Eine Person trägt Säcke mit Lebensmitteln auf einem Markt in Colombo
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„Entscheidende Phase“

Schuldenerlass für Sri Lanka gefordert

Sri Lanka leidet seit Monaten unter einer schweren Wirtschaftskrise. Der Inselstaat hat hohe Schulden im Ausland und kann lebenswichtige Importe nicht mehr finanzieren. 182 Fachleute warnten nun in einer Erklärung, die dem „Guardian“ vorliegt, dass die harte Haltung von Investoren die Krise weiter verschlimmern könnte. Ein umfassender Schuldenerlass sei auch für den Rest der Welt von entscheidender Bedeutung, hieß es.

Die Gruppe an Fachleuten, der unter anderem die indische Wirtschaftswissenschaftlerin Jayati Ghosh, Thomas Piketty, der Autor des Bestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, und der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis angehören, erklärte, dass private Gläubiger eine Einigung bei den Verhandlungen über einen Schuldenerlass für das krisengebeutelten Sri Lanka verhindern würden, zitierte der „Guardian“ aus einem Bericht von Sonntag.

Das Land unterzeichnete im September eine vorläufige Vereinbarung über ein Rettungspaket in Höhe von 2,9 Mrd. Dollar (2,7 Mrd. Euro) mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), muss aber seine Schulden auf Kurs bringen, bevor die Auszahlungen beginnen können. Nur ein umfassender Schuldenerlass könne der Wirtschaft eine Chance auf Erholung geben, erklärten nun die Fachleute.

„Alle Kreditgeber – bilaterale, multilaterale und private – müssen die Last der Umstrukturierung mittragen und die Zusicherung zusätzlicher Finanzmittel in naher Zukunft erhalten.“ Einige der einflussreichsten Hedgefonds und andere Investoren würden jedoch verhindern, dass Sri Lanka lebenswichtige Hilfeleistungen erhalten könne. „Die Verhandlungen über die Verschuldung Sri Lankas befinden sich jetzt in einer entscheidenden Phase“, zitierte der „Guardian“ aus der Erklärung.

Peter Breuer (IMF)
Reuters/Dinuka Liyanawatte
Sri Lanka traf im September eine vorläufige Vereinbarung mit dem IWF über ein Rettungspaket in Höhe von 2,9 Mrd. Dollar

Bevölkerung leidet unter Inflation

Seit Monaten leidet die Bevölkerung unter einem Mangel an Lebensmitteln und Treibstoffen und einer immensen Inflation. Durch den Verlust des Tourismus und der Überweisungen aufgrund der Pandemie sowie durch eine schlecht getimte Steuersenkung geriet Sri Lanka Anfang 2022 in eine Krise, nachdem seine Devisenreserven versiegten, sodass das Land nicht mehr genug Dollar hatte, um Treibstoff, Lebensmittel, Kochgas und Medikamente zu bezahlen. Monatelang war das 22 Millionen Einwohner zählende Land von stundenlangen Stromausfällen und Brennstoffmangel betroffen.

Als sich die Devisenknappheit im Jahr 2021 zuspitzte, verbot die Regierung zudem den Import chemischer Dünger, was zu Ernteausfällen führte. Die Regierung verweigerte auch die Hilfe des IWF, sodass die Devisenreserven schrumpften und sich die Treibstoff- und Medikamentenknappheit verschärfte. Die großen Steuersenkungen, die der ehemalige Präsident Gotabaya Rajapaksa im Jahr 2019 verabschiedet hatte, kosteten den Staat laut BBC jährlich mehr als 1,4 Milliarden Dollar (1,3 Mrd. Euro).

Nach UNO-Angaben verschärften auch die hohen Weltmarktpreise für Getreide, die infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stark gestiegen sind, die Lage. Mitte April hatte sich die Inselnation wegen der immensen Schulden im Ausland für zahlungsunfähig erklärt und die Zins- und Rückzahlungen vorerst eingestellt. Treibstoff wird nach wie vor rationiert, für den Tourismussektor gilt jedoch eine Ausnahme.

Menschen stehen Schlange an einer Tankstelle in Colombo, Sri Lanka
IMAGO/Xinhua/Wang Shen
Zwischendurch rief Sri Lankas Energieminister dazu auf, von zu Hause aus zu arbeiten, um den Treibstoffbedarf zu minimieren

Umgang mit Sri Lanka auch für Rest der Welt bedeutend

Die Organisation Debt Justice warnte, dass neben Sri Lanka auch andere Länder seit Beginn der Pandemie in Verzug geraten seien und eine Umschuldung anstrebten. „Angesichts weltweit steigender Zinssätze und weit verbreiteter Rezessionen, die für das Jahr 2023 erwartet werden, könnten viele weitere Länder folgen“, sagte Debt Justice gegenüber dem „Guardian“. Zwei Drittel der Länder mit niedrigem Einkommen seien ebenfalls von einem Schuldenausfall bedroht.

Der Umgang der Weltgemeinschaft mit Sri Lanka sei zudem ein wichtiger Indikator dafür, ob das internationale Finanzsystem in der Lage sei, mit den „immer dringlicheren Fragen des Schuldenerlasses und der Nachhaltigkeit umzugehen und ein Mindestmaß an Gerechtigkeit in den internationalen Schuldenverhandlungen zu gewährleisten“, zitierte der „Guardian“ die 182 Ökonomen und Entwicklungsexperten.

„Es ist daher nicht nur für die Menschen in Sri Lanka von entscheidender Bedeutung, sondern auch dafür, das Vertrauen in ein multilaterales System wiederherzustellen, das bereits wegen seiner mangelnden Legitimität und grundlegenden Funktionsfähigkeit unter Beschuss steht.“

Handelsabkommen für Wiederaufbau der Wirtschaft

Vergangene Woche gab Sri Lanka bekannt, dass es Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit Indien, China und Thailand nach einer vierjährigen Unterbrechung wieder aufnehmen wolle, um den Wiederaufbau der Wirtschaft zu fördern. Die Verhandlungen mit Indien und China, den größten Handelspartnern Sri Lankas mit einem bilateralen Handelsvolumen von jeweils rund fünf Milliarden US-Dollar im Jahr 2021, werden voraussichtlich im Februar und März beginnen.

Eine Person trägt Säcke mit Reis
APA/AFP/Ishara S. Kodikara
Im Sommer kletterte die Inflation in Sri Lanka auf 60 Prozent

Die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit China, dem größten bilateralen Kreditgeber der Insel, kamen 2018 aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über das Tempo der Liberalisierung der sri-lankischen Wirtschaft ebenfalls zum Stillstand, sagte K. J. Weerasinghe, Sri Lankas Chefunterhändler für Freihandelsabkommen. Beide Länder hätten positiv auf die Wiederaufnahme der Gespräche reagiert, aber konkrete Termine müssen noch festgelegt werden, fügte Weerasinghe hinzu.

Erste Wahlen seit Flucht des Ex-Präsidenten geplant

Noch vor Ende Februar sollen den Behörden zufolge Kommunalwahlen stattfinden, nachdem sie wegen der CoV-Pandemie um ein Jahr verschoben worden waren. Die Wahlen gelten als Stimmungstest für den amtierenden Präsidenten Ranil Wickremesinghe. Er war auf den früheren Präsidenten Rajapaksa gefolgt, gegen den es im vergangenen Jahr landesweit gewaltsamte Proteste mit Toten gegeben hatte. Daraufhin flüchtete Rajapaksa aus dem südasiatischen Inselstaat.