Polizisten bereiten sich auf die Räumung des Ortes Lützerath vor
Reuters/Thilo Schmuelgen
Klimasymbol

Konflikt um Räumung von deutschem Ort

Der kleine Ort Lützerath sorgt aktuell für hitzige Debatten in Deutschland. Der Grund? Das westdeutsche Dorf sitzt auf Braunkohle, die der Energiekonzern RWE für die Stromproduktion nützen will. Lützerath soll deshalb schon bald abgebaggert werden. Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die den Ort seit Längerem besetzen, wollen das verhindern. Scharfe Kritik üben sie an den mitregierenden Grünen.

„Jeder Tag zählt, es ist 2023 und wir haben kein weiteres Dorf mehr zu verlieren“, schrieb Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Dienstag auf Twitter. Bündnisse aus ganz Deutschland – darunter „Fridays For Future“, Ende Gelände, Letzte Generation und auch Alle Dörfer Bleiben – mobilisieren aktuell für den Erhalt der Ortschaft in Nordrhein-Westfalen. „Es wird ernst – der Tag X ist gekommen, Lützerath braucht uns alle“, hieß es auch in einem gemeinsamen Appell.

Das Dorf ist für Klimaschützerinnen und -schützer von großer Bedeutung, und das schon seit geraumer Zeit: Die 1,5-Grad-Grenze verlaufe vor Lützerath, sagen sie. Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens einhalten zu können, müsse mit dem Kohleabbau dort Schluss sein, lautet die Argumentation. Für Nordrhein-Westfalens Landesregierung führt jedoch kein Weg an der Räumung des Ortes vorbei.

Pflastersteine auf einer Straße in Lützerath
Reuters/Thilo Schmuelgen
Mit Pflastersteinen blockierten Aktivisten die Straße nach Lützerath

Geräumte Barrikaden, gefällte Bäume

Geräumt werden soll der Ort laut Behörden ab Mitte Jänner – doch es könnte schneller gehen. Die Vorbereitungen dafür sind seit Anfang der Woche in vollem Gange. Am Donnerstag gingen Einsätzkräfte gegen Straßenbarrikaden vor. Klimaaktivisten meldeten über soziale Netzwerke am Donnerstag, ein Bulldozer habe begonnen, eine aus Schrott bestehende Barrikade zu räumen. Die Aktivisten verteidigten die Barrikade demnach mit einer Menschenkette.

„Seit Montag sind Polizei und RWE mit großem Aufgebot rund um den Ort aktiv, es wurden schon Barrikaden geräumt und Bäume gefällt. In den Ort selbst ist die Polizei noch nicht eingedrungen; sie ziehen aber rundherum Kräfte zusammen und bauen Infrastruktur auf“, berichtete das Bündnis Alle Dörfer Bleiben auf ORF.at-Anfrage am Mittwoch.

Konkret soll Lützerath der Erweiterung des großen Braunkohletagebaus Garzweiler weichen. Laut dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium werde die Kohle unter Lützerath angesichts der Energiekrise jedenfalls gebraucht. Es gehe um die Versorgungssicherheit der Region.

Braunkohle Tagebau Garzweiler und umliegende Dörfer

Kohle für die Versorgungssicherheit?

Der Energiekonzern RWE einigte sich im vergangenen Herbst mit den von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen auf ein Ende der Braunkohleverstromung bis 2030 statt 2038. Gleichzeitig wurde die Laufzeit von zwei Braunkohlekraftwerken, die zum Jahresende stillgelegt werden sollten, bis Ende März 2024 verlängert. Landesministerin Mona Neubaur hielt fest, dass mit der Einigung fünf andere Dörfer im Rheinischen Braunkohlerevier vor der Zerstörung bewahrt würden. Die Grünen stellen in Nordrhein-Westfalen zusammen mit der CDU die Landesregierung.

Die Klimaaktivistin Neubauer hielt den Grünen jedoch vor, die unter Lützerath liegende Kohle werde in Wahrheit gar nicht benötigt. Die Grünen seien hier falschen Zahlen des „notorisch unglaubwürdigen Kohlekonzerns“ RWE aufgesessen, so Neubauer auf Twitter. So kamen zuletzt etwa Expertenberichte der CoalExit Research Group und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu dem Ergebnis, dass die Energieversorgung in der Krise auch ohne die Kohle unter Lützerath möglich wäre.

