Benjamin Netanyahu
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Angelobung

Israels ultrarechte Regierung übernimmt

Die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel jemals hatte, übernimmt mit Donnerstag die Amtsgeschäfte. Vor und in der Knesset kam es rund um die Vorstellung der Koalition aus Likud, Rechtsaußen-Parteien und religiösen Parteien zu Protesten.

Benjamin Netanjahu, zum sechsten Mal Regierungschef, erklärte, historische Errungenschaften fortsetzen zu wollen. Sein Amtsvorgänger Jair Lapid warnte Netanjahu, er solle das bisher Erreichte nicht zerstören, denn: „Wir sind gleich zurück.“ Vor der Knesset protestierten Gegnerinnen und Gegner der neuen Regierung lautstark.

Im Parlament selbst stimmten 63 von 120 Abgeordneten am Nachmittag bei einer Vertrauensabstimmung für die neue Regierung. Mit der abgeschlossenen Vereidigung der Regierung sind nun erstmals auch rechtsextreme Politiker in der Koalition vertreten. Der frühere Langzeitministerpräsident Netanjahu kehrt nach anderthalb Jahren zurück an die Macht. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als der 73-Jährige.

Netanjahu an Opposition: Ihr wollt uns erziehen?

Netanjahu nannte als zentrale Ziele unter anderem: Alles tun, „damit der Iran uns nicht mit einer Atombombe zerstört“, und Annäherungsabkommen mit weiteren arabischen Staaten abschließen.

Die Rede von Netanjahu wurde von viel Applaus der Abgeordneten der Koalition und Zwischenrufen der Opposition unterbrochen. Mehrere Abgeordnete wurden des Saales verwiesen. Netanjahu richtete scharfe Worte an die neue Opposition. Mit welchem Recht wolle gerade diese die neue Koalition „erziehen“, so seine rhetorisch gemeinte Frage. Die Regierung von Lapid und seinem mittlerweile aus der Politik ausgeschiedenen Vorgänger Naftali Bennet habe in wichtigen Sicherheitsfragen versagt, so Netanjahus Vorwurf – insbesondere was die für Israel existenzielle Gefahr durch eine Atommacht Iran betreffe.

Proteste vor der Knesset
AP/Oded Balilty
Demonstranten, verkleidet als Nordkoreas Diktator Kim und als Netanjahu in Gefängniskluft, protestieren vor der Knesset

Lapid: „Wir sind bald zurück“

Lapid zog seinerseits Bilanz und zählte Erreichtes auf – „damit die Geschichte nicht verfälscht werden kann“, so der neue Oppositionschef in Richtung Netanjahu. Man übergebe den Staat „in ausgezeichnetem Zustand. Bemühen Sie sich, das nicht zu zerstören – denn wir sind gleich zurück“, so Lapid kämpferisch.

Interessante Lösung im Außenministerium

Die Liste der Ministerinnen und Minister war bis vor Netanjahus Rede nicht fertig. Mehrere Minister rotieren, im Außenministerium nicht einmal zur Halbzeit, sondern zuerst ein Jahr Eli Cohen, dann zwei Jahre Israel Katz, bevor Cohen für ein weiteres Jahr zurückkehrt – vorausgesetzt, die Regierung hält die gesamte Legislaturperiode. Eine kontinuierliche Pflege bilateraler Beziehungen ist mit diesem Arrangement mindestens erschwert. In mehreren Ministerien gibt es einen zweiten Minister, was für entsprechende Machtkämpfe sorgen dürfte. Nur fünf Ministerinnen finden sich neben 25 Ministern.

Umbau des Justizsystems angekündigt

Die neue Regierung verfügt über 64 von 120 Sitzen im Parlament. Die Hälfte davon gehört zu Netanjahus rechtskonservativem Likud, die andere Hälfte zu dem rechtsextremen Religiös-Zionistischen Bündnis sowie zwei streng religiösen Parteien. Die Koalition will tiefgreifende politische Veränderungen durchsetzen und das Justizsystem gezielt umbauen.

