zerstörtes Gebäude spiegelt sich in einem Autofenster
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
„Waffenruhe“ vorbei

Explosionen in Charkiw

Kurz nach dem Ende der von Kreml-Chef Wladimir Putin deklarierten Feuerpause haben die Behörden der Region rund um die ostukrainische Stadt Charkiw mehrere Explosionen gemeldet. Auch in den Gebieten Poltawa, Dnipropetrowsk, Saporischschja, Luhansk sowie auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim wurde Luftalarm ausgerufen.

In Charkiw meldete Gouverneur Oleh Synehubow auf Telegram ein Todesopfer. „Achtung an die Einwohner von Charkiw und der Region: Bleiben Sie in Schutzräumen. Die Besatzer schlagen wieder zu!“, schrieb er zudem. Der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, berichtete am Samstag von russischem Beschuss entlang der gesamten Front. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft teilte auch mit, in Bachmut im Donezker Gebiet seien am Freitag durch russischen Beschuss zwei Zivilisten getötet und 13 weitere verletzt worden. In der Region sind laut der örtlichen Besatzungsverwaltung auch zwei Wärmekraftwerke durch ukrainischen Beschuss beschädigt worden.

Augenzeuginnen und Augenzeugen berichteten auch von beständigem Artilleriebeschuss in der Stadt Tschassiw Jar. Der ukrainische Generalstab meldete einen russischen Raketenangriff, binnen 24 Stunden habe die russische Seite zudem 20 Geschosse aus mehreren Raketenwerfern abgefeuert.

Angeblich Hunderte ukrainische Soldaten tot

Laut russischen Angaben wurden mit einem Raketenangriff mehr als 600 ukrainische Soldaten getötet. Es habe sich um einen Angriff auf zwei Gebäude in Kramatorsk in der Ostukraine gehandelt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. In einem der Gebäude seien mehr als 700 ukrainische Soldaten untergebracht gewesen, in dem anderen mehr als 600. Von ukrainischer Seite liegt zu diesen Angaben keine Stellungnahme vor. Allerdings hatte der Bürgermeister von Kramatorsk zuvor erklärt, bei einem Angriff auf mehrere Gebäude der Stadt sei niemand ums Leben gekommen.

Reuters: Keine Hinweise für hohe Verluste

Auch Augenzeugen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gab es an Ort und Stelle keinen Hinweis für hohe ukrainische Verluste. Es seien Schäden entstanden, aber zerstörte Gebäude oder Anzeichen für Tote seien nicht zu sehen, sagte ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters.

Reuters-Reporter konnten zwei Schlafhallen besichtigen, die russischen Angaben zufolge zeitweise von ukrainischen Soldaten während der Nacht belegt worden waren. Keine schien direkt getroffen oder schwer beschädigt zu sein.

An Ort und Stelle waren keine Anzeichen zu sehen, dass dort Soldaten gewohnt hatten, und keine, die auf Tote hindeuteten. Auch fanden sich keine Blutspuren. An einem Schlafsaal waren Fenster zerbrochen, und im Hof war ein großer Krater zu sehen. Das andere von Russland benannte Gebäude war komplett intakt. Es klaffte aber etwa 50 Meter entfernt ein Krater in der Nähe einiger Garagen.

Berichte über Brandmunition

Betroffen war auch ein Stadtviertel von Cherson. „Für die Attacke haben sie Brandmunition verwendet“, teilte der Militärgouverneur der Region, Jaroslaw Januschewitsch, in seinem Telegram-Kanal mit. Die Genfer Konvention verbietet den Einsatz von Brandmunition gegen zivile Objekte.

Putin hatte die vorübergehende Waffenruhe am Donnerstag angekündigt und mit dem Weihnachtsfest begründet, das viele orthodoxe Christinnen und Christen am 7. Jänner feierten. Die Ukraine lehnte das allerdings als Propagandageste ab und setzte ihre Rückeroberungsversuche fort. Es könne keinen Frieden geben, solange russische Truppen ukrainisches Gebiet besetzt hielten, hieß es aus Kiew.

Ukraine: Luftalarm und Explosionen in Charkiw

Die von Russland angekündigte Feuerpause ist in der Nacht auf Sonntag abgelaufen. Luftalarm und Meldungen über Explosionen in der ostukrainischen Stadt Charkiw waren die Folge.

Russland: Nur Angriffe erwidert

Am Samstagabend sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache, die „Welt konnte heute wieder einmal sehen, wie falsch jegliches Wort ist, das von welcher Ebene in Moskau auch immer kommt“. Die Russen hätten „irgendetwas von einer angeblichen Waffenruhe gesagt. Aber in Wirklichkeit wurden Bachmut und andere ukrainische Positionen wieder von russischen Salven getroffen.“

Russland hatte zuvor auch die Missachtung der selbst auferlegten Feuerpause eingeräumt. Man habe allerdings nur ukrainische Angriffe erwidert, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. „Alle Positionen der ukrainischen Armee, von denen aus Beschuss erfolgte, wurden von den russischen Streitkräften durch Erwiderung des Feuers niedergeschlagen“, so Konaschenkow.

Fokus auf Bachmut

Auch viele internationale Beobachter bezweifelten von Anfang an, dass die russischen Waffen wirklich konsequent schweigen würden. Im Fokus der Kampfhandlungen steht schon seit Wochen die kleine Stadt Bachmut. Bei deren Belagerung tut sich vor allem die Söldnergruppe Wagner hervor. Deren Gründer Jewgeni Prigoschin begründete den Vorstoß auf die Kleinstadt mit den dortigen Tunnelsystemen, in denen auch Panzer versteckt werden können. „Das Sahnehäubchen obendrauf ist das Minensystem von Soledar und Bachmut, das eigentlich ein Netz unterirdischer Städte ist“, erklärte Prigoschin am Samstag auf Telegram. „Es kann nicht nur eine große Gruppe von Menschen in einer Tiefe von 80 bis 100 Metern aufnehmen, sondern auch Panzer und Schützenpanzer können sich darin bewegen.“

Prigoschin äußerte sich, nachdem Vermutungen laut geworden waren, man dränge aus kommerziellen Gründen auf die Einnahme Bachmuts und seiner Salz- und Gipsminen. Militärexperten zufolge steht der große militärische Aufwand bei der Belagerung der Stadt in keiner Relation zu ihrer vergleichsweise geringen strategischen Bedeutung.

Eine hart umkämpfte Gegend sei auch weiterhin jene um die Stadt Kreminna in der Region Luhansk, hieß es am Samstag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. „In den vergangenen drei Wochen haben sich die Kämpfe rund um Kreminna auf das dicht bewaldete Gebiet westlich der Stadt konzentriert.“ Da die Wälder selbst im Winter einen gewissen Sichtschutz vor der Beobachtung aus der Luft bieten, haben beide Seiten sehr wahrscheinlich Schwierigkeiten, den Artilleriebeschuss genau einzustellen.

„Weltweit größtes Minenfeld“

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat nach Angaben des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal ein 250.000 Quadratkilometer großes Minenfeld in seinem Land geschaffen. „Es ist derzeit das größte Minenfeld weltweit“, sagte Schmyhal in einem am Samstag veröffentlichten Interview der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap. Das laut Schmyhal verminte Gebiet entspricht mehr als 40 Prozent der gesamten Landfläche der Ukraine. „Das macht es nicht nur schwer für Menschen zu reisen, sondern es verursacht auch größere Störungen in der Landwirtschaft, die eine unserer Hauptwirtschaftszweige ist“, so der Ministerpräsident.