Menschen neben zerstörtem Haus in Ukraine
AP/Efrem Lukatsky
Russische Angriffe

Erneut Raketenhagel auf Kiew

Am Silvestertag hat Russland erneut mehrere Städte in der Ukraine mit Angriffen überzogen. In Kiew waren etliche Explosionen zu hören, die Menschen wurden aufgefordert, Schutz zu suchen. Der britische Geheimdienst erwartete bereits verstärkt Angriffe rund um den Jahreswechsel.

Dutzende Marschflugkörper und Raketen gingen am Samstag über ukrainischen Städten nieder. In Kiew waren rund ein halbes Dutzend Explosionen – mutmaßlich ausgelöst von der Flugabwehr – zu hören, wie ein Reporter der dpa aus dem Zentrum der Hauptstadt berichtete. Erneut gab es nun auch am letzten Tag des Jahres überall Luftalarm. Die Behörden riefen die Menschen auf, Schutz in Bunkern zu suchen. Kiews Bürgermeister Witali Klitschko sprach von mindestens einem Todesopfer und mehreren Verletzten.

Unter den Verletzten sei auch ein Journalist aus Japan, teilte Klitschko mit. Auch ein Hotel, das üblicherweise von Journalisten genutzt wird, wurde bei den Angriffen schwer beschädigt. Der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, veröffentlichte Bilder des zerstörten Hotels. Es handle sich um einen Angriff von Mördern und Terroristen, sagte er.

Explosionen in Kiew

In der Ukraine wurde Luftschutzalarm ausgelöst, und es gibt Berichte über Explosionen in Kiew und anderen Gebieten, darunter auch ein westukrainisches Gebiet, das von Drohnen angegriffen wurde. Der britische Geheimdienst hat vor möglicher Intensivierung von russischen Raketenangriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur gewarnt. Behörden fordern Bürger auf, Schutz zu suchen, und der Strom wurde in mehreren Gebieten als Vorsichtsmaßnahme abgeschaltet. Es gibt Todesopfer und Verletzte.

Von Explosionen wurde ebenfalls aus den westukrainischen Gebieten Winnyzja und Schytomyr sowie aus dem südukrainischen Gebiet Mykolajiw berichtet. Auch aus dem Gebiet Saporischschja wurde über einen Toten bei den Angriffen berichtet. Laut Tymoschenko wurde das westukrainische Gebiet Chmelnyzkyj mit Drohnen angegriffen. Zwei Verletzte habe es dort gegeben. Als Vorsichtsmaßnahme wurde in mehreren Gebieten der Strom abgeschaltet, um Schäden bei Treffern der Energieversorgung zu verringern.

Selenskyj: Werden Russland niemals vergeben

Nach dem jüngsten russischen Raketenangriff auf ukrainische Städte mit neuen Zerstörungen hat sich Staatschef Wolodymyr Selenskyj in seiner Videobotschaft direkt an das russische Volk gewandt. „Einem terroristischen Staat wird nicht vergeben“, sagte er am Samstagnachmittag in seinem etwas verfrühten täglichen Videoauftritt. „Und denen, die solche Angriffe befehlen, und denen, die sie ausführen, wird nicht verziehen, um es milde auszudrücken.“

Auf Russisch erklärte Selenskyj, dass Russland nicht Krieg mit der NATO führe, „wie Ihre Propagandisten lügen“. Der Krieg sei auch nicht für etwas Historisches. „Er (der Krieg) ist für eine Person, die bis an ihr Lebensende an der Macht bleibt“, sagte er unter direkter Anspielung auf Kreml-Chef Wladimir Putin. „Und was von Ihnen allen übrig bleibt, Bürger Russlands, geht ihn nichts an.“

Warnung aus London

Kurz vor Beginn der Attacken hatte der britische Geheimdienst gewarnt, über den Jahreswechsel könnten die russischen Raketenangriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur intensiviert werden. Das ging aus dem täglichen Geheimdienstupdate des Verteidigungsministeriums in London zum Ukraine-Krieg hervor. Die Schläge seien bisher in Abständen von sieben bis zehn Tagen erfolgt.

