Neues Windrad wird aufgestellt
ORF.at/Viviane Koth
Klimaschutzziele

Studie fordert Investitionsschub in EU

Wenn die EU die Treibhausgasemissionen bis 2050 wie geplant auf netto null bringen will, muss sie laut einer neuen Studie ab sofort deutlich mehr als bisher in emissionsarme Technologien investieren. Die Rede ist vom bisher größten Investitionsschub – konkret seien bis 2025 pro Jahr mindestens 302 Milliarden Euro notwendig, schreiben Forschende der Universität ETH in Zürich im Fachjournal „Nature Climate Change“.

Somit müssten jedes Jahr 87 Milliarden Euro bzw. rund 40 Prozent mehr investiert werden als jährlich im Zeitraum von 2016 bis 2020. „Die wichtigsten Investitionsbereiche für kohlenstoffarme Infrastrukturen in Europa sind erneuerbare Kraftwerke, Stromnetze und Eisenbahninfrastrukturen“, sagt dazu Mitautorin Lena Klaaßen.

Für ihre Metastudie haben die Forschenden über 56 bereits erschienene Studien analysiert und kamen dabei zum Schluss, dass bereits für den Zeitraum 2021 bis 2025 der für die nächsten fünfzehn Jahre größte Investitionssprung und damit die Umleitung etablierter Finanzströme notwendig ist, um auf dem Weg zum Netto-null-Ziel mit ausreichender Geschwindigkeit voranzukommen, heißt es dazu in einer Aussendung vom deutschen Science Media Center (SMC).

Die Studienautorinnen und -autoren identifizieren den Angaben zufolge „für nahezu alle Technologien einen notwendigen Investitionszuwachs“. Davon ausgenommen seien lediglich konventionellen Kraftwerke sowie Öl- und Gasinfrastruktur. Kraftwerke für erneuerbare Energien werden indes so wie der Punkt Stromleitungen und Energiespeicher mit einem Plus von jeweils 24 Milliarden als größte Brocken angeführt. Noch darüber liegt mit 25 Mrd. Euro der errechnete Bedarf an zusätzlichen jährlichen Investitionen bei der Schieneninfrastruktur.

Bis 2050 Netto-null-Ziel

Die EU verspricht im Rahmen der Nationalen Selbstverpflichtung, die alle Länder im Pariser Klimavertrag vereinbart haben, bis 2030 eine Minderung der klimarelevanten Emissionen von 55 Prozent gegenüber 1990. Bis 2050 soll das Netto-null-Ziel erreicht sein. Netto null bedeutet, dass die klimaschädlichen Emissionen so weit wie möglich zurückgefahren und unvermeidbare Emissionen aus der Atmosphäre entfernt werden, etwa durch das Pflanzen von Bäumen, die Kohlendioxid aufnehmen können.

Die Finanzierung sei möglich, sagt Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). „Wenn es (in Deutschland, Anm.) 200 Milliarden Euro für eine Gas- und Strompreisbremse gibt – zu großem Teil eine Subvention für fossile Treibstoffe –, dann kann es auch 87 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen geben“, meint er. Statt mehrere Milliarden Euro jährlich in den Neubau von Fernstraßen und Autobahnen zu stecken, könne das Geld in den Schienen- und Fahrradverkehr investiert werden. Er fordert unter anderem eine orts- und zeitabhängige Pkw-Maut.

„Natürlich eine bittere Pille“

Die Liquidität könne „sicherlich geschaffen werden“, was noch fehle, sei aber der politische Willen, so Creutzig. Außer Frage stellte Creutzig gegenüber SMC das Gewicht der von der ETH-Studie vermittelten Botschaft: „Der bisherige Haushalt europäischer Staaten ist nicht zukunftssicher“, und das „war so vorher nicht mit soliden Zahlen belegt“.

Dass es viel mehr Geld brauche, sei zwar bekannt und somit auch nicht überraschend, „aber die Quantifizierung ist trotzdem sehr hilfreich und relevant“, sagt dazu Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Nun liege es an der Politik, auch „ehrlich“ zu kommunizieren, „dass die Transformation teuer wird – auch wenn das politisch natürlich eine bittere Pille ist“.

Zeit drängt

Sascha Samadi vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hält gegenüber SMC fest, dass Metastudien nicht das Ziel hätten, „bahnbrechende neue Erkenntnisse zu liefern“. Die von der ETH Zürich erstellte Arbeit werte „viele wichtige Studien der vergangenen Jahre aus und gibt einen guten Überblick“ über den in diesen Studien erwarteten Investitionsbedarf.

In absoluten Zahlen würden die nun im Raum stehenden Investitionen „natürlich sehr hoch“ klingen. Mit Blick auf die Wirtschaftsleistung hält Samadi es für Europa durchaus für möglich, „auch kurzfristig die Investitionen auf das notwendige Maß zu erhöhen“.

Geht es nach Martin Weibelzahl vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik in Bayreuth, unterstreicht die Studie zudem erneut, „dass der Klimawandel nicht auf uns wartet und wir schnell unsere Infrastruktur zukunftsgerichtet umbauen müssen“. Es sei somit auch von zentraler Bedeutung, dass man jetzt die richtigen ökonomischen Anreize setze, „damit Investitionen genau dort passieren, wo sie benötigt werden, und so schnell ihre Wirkung entfalten können. Die Zeit läuft uns ansonsten davon.“