Frau geht an Straßenblockade in Mitrovica vorbei
Reuters/Florion Goga
Serbien – Kosovo

Spannungen mit „viel Donner“

Die Situation zwischen dem Kosovo und Serbien hat sich zuletzt von Tag zu Tag verschärft: Belgrad versetzte seine Armee in erhöhte Alarmbereitschaft. Prishtina schloss daraufhin den größten Grenzübergang nach Serbien. Von „höchster Kampfbereitschaft“ und „Eskalation“ war die Rede, auch wenn Serbiens Präsident Aleksandar Vucic zuletzt einen Abbau der Straßenblockaden ankündigte. Die Parteien stünden unter Druck, sagt der frühere Diplomat Wolfgang Petritsch. Das erzeuge „viel Donner“.

Seit Dezember haben die Spannungen im Norden des Kosovo, wo die serbische Minderheit ansässig ist, wieder zugenommen. Nächtliche Schüsse auf Polizisten, zahlreiche Straßenblockaden und ein Angriff auf Einsatzkräfte der EU-Mission Eulex hatten die internationale Besorgnis wachsen lassen. Es sollten unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um die Situation zu deeskalieren, von Provokationen, Drohungen oder Einschüchterungen sollte Abstand genommen werden, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung der USA und der EU.

Serbien und der Kosovo richten sich seit Wochen Drohungen aus und machen gleichzeitig den jeweils anderen für die derzeitige Situation verantwortlich. Serbiens Premierministerin Ana Brnabic warnte Anfang Dezember sogar vor einem „bewaffneten Konflikt“. Nach Ansicht von Ex-Diplomat Petritsch würden allerdings weder die Regierung in Prishtina noch jene in Belgrad riskieren, dass die Lage militärisch eskaliert. Trotzdem müsse man aktuelle Entwicklungen „sehr genau beobachten“, ergänzt er.

Geschlossener Grenzübergang Merdare zwischen Serbien und Kosovo
Reuters/Florion Goga
Auf serbischer Seite blockierten Demonstrierende die Zufahrt zum Übergang Merdare – daraufhin wurde die Grenze geschlossen

Petritsch kennt beide Seiten des Konflikts sehr gut. In den 1990er Jahren war der gebürtige Kärntner Botschafter in Belgrad und etwas später EU-Chefdiplomat bei den Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern in Rambouillet und Paris. Wegen der seit 1999 im Kosovo stationierten NATO-Friedensmission KFOR sei er zuversichtlich, sagt er im Gespräch mit ORF.at. KFOR werde von beiden Seiten als „wichtige Sicherheitskontrolle“ in der Region anerkannt.

EU und USA wollen Ergebnisse

Der heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo hatte früher zu Serbien gehört und im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit erklärt. Belgrad betrachtet den Kosovo bis heute als abtrünniges Gebiet und beansprucht das Territorium für sich. Allerdings hatten sich beide Länder vor zehn Jahren zu einem von der EU geförderten Dialog verpflichtet. Sowohl der Kosovo als auch Serbien streben eine Unionsmitgliedschaft an, die vonseiten der EU auch an die Gespräche gekoppelt wird. Doch die großen Fortschritte lassen auf sich warten.

Die derzeitigen Spannungen müsse man deshalb auch vor dem Hintergrund sehen, dass auf beiden Staaten großer Druck lastet. Sowohl die EU als auch die USA wollen 2023 neue Resultate sehen. Das bedeute nichts anderes als, dass sich die Beziehung zwischen dem Kosovo und Serbien „ein Stück weiter normalisieren“ muss. Die EU hatte Anfang Dezember dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti einen neuen Vorschlag überreicht, wann welche Schritte gesetzt werden könnten.

Kosovo: Grenzübergang Merdare geschlossen

Auf dem Balkan schaukeln sich die Streitigkeiten zwischen Serbien und dem Kosovo hoch. Nachdem Serbien wegen der wachsenden Spannungen mit der Regierung in Prishtina die Armee in Alarmbereitschaft versetzt hatte, schloss der Kosovo den größten Grenzübergang zum Nachbarland. Zuvor hatten auf der serbischen Seite Demonstrierende die Zufahrt zum Übergang Merdare blockiert.