„Russland wird dieses Muster beinahe sicher fortsetzen, um die ukrainische Luftverteidigung zu überfordern“, so die Mitteilung. Aber es gebe „eine realistische Möglichkeit“, dass Russland in den kommenden Tagen zusätzlich noch einmal zuschlage, „um die Moral der ukrainischen Bevölkerung über die Neujahrsperiode zu brechen“, hieß es weiter.

Putin: Sind auf der richtigen Seite

Erst am Donnerstag hatte Russland die Ukraine mit Drohnen- und Raketenangriffen überzogen. Seit Mitte Oktober hat Russland in nunmehr elf Großangriffen vor allem Objekte des ukrainischen Energiesystems angegriffen. Wegen der schweren Zerstörungen der Infrastruktur gibt es vielerorts Stromausfälle, von denen Millionen Menschen betroffen sind. Die ukrainische Regierung wirft Russland „Terror“ vor – mit dem Ziel, das Land in Dunkelheit und Kälte zu stürzen. Kiew beschuldigt Putin, die Menschen so in die Flucht treiben zu wollen und die EU zu destabilisieren.

Dieser gab am Samstag bei seiner Neujahrsansprache Kontra. Russland stehe in dem Konflikt „moralisch“ und „historisch“ auf der richtigen Seite, so Putin. Russland kämpfe in der Ukraine auch dafür, „unser Volk in unseren eigenen historischen Territorien, in den neuen Gebieten der Russischen Föderation zu schützen“, fügte er mit Blick auf die von Moskau für annektiert erklärten ukrainischen Gebiete hinzu.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte in einer Neujahrsbotschaft an Soldaten, Russlands Sieg in der Ukraine sei „unausweichlich“. „Für das kommende Jahr möchte ich allen gute Gesundheit, Standhaftigkeit, zuverlässige und hingebungsvolle Kameraden wünschen. Unser Sieg ist wie das neue Jahr unvermeidlich“, sagte er. Russlands Soldaten hätten im zu Ende gehenden Jahr mit „schweren Prüfungen“ zu kämpfen gehabt, räumte Schoigu zugleich ein. Und auch das neue Jahr beginne in einer „schwierigen militärpolitischen Situation“.

Ansprache an feindliche Soldaten

Die Ukraine erwartet im neuen Jahr offenbar auch eine neue Mobilmachung in Russland. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow warnte davor in einem Video in russischer Sprache. „Ich weiß genau, dass ihr noch eine Woche habt, um eine Wahl zu treffen“, sagte Resnikow in dem auf YouTube veröffentlichten Video. Dann würden die Grenzen geschlossen, damit niemand das Land verlassen könne. Es gebe die Wahl, sich der Einberufung zum Kriegsdienst zu entziehen oder in der Ukraine zu sterben oder zum „Krüppel“ zu werden. Die Feiern zum neuen Jahr seien ein guter Anlass, darüber nachzudenken und sich bewusst zu werden, dass der Kreml den Krieg verloren habe, sagte Resnikow. Es gebe nichts, wofür es sich lohne, zu kämpfen.

Hunderttausende Russen hatten im Herbst das Land verlassen, um sich der von Kreml-Chef Putin angeordneten Teilmobilmachung zu entziehen. Putin hatte zuletzt gesagt, es sei keine neue Mobilmachung nötig.

Luftabwehr soll ausgebaut werden

Wegen der zahlreichen Raketenangriffe in jüngster Zeit kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag einen weiteren Ausbau der Luftabwehr an. „Im neuen Jahr wird die ukrainische Luftverteidigung noch stärker, noch effektiver“, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Die Luftabwehr der Ukraine könne die stärkste in ganz Europa werden, ergänzte er mit Blick auf die angekündigte Patriot-Batterie aus den USA. „Das wird eine Sicherheitsgarantie nicht nur für unser Land, sondern für den gesamten Kontinent sein.“

Die ukrainische Armee, die bereits eine Reihe ausländischer Flugabwehrsysteme nutzt, wartet auf den Einsatz der von der US-Regierung versprochenen Patriot-Batterie. Gegenwärtig werden ukrainische Soldaten an dem System ausgebildet.