Fachleute warnen vor einer Schwächung der Menschenrechte und einem De-Facto-Ende der Rechtsstaatlichkeit. Dutzende pensionierte Richterinnen und Richter warnten in einem offenen Schreiben zuletzt vor einer solchen Entwicklung. Die Änderungen könnten auch eine Aufhebung des aktuell laufenden Korruptionsprozesses gegen Netanjahu bewirken.

Und Vertreterinnen und Vertreter der LBTQ-Gemeinde befürchten nach entsprechenden Ankündigungen der Koalition Benachteiligungen und Einschränkungen.

Yair Lapid
IMAGO/Pacific Press Agency/Dev Radin
„Sind bald zurück“: Lapid zweifelt an Haltbarkeit der neuen Regierung

Netanjahu ohne Alternativen

Netanjahu betont immer wieder, er werde selbst die Agenda bestimmen und sich nicht von seinen radikalen Partnern lenken lassen. Diese haben aber einen mächtigen Hebel: Sie sind die einzigen Parteien, die noch bereit sind, überhaupt mit Netanjahu zusammenzuarbeiten. Für diesen gibt es keine Alternative – entsprechend viele Zugeständnisse musste Netanjahu bereits in den Koalitionsverhandlungen machen.

Noch vor der Vereidigung wurde eine ganze Reihe umstrittener Gesetzesänderungen im Parlament durchgesetzt. Diese galten als Voraussetzung für den gemeinsamen Koalitionsvertrag.

Vorschau: Koalition mit Netanjahu in Israel

Der israelische Langzeitregierungschef Benjamin Netanjahu kommt wieder an die Regierungsspitze. Seine ultrarechte Koalition wird am Donnerstag im Parlament vereidigt. ORF-Korrespondent Tim Cupal mit einer Vorschau.

Umstrittene Politiker als Minister

Mehrere umstrittene Politiker erhalten Ministerposten. Für den Vorsitzenden der streng religiösen Schas-Partei, Arie Deri, wurde eigens ein Gesetz geändert, damit er trotz einer Verurteilung wegen Steuervergehen Innenminister werden kann. Bezalel Smotritsch von der rechtsextremen Religiös-Zionistischen Partei soll neben dem Amt des Finanzministers auch einen Posten im Verteidigungsministerium erhalten.

Smotritsch gilt als glühender Verfechter des Siedlungsausbaus im besetzten Westjordanland. Künftig soll er auch Einfluss auf die Verwaltung des Westjordanlandes und das Leben der Palästinenser erhalten. Smotritsch strebt die Legalisierung weiterer israelischer Siedlungen an.

In den am Mittwoch veröffentlichten Leitlinien der Regierung ist festgelegt, dass die Koalition den Siedlungsausbau auch in Gebieten vorantreiben will, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. „Das jüdische Volk hat ein alleiniges und unumstößliches Recht auf alle Teile des Landes Israel“, heißt es dort. „Die Regierung wird die Besiedlung aller Teile Israels voranbringen und entwickeln – in Galiläa, in der Negev-Wüste, auf den Golanhöhen und in Judäa und Samaria (Westjordanland).“

Innenminister unterstützte Terrorgruppe

Innenminister, unbenannt nun in „Minister für Nationale Sicherheit“, wird Itamar Ben-Gvir, der in der Vergangenheit wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt worden war. Neben der Polizei soll er nach einer Gesetzesänderung auch für die Grenzpolizei im Westjordanland zuständig sein.

Der scheidende Verteidigungsminister Benni Ganz warnte angesichts der Änderungen – der Zuständigkeiten von Ben-Gvir und Smotritsch für zentrale Aufgaben bei der israelischen Verwaltung in der besetzten Westbank – vor einer weiteren Eskalation der Gewalt und vor Blutvergießen in der Region.

Proteste bereits im Vorfeld

Angesichts rassistischer und homophober Äußerungen von künftigen Koalitionsmitgliedern regt sich bereits Widerstand aus verschiedenen Teilen der Bevölkerung. Proteste kamen etwa von Repräsentanten der IT-Branche, Unternehmen, der Luftwaffe und Ärzten.

Netanjahus Amtsvorgänger, Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei, sagte nach den Gesetzesänderungen, die neue Regierung habe sich bereits vor ihrer Vereidigung als „die korrupteste aller Zeiten“ erwiesen.