Das aktualisierte Papier wurde mit Unterstützung von Deutschland und Frankreich erstellt. Regierungsvertreter aus Paris und Berlin hatten in der Vergangenheit vorgeschlagen, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo zwar nicht anerkennen, aber akzeptieren muss. Insbesondere soll Belgrad die Mitgliedschaft des Nachbarstaates in internationalen Organisationen nicht mehr länger blockieren. Im Gegenzug könnte Serbien finanzielle Hilfe der EU bekommen.

Botschafter mit Kosovo-Erfahrung

Bevor es einen Durchbruch gibt, gebe es „viel Donner“, sagt Petritsch. Damit meint der frühere außenpolitische Berater von Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ), dass unter Druck stehende Parteien vor einer Lösung Vorwürfe sehr laut und Provokationen sehr offen ventilieren. Besonders heikel sei das, wenn wie im Fall der Kosovo-Frage für beide Parteien der Kompromiss eher ein Fremdwort ist. Doch dieser Kompromiss wird von der EU und von den USA verlangt.

Grafik zu den Spannungen im Norden des Kosovo
Grafik: APA/ORF.at

Die USA setzen deshalb seit vergangenem Jahr auf einen Diplomaten mit besten Kontakten in den Kosovo: Christopher Hill. Dieser ist seit 2021 US-Botschafter in Belgrad. Wie Petritsch war Hill auch Mitglied der Kontaktgruppe bei den Kosovo-Verhandlungen 1999. Die Bemühungen um eine friedliche Lösung sind am Ende zwar gescheitert – die NATO flog Luftangriffe auf das damalige Jugoslawien –, dennoch hinterließ Hill Spuren, wie das Portal Balkan Insight kürzlich berichtete. Seine Arbeit sei 1999 von beiden Konfliktparteien gelobt worden.

Als „Shuttle“-Diplomaten, wie Petritsch die Arbeit nannte, eilte Hill mit seinem US-Kollegen zwischen den Konfliktparteien hin und her. Er selbst sagte 2019, noch vor seinem Botschafterengagement in Serbien und dem russischen Angriff auf die Ukraine, dass die Frage des Kosovo weiterhin jene sei, die Europa von seinem Ziel eines friedlichen Miteinanders trennen würde. Er übte Kritik an der Außenpolitik von Ex-Präsident Donald Trump, der die USA durch einen Unilateralismus bei wichtigen Fragen „irrelevant“ gemacht habe.

Einfluss von Ost und West

Mit der Biden-Administration legten die USA ihren Fokus stärker auf den Balkan, wie mehrere Fachleute skizzierten, insbesondere auf den Kosovo. Im Gegenzug stärkte Russland zuletzt Serbien den Rücken. „Wir haben sehr enge Beziehungen als Verbündete mit Serbien“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Man verfolge aufmerksam, was im Kosovo passiere „und wie die Rechte der Serben (dort, Anm.) gewahrt werden“. Den Vorwurf aus Prishtina, man beeinflusse Serbien, um den Kosovo zu destabilisieren, wies Peskow zurück. Es sei „falsch, hier nach irgendeinem destruktiven Einfluss Russlands zu suchen“.

Menschen protestieren in Rudare
Reuters/Miodrag Draskic
Im Norden des Kosovo demonstrieren Serben gegen die Regierung in Prishtina

Serbien pflegt traditionell enge Verbindungen zu Moskau. Dass man im Ukraine-Krieg auf der Seite Russlands stehe, wies Vucic allerdings beim Westbalkan-Gipfel Anfang Dezember scharf zurück. „Wir kennen unsere Verpflichtungen gegenüber der EU, aber wir sind ein unabhängiges Land und wir schützen unsere nationalen Interessen“, sagte er. In der Kosovo-Frage ist Russland für Serbien aber besonders wichtig: Als Vetomacht kann Moskau die UNO-Aufnahme des Kosovo blockieren.

Neben der Ost-West-Tangente ist laut Petritsch ein weiterer Faktor entscheidend, um die derzeitigen Spannungen im großen Ganzen zu verstehen: Vucic und Kosovos Ministerpräsident Kurti verbindet eine gegenseitige Abneigung. Bei den zwei Politikern, die die Gespräche führen sollten, handelt es sich um Persönlichkeiten, die sich „nicht in der Mitte treffen können“, so der frühere Diplomat. Nicht selten hätten Wortgefechte eigentliche Verhandlungsversuche deshalb in den Schatten gestellt.