„RWE plant, im Tagebau Garzweiler noch weitere 280 Millionen Tonnen Braunkohle zu fördern. Allein mit diesen Emissionen würde Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze krachend verfehlen“, hieß es von Alle Dörfer Bleiben auf Anfrage dazu. „Wir können nicht tatenlos mitansehen, wie im 21. Jahrhundert noch ein Dorf abgerissen wird, um Kohle zu gewinnen. Darum rufen wir alle Menschen dazu auf, sich der Zerstörung Lützeraths entschlossen und friedlich in den Weg zu stellen.“

Kohleabbaumaschinen im Tagebau Garzweiler
ORF.at/Christian Öser
RWE will im Tagebau Garzweiler noch unzählige Tonnen Kohle abbauen

Sorge vor Eskalation wächst

Am Sonntag laden die Aktivisten und Aktivistinnen zu einem großen öffentlichen Dorfspaziergang, am 14. Jänner ist eine große Protestdemonstration geplant. Neubaur, die auch stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens ist, appellierte im Vorfeld der Aktionen zu Friedfertigkeit. Auch die Polizei rief die Aktivisten dazu auf, „sich von Straftaten zu distanzieren“ und „sich friedlich zu verhalten“.

Stephan Muckel, der CDU-Bürgermeister der Stadt Erkelenz (zu der Lützerath gehört), befürchtete bereits Probleme. Er habe vor allen Respekt, die „friedlich, bunt und kreativ demonstrieren“. Die Bilder vom Montag ließen ihn aber für den Fall einer Räumung „nichts Gutes erahnen“. Ob es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Aktivisten kommen könnte, ist derzeit unklar.

Polizisten bereiten sich auf die Räumung des Ortes Lützerath vor
IMAGO/Jochen Tack
Die Vorbereitungen für eine baldige Räumung der Ortschaft laufen

Erinnerung an Räumung des Hambacher Forstes

In Deutschland werden dieser Tage jedenfalls Erinnerungen an die Räumung des 20 Kilometer entfernten Hambacher Forstes wach: In einem der größten Polizeieinsätze der nordrhein-westfälischen Geschichte wurde der Wald im Herbst 2018 geräumt. Dutzende Baumhäuser wurden zerstört. Schließlich verständigten sich Bund, Länder und Energiekonzerne darauf, dass der Wald erhalten bleiben soll. Die Aktivisten des Anti-Kohle-Bündnisses Ende Gelände bezeichneten das als Erfolg des zivilen Ungehorsams. Die Grünen standen damals übrigens noch auf der Seite der Aktivisten.

Als Symbolort für den Protest gegen die Kohleverstromung hat Lützerath den Hambacher Forst inzwischen abgelöst. Viele Aktivisten und Aktivistinnen leben schon seit einiger Zeit in dem Dorf – Baumhäuser, Zelte und Banner zieren das Ortsbild. Die ursprünglichen Einwohner haben die Siedlung infolge erster Umsiedelungen im Jahr 2006 mittlerweile komplett verlassen. Der letzte Bauer der Ortschaft, Eckhardt Heukamp, gab sich im vergangenen April nach einem zähen Rechtsstreit mit RWE geschlagen.

Grünen dürfte Debatte schaden

Ein ähnliches Schicksal wie jenes Lützeraths hatte in der Vergangenheit auch schon viele andere Dörfer in der Region ereilt. Zehntausende Menschen mussten wegen der Kohle deutschlandweit bereits ihre Heimat zurücklassen. Für erhitzte Gemüter hatte das Thema bereits im Zuge der deutschen Bundestagswahl im Jahr 2021 gesorgt – ORF.at berichtete damals vom Ort des Geschehens.

Die Grünen, die nun – anders als zuvor – sowohl im Bund als auch im Land auf der Regierungsbank sitzen, dürften nicht unbeschadet davonkommen, wie es in einem „tagesschau“-Bericht heißt: „Wie sehr die kommenden Ereignisse den Grünen schaden werden, dürfte davon abhängen, wie heftig der Widerstand der Besetzer vor Ort in Lützerath ausfällt und ob es vor laufenden Kameras erneut zu Szenen wie im Hambacher Forst kommt.“