Feuer vor einem Gebäude in Cherson
EBU/GBBBC
Kiew meldet über 30 Raketen

Cherson erneut unter russischem Beschuss

Der ukrainische Generalstab hat am Mittwoch einen russischen Großangriff auf die Stadt Cherson im Süden des Landes gemeldet. Den Angaben zufolge haben die russischen Streitkräfte dort innerhalb von 24 Stunden über 30 Raketen auf zivile Ziele abgefeuert. Am Mittwoch wurde landesweit Luftalarm ausgelöst – auch in der Hauptstadt Kiew.

Die erst im vergangenen Monat von der ukrainischen Armee zurückeroberte Regionalhauptstadt Cherson war bereits über die Weihnachtstage Ziel russischer Angriffe. Am 24. Dezember wurden bei einem Angriff auf den zentralen Markt der vor dem Krieg rund 290.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Stadt mindestens zehn Menschen getötet und 55 weitere Menschen verletzt.

Wie der ukrainische Generalstab am Mittwoch weiter mitteilte, wurden auch nahe der Stadt Cherson gelegene bewohnte Gebiete am rechten Ufer des Flusses Dnipro mit Mörsern und Artillerie beschossen. Der landesweite Luftalarm wurde laut Berichten in sozialen Netzwerken ausgelöst, nachdem russische Kampfjets von Stützpunkten im benachbarten Belarus aufgestiegen seien.

Kiew meldet Großangriff auf Cherson

Aus der südukrainischen Stadt Cherson ist ein russischer Großangriff mit über 30 Raketen gemeldet worden. Den Angaben zufolge wurden auch bewohnte Gebiete am rechten Ufer des Flusses Dnipro nahe der Regionalhauptstadt mit Mörsern und Artillerie beschossen.

Kaum veränderter Frontverlauf

An der Front im Osten der Ukraine tobten die schwersten Kämpfe weiter um die Stadt Bachmut, die seit Monaten von russischen Truppen angegriffen wird, sowie weiter nördlich in den Städten Swatowe und Kreminna. Hier versuchen die ukrainischen Streitkräfte, russische Stellungen zu durchbrechen.

Der Frontverlauf habe sich kaum verändert, aber der russische Druck habe sich erhöht, weil Russland zusätzliche Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Soldaten in die Kampfgebiete verlegt habe, sagt der ukrainische Militäranalyst Oleh Schdanow. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Lage an diesem Frontabschnitt zuletzt als „schmerzhaft und schwierig“.

GB: Russland verstärkte Verteidigungsanlagen

Russland habe seine Frontlinie in dem Gebiet in der Oblast Luhansk in den vergangenen Tagen wahrscheinlich verstärkt, teilte das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch in seinem regelmäßigen Geheimdienst-Update mit. Es habe dort umfassende neue Verteidigungsanlagen errichtet und werde seinen Fokus wahrscheinlich darauf legen, die Position zu halten.

Das Gebiet sei aus logistischer Sicht wichtig für die russische Front im ostukrainischen Donbas, Kreminna zudem eine bedeutende Stadt in Luhansk, schrieb das Ministerium. Der Kreml ziehe die „Befreiung“ des Gebiets als eine Rechtfertigung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine heran.

„Verstehen, was im Frühjahr getan werden muss“

Selenskyj erwartet im kommenden Jahr eine Entscheidung im Verteidigungskrieg gegen Russland. „Wir werden weiterhin die Streitkräfte und die Sicherheit der Ukraine für nächstes Jahr vorbereiten. Es ist ein entscheidendes Jahr“, sagte Selenskyj am Dienstagabend nach Beratungen mit der Militärführung. „Wir begreifen die Risiken des Winters. Wir verstehen, was im Frühjahr getan werden muss“, fügte er hinzu.

Der ukrainische Präsident kündigte in seiner täglichen Videoansprache auch an, dass er im Parlament seine jährliche Rede zur Lage der Nation halten werde. „Ich möchte, dass diese Botschaft kein Bericht ist, sondern unser Dialog mit Ihnen über das kommende Jahr“, sagte der 44-Jährige.

Es gehe darum, die Aufgaben für die Zukunft zu formulieren. Die Rede wird noch vor dem Jahreswechsel erwartet. Ein genaues Datum nannte Selenskyj nicht. Im Vorjahr hatte er die Rede vor den Abgeordneten der Werchowna Rada am 1. Dezember gehalten, knapp drei Monate vor dem Beginn der russischen Aggression gegen sein Land.

Zerstörte Pipelines, Umspannwerke und Brücken

Auch abseits der umkämpften Frontabschnitte leiden die Bewohnerinnen und Bewohner der Ukraine unter den Folgen des Krieges. Regierungsangaben zufolge sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar mehr als 700 Objekte der kritischen Infrastruktur zerstört worden. „Es geht um Gaspipelines, Umspannwerke, Brücken und Ähnliches“, sagte der stellvertretende ukrainische Innenminister Jewgeni Jenin am Mittwoch.

Seit Oktober nimmt das russische Militär speziell Anlagen der Energieversorgung in der Ukraine ins Visier. Durch den ständigen Beschuss mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen ist das ukrainische Stromnetz stark beschädigt. Immer wieder kommt es zu plötzlichen Notabschaltungen. Die Menschen sind damit in den dunklen und kalten Wintertagen stundenlang ohne Licht – und teilweise auch von der Wärme- und Wasserversorgung abgeschnitten.

Anhaltende Stromausfälle in Kiew

In der Hauptstadt Kiew muss die Bevölkerung laut Stadtverwaltung bis zum Ende des Winters immer wieder mit plötzlichen Notabschaltungen rechnen. „Unter diesen Gegebenheiten werden wir den ganzen Winter leben müssen“, sagte der Vizechef der Stadtverwaltung, Petro Panteljejew, am Dienstag im ukrainischen Fernsehen.

Die Stromversorgung in Kiew ist wie in anderen ukrainischen Städten auch nach den russischen Raketenangriffen massiv beeinträchtigt. Fachkräfte arbeiteten rund um die Uhr daran, das System wieder zu reparieren, doch die Lage bleibe schwierig, räumte Panteljejew ein. Gerade an Arbeitstagen, wo es einen erhöhten Stromverbrauch gebe, reichten die Kapazitäten nicht aus, warnte der Beamte.

Weitere Angriffe befürchtet

Die Gefahr weiterer Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur für die Energieversorgung bleibe akut, warnte der Generalstab am Dienstag in seinem Lagebericht. Premierminister Denys Schmyhal hatte zuvor erklärt, dass die Ukraine die Silvesternacht ohne Notabschaltungen verbringen könne, wenn es keinen weiteren Beschuss gebe. Die Gefahr, dass das russische Militär erneut Objekte der Stromversorgung in der Ukraine ins Visier nehme, sei allerdings groß.

Expertin erwartet kein Kriegsende für 2023

Geht es nach Claudia Major von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ist derzeit nicht von einem Kriegsende im kommenden Jahr auszugehen. „Der Krieg wird noch lange Zeit dauern“, zitiert das deutsche Redaktionsnetzwerk (RND) dazu die Sicherheitsexpertin.

Auch für Friedensverhandlungen sieht die Expertin derzeit wenig Chancen. Wer glaube, die Ukraine hätte eine Wahl zwischen Krieg einerseits und Verhandlungen und Frieden andererseits, verkenne komplett die Lage, sagte sie: „Die Ukraine hat nur die Wahl zwischen Krieg und Vernichtung.“

Russland lehnt Friedensplan Selenskyjs ab

Am Mittwoch wies die russische Regierung den Friedensplan Selenskyjs zurück und forderte die Anerkennung der „neuen Realität“. Sie verweist darauf, dass vier ukrainische Regionen von Russland annektiert worden seien. Dabei geht es um Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Doch keine der vier Regionen steht vollständig unter Kontrolle der russischen Armee. Selenskyj pocht in seinem Friedensplan unter anderem auf die Wiederherstellung der territorialen Einheit seines Landes und lehnt Gebietsüberlassungen kategorisch ab.