Im Kongressgebäude schlugen die Demonstrierenden die Scheiben der Fassade ein und drangen in die Eingangshalle vor, wie am Sonntag im Fernsehsender Globo zu sehen war. Der Vorfall ereignete sich eine Woche nach der Amtseinführung des neuen linksgerichteten Präsidenten Lula.
Die Anhängerinnen und Anhänger Bolsonaros, die den Wahlsieg Lulas bei der Präsidentenwahl nicht akzeptieren, überwanden die Absperrungen. Videoaufnahmen örtlicher Medien zeigten, wie Menschen in den gestürmten Gebäuden Möbel zerstörten. Andere gelangten auf das Dach des Kongresses.
Livebericht: Ausschreitungen in Brasilien
Philipp Lichterbeck, Korrespondent des Berliner „Tagesspiegels“ in Rio de Janeiro, berichtet u. a. über die aktuelle Lage in der Hauptstadt Brasilia und darüber, ob es sich bei der Erstürmung um den Versuch eines Staatsstreichs handelt.
Gebäude geplündert und verwüstet
Die Zahl der Protestierenden wurde auf etwa 3.000 geschätzt. Die Polizei setzte Tränengas ein, um sie zurückzudrängen, anfangs ohne Erfolg. Schreiende und mit Stöcken bewaffnete Demonstrierende umstellten einen Polizisten einer Reiterstaffel und stießen ihn vom Pferd, wie ein Video zeigte.
Nach dem Angriff auf den Kongress zogen die Protestierenden zum obersten Gericht weiter. Sie hätten dort Scheiben eingeworfen und seien in die Lobby vorgedrungen, berichtete das Nachrichtenportal G1. Die Richterinnen und Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den ultrarechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützenden deshalb verachtet.

In sozialen Netzwerken wurden Bilder verbreitet, die auf eine Plünderung des Gerichtsgebäudes durch die in Gelb und Grün gekleideten Angreifer hindeuteten. Später teilte das oberste Gericht mit, die Sicherheitskräfte hätten die Kontrolle über das Gebäude wiedererlangt. Einige Personen seien im Parkhaus festgenommen worden. Später zogen die Protestierenden auch zum Regierungssitz Palacio do Planalto, wo sie das Gebäude verwüsteten, wie auf Videos zu sehen war.
Zahlreiche Festnahmen
Erst nach Stunden bekam die Polizei die Lage in den Griff. 30 Menschen wurden dem Obersten Gerichtshof zufolge in U-Haft genommen. Im Fernsehen war am Sonntag zu sehen, wie Polizisten mehrere Männer und Frauen mit auf den Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.

Lula kündigt hartes Vorgehen an
Lula verurteilte die Angriffe. „Alle Vandalen werden gefunden und bestraft“, sagte der Staatschef am Sonntag. „Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.“ Per Dekret ordnete Lula an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasilia übernimmt.
Bolsonaro-Partei: „Trauriger Tag“
Bolsonaros Partei verurteilte die Attacken ebenfalls. „Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein“, sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberaler Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem am Sonntag veröffentlichten Video. „Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten aufs Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken.“
Erinnerungen an US-Kapitol-Sturm
„Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen“, schrieb auch Senatspräsident Rodrigo Pacheco auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. In dem Kongressgebäude befinden sich der Senat und das Abgeordnetenhaus.
Die Bilder weckten Erinnerungen an den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner 2021. Im brasilianischen Kongress waren am Sonntag allerdings keine Abgeordneten im Haus. Brasiliens Präsident Lula hielt sich am Sonntag nach Angaben von Beamten im Bundesstaat Sao Paulo auf. Er war in die Stadt Araraquara gereist, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren.
Scharfe Kritik von Lulas Arbeiterpartei
Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT) erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt Brasilia. „Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasilia und im Nationalkongress“, schrieb Gleisi Hoffmann auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
„Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert“, so Hoffmann weiter.
Sicherheitschef entlassen
Der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasilia, Anderson Torres, wurde entlassen. „Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen“, schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter.
„Ich bin in Brasilia, um die Demonstrationen zu beobachten und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen im Regierungsviertel einzudämmen“, so Rocha.
Bolsonaro erkannte Lulas Wahlsieg nicht an
Bolsonaro hat seine Niederlage nie ausdrücklich anerkannt. Radikale Anhängerinnen und Anhänger des Ex-Militärs hatten bereits nach der Wahl immer wieder gegen Lulas Sieg protestiert und die Streitkräfte des Landes zu einem Militärputsch aufgerufen.
Bolsonaro-Anhänger stürmen Kongress
In Brasilien haben mehrere tausend Anhänger des abgewählten Präsidenten Bolsonaro das Parlamentsgebäude, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof im Zentrum der Hauptstadt Brasilia gestürmt. Die Proteste richten sich gegen den linksgerichteten Präsidenten Lula da Silva, der letzte Woche angelobt wurde.
Entgegen den Gepflogenheiten hatte Bolsonaro nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula am Neujahrstag teilgenommen und war mit seiner Familie in die