Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Kocher

Arbeitskräftemangel bleibt lange Thema

Im Frühjahr gezeichnete „Horrorszenarien“ seien nicht eingetreten, zieht ÖVP-Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher Bilanz. Es gebe genug Gas und Strom, und die Wirtschaft sei um 4,8 Prozent gewachsen. Der Mangel an Arbeitskräften werde aber noch in den nächsten zehn Jahren in ganz Europa die große Herausforderung für Politik und Unternehmen sein. Über die Fortführung der Geringfügigkeitsgrenze würde Kocher gerne nachdenken.

Der Arbeitskräftemangel sei nun so deutlich zutage getreten, „weil der Aufschwung im ersten Halbjahr so enorm war, wie wir ihn schon lange nicht mehr erlebt haben“, so Kocher gegenüber der APA. „Wenn es den Krieg nicht gegeben hätte, wäre die Konjunktur wahrscheinlich durch die Decke gegangen.“ Nie zuvor habe es so einen Rückgang der Konjunktur gegeben, ohne dass man auf dem Arbeitsmarkt große Effekte gesehen habe. Kocher: „Das ist natürlich auch darauf zurückzuführen, dass Unternehmen wissen: Wenn sie jetzt Mitarbeiter kündigen, haben sie beim nächsten Aufschwung, der sicher – und hoffentlich bald – kommen wird, Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden.“

Verstärkt habe sich der Arbeitskräftemangel durch die Pensionierungen geburtenstarker Jahrgänge, während zugleich geburtenschwache Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt kommen. Hier müsse man auf verschiedenen Ebenen ansetzen, so der Arbeitsminister. Es brauche bessere Qualifizierung, richtige Anreize, um rasch wieder in Beschäftigung zu kommen, und Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem bei der Kinderbetreuung. Zudem gehe es um Zuzug aus der EU und darüber hinaus etwa mit der Rot-Weiß-Rot-Karte.

Zuwanderung und Anreize für Ältere

In vielen Branchen fehlen Arbeitskräfte. Allein bis 2030 werden Kocher zufolge rund 70.000 Pflegekräfte fehlen. Hier versucht die Politik gegenzusteuern – mit einem Pilotprojekt zur Pflegelehre in einigen Bundesländern und mit einem Pflegestipendium für alle, die sich aus der Arbeitslosigkeit Richtung Pflege umschulen lassen.

Es brauche aber auch qualifizierte Zuwanderung, um Wachstum und Wohlstand aufrechterhalten zu können. Für dieses Jahr gebe es 7.442 Rot-Weiß-Rot-Karten. Im Oktober und November, nach dem Inkrafttreten der Reform, habe es einen sehr starken Anstieg der Anträge und Bewilligungen im Vergleich zum Vorjahr gegeben.

Jetzt versuche man auch Anreize zu finden, um Ältere noch länger im Arbeitsmarkt zu halten, sagte Kocher. Auch bei den Sanktionen, die zum Teil sehr spät wirksam würden, sei es „durchaus möglich, dass man die Wirksamkeit nach vorne zieht“. Derzeit würden bis zur Streichung des Arbeitslosengeldes für einen gewissen Zeitraum oft Wochen oder Monate vergehen, „und es macht durchaus Sinn, das so zu gestalten, dass sie effizienter sind und sehr rasch wirken“.

Geringfügigkeitsgrenze überdenken

Der lange angekündigte große Wurf der Arbeitslosenversicherung mit dem Vorschlag des degressiven Arbeitslosengeldes ist der ÖVP-Grünen-Koalition nicht gelungen. Teile davon werde man in den nächsten Monaten verwirklichen, so Kocher. Im Fokus stehen dabei auch Änderungen bei der Geringfügigkeitsgrenze von derzeit 485,85 Euro.

Er könne sich vorstellen, diese zu streichen. „Ich bin da offen für jede Diskussion“, sagte Kocher im „Standard“-Interview (Dienstag-Ausgabe). Diese Art der Geringfügigkeit führe zu Fehlanreizen, weil man unterhalb der Grenze keine Steuern und keine Sozialversicherung bezahle, bei Überschreiten der Grenze aber gleich recht viel.

Lob für Lohnabschlüsse

Positiv bewertet Kocher die Lohnabschlüsse in diesem Jahr. Die Sozialpartner hätten eine „kluge Balance gehalten zwischen dem Abwenden dieses Kaufkraftverlusts und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer im europäischen Vergleich“. Er erwartet nicht, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch die hohen Lohnabschlüsse gefährdet wird.

Arbeitsminister über Energiekostenzuschuss

ÖVP-Wirtschafts- und -Arbeitsminister Martin Kocher spricht unter anderem zu den Themen Energiekostenzuschuss, deutscher Gaspreisdeckel und Arbeitsmarkt.

Der Großteil der österreichischen Exporte gehe in die EU, wo die Inflation ähnlich sei wie in Österreich. „Wir verschlechtern uns da nicht substanziell. Gegenüber dem Rest der Welt haben wir vielleicht ein Problem, das ist richtig.“ Allerdings stabilisiere sich auch der private Konsum durch ein Abgelten des Kaufkraftverlustes.

Kocher verteidigt Energiekostenzuschuss

Während die Arbeitslosenversicherungsreform nicht gelungen ist, hob Kocher die Maßnahmen der Regierung hervor – darunter Unterstützungsmaßnahmen für Haushalte und den Energiekostenzuschuss. Der zweite Teil dieses Zuschusses für Unternehmen für das kommende Jahr sei bereits beschlossen. Für den Energiekostenzuschuss werden von den Unternehmen Beschäftigungsgarantien und Einschränkungen bei Boni und Dividenden verlangt.

Das gewerkschaftsnahe Momentum Institut sieht in dem Zuschuss eine Überförderung der Unternehmen und spricht von „Gewinnsubventionen“. Für Kocher ist diese Kritik eine Fehleinschätzung: „Wenn ich nur Unternehmen unterstütze, die Verluste schreiben, dann unterstütze ich die, die vielleicht sonst aus dem Markt ausgestiegen wären. Man unterstützt also schwache Unternehmen.“