in Belarus weiter die Voraussetzungen für einen möglichen Angriff auf den Norden der Ukraine. Auch das ukrainische Militär teilte am Samstag mit, dass Russland Bataillone dorthin verlegt habe. Aus ISW-Sicht sei ein solcher Angriff zwar weiter unwahrscheinlich, aber möglich.

Möglich sei laut ISW aber auch, dass es sich bei dem Aufmarsch der russischen Truppen in Belarus um ein Ablenkungsmanöver handelt. Möglich sei auch ein Sabotageangriff, um die ukrainischen Streitkräfte von der Verteidigung im Donbas abzulenken. Russland könne dann eine womöglich geringere Aufmerksamkeit der ukrainischen Truppen für eine Offensive im Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine oder auch anderswo nutzen.