Aktivisten in Lützerath
IMAGO/Panama Pictures/Christoph Hardt
Räumung von Lützerath

Aktivisten planen wochenlangen Protest

Der Konflikt rund um den kleinen deutschen Ort Lützerath, der für den Abbau von Braunkohle geräumt werden soll, schwelt weiter. „Wir hoffen, dass wir Lützerath sechs Wochen lang halten können“, kündigte die Sprecherin der Initiative Lützerath, Dina Hamid, am Sonntag an. Geplant seien unter anderem Sitzblockaden sowie die Besetzung von Baumhäusern und Hütten. Ein Konzert musste aus Sicherheitsgründen verlegt werden.

Wenige Tage vor der geplanten Räumung des Dorfs Lützerath haben sich dort am Sonntag zahlreiche Klimaaktivistinnen und -aktivisten versammelt. Vertreter des aus mehreren Gruppen bestehenden Aktionsbündnisses „Lützerath unräumbar“ bekräfigten ihre Entschlossenheit, der angekündigten Räumung durch die Polizei entgegenzutreten. Das Aktionsbündnis hatte zuvor zu einem öffentlichen Aktionstraining und einem Dorfspaziergang eingeladen. In dem Bündnis haben sich Organisationen und Initiativen wie „Ende Gelände“, „Fridays for Future“, „Alle Dörfer bleiben“ und „Letzte Generation“ zusammengeschlossen.

Der Energiekonzern RWE will das rheinische Lützerath abreißen, um die darunterliegende Kohle abzubauen. Das sei nötig, um die Energieversorgung sicherzustellen, betont der Konzern. Der Tagebau ist bereits nah an die verbliebenen Gebäude herangerückt. Ab Dienstag bietet eine Verfügung des Kreises Heinsberg den Behörden die rechtliche Grundlage für eine Räumung. Das Dorf soll abgebaggert werden, weil der Energiekonzern RWE den Tagebau Garzweiler ausdehnen und die unter dem Ort liegende Kohle fördern will.

Braunkohletagebau Garzweiler und umliegende Dörfer

In dem ländlichen Ortsteil haben sich aber auch Kohlegegnerinnen und -gegner niedergelassen. Sie leben in besetzten Gebäuden, Zelten und Baumhäusern. Die ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner sind längst weggezogen. Die Umsiedlung von Lützerath und umliegender Orte begann im Jahr 2006. Geräumt werden soll der Ort laut Behörden ab Mitte Jänner – doch es könnte schneller gehen. Die Vorbereitungen dafür sind seit Anfang der Woche in vollem Gange.

„Das hier ist erst der Anfang“

Die Politik hat nach Meinung von Klimaaktivistin Luisa Neubauer nicht mit so viel Widerstand gegen den Abriss des Dorfes Lützerath am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus gerechnet. „Man merkt, dass anscheinend unterschätzt wurde, welche Kraft in diesem Ort steckt“, sagte Neubauer am Sonntag der dpa in Lützerath. „Hier zeigt eine Gesellschaft, dass sie versteht: Es geht um alles. Das Dorf hier ist überlaufen von Menschen, die aus der ganzen Republik angereist sind. Und das ist keine ganz unkomplizierte Anreise. Da gibt es viele gesperrte Straßen und Polizeibarrikaden. Aber das nehmen die Menschen auf sich.“

Man sei entschlossen, den Widerstand gegen die Räumung lange durchzuhalten, sagte Neubauer. „Wir geben jetzt alles. Das hier ist erst der Anfang. Die große Demo ist am nächsten Samstag. Was ich so eindrücklich finde, ist: Hier vor Ort sind Menschen aus den unterschiedlichsten Generationen und Milieus: kleine Kinder in Regenhosen, aber auch ihre Großeltern.“

Aktivisten in Lützerath
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Die Polizei rief die Aktivisten dazu auf, „sich von Straftaten zu distanzieren“ und „sich friedlich zu verhalten“

Die Polizei habe damit geworben, dass die Räumung von Lützerath transparent und friedlich ablaufen solle. „Davon ist praktisch nichts übrig geblieben“, so Neubauer. So seien die Taschen von anreisenden Unterstützern aus Hamburg stundenlang kontrolliert worden. Das „riesige Polizeiaufgebot“ sei erschreckend und werfe „sehr viele Fragen auf“. Die rechtliche Grundlage, auf der der Widerstand stattfinde, sei ein demokratisch zustande gekommener, internationaler Vertrag, nämlich das Pariser Klimaabkommen.

Konzert wegen Unterspülung verlegt

Ein für Sonntagnachmittag geplantes Konzert der Kölner Band AnnenMayKantereit ist unterdessen wegen einer Unterspülung der Tagebaukante mit Wasser in Absprache mit dem Veranstalter in einen anderen Bereich verlegt worden, sagte eine Polizeisprecherin. Dadurch bestehe in dem darüber liegenden Areal akute Lebensgefahr, warnte die Polizei.

Der Sperrschieber bei einem geschlossenen Rohr sei in der Nacht geöffnet worden, wodurch Tausende Liter Wasser in den Tagebau geflossen seien und die Böschung unterspült hätten, sagte ein Sprecher der Polizei Aachen.

„Lützerath muss bleiben. Deswegen machen wir dort am Sonntag Musik“, hatte der Sänger der Gruppe, Henning May, zuvor auf Instagram seine Solidarität mit den Aktivistinnen und Aktivisten bekundet.

„Braunkohle wird nicht benötigt“

Boden und Häuser des von Ackerbau geprägten Ortes gehören längst RWE. Mit dem Energieunternehmen haben die grün geführten deutschen Wirtschaftsministerien in Bund und Nordrhein-Westfalen im Oktober 2022 einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinland vereinbart. Fünf zuvor vom Abriss bedrohte Dörfer im Umfeld des Tagebaus sollen erhalten blieben. Die Regierung von Nordrhein-Westfalen verweist darauf, dass im Gegenzug der Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorgezogen worden sei.

Klimaaktivistin Neubauer hielt den Grünen vor, die unter Lützerath liegende Kohle werde in Wahrheit gar nicht benötigt. Die Grünen seien hier falschen Zahlen des „notorisch unglaubwürdigen Kohlekonzerns“ RWE aufgesessen, so Neubauer auf Twitter. So kamen zuletzt etwa Expertenberichte der CoalExit Research Group und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu dem Ergebnis, dass die Energieversorgung in der Krise auch ohne die Kohle unter Lützerath möglich wäre.

Aktivisten in Lützerath
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In dem verlassenen Dorf leben inzwischen Aktivistinnen und Aktivisten

Onlineaufruf zu Beteiligung an Widerstand

Am Samstag waren erneut zahlreiche Aktivisten nach Lützerath angereist. Shuttlebusse brachten sie von nahe gelegenen Bahnhöfen in das unwegsame Gelände. In einem Camp auf einem Feld im benachbarten Stadtteil Keyenberg wurden mehrere neue Zelte aufgebaut.

In den sozialen Netzwerken riefen Initiativen unter anderem mit dem Hashtag „#LuetzerathUnraeumbar“ dazu auf, sich am Widerstand gegen die Räumung zu beteiligen. Auf den Straßen von Lützerath wurden weitere Barrikaden errichtet, unter anderem betonierten Aktivisten Gasflaschen in die Fahrbahnen ein, um diese unpassierbar zu machen.

Der Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid sagte der dpa, in Lützerath entscheide sich, ob es die deutsche Ampelregierung mit dem Klimaschutz ernst meine. „Die Kohle unter Lützerath zu verfeuern, bedeutet den Bruch mit den Pariser Klimazielen. Wir brauchen die Kohle unter dem Dorf nicht mehr und können es uns schlichtweg nicht leisten, diesen klimaschädlichsten aller Energieträger weiter zu verbrennen.“ Das Profitinteresse von RWE dürfe keinen Vorrang vor dem Allgemeinwohl, dem Schutz des Planeten und dem Erhalt der Lebensgrundlagen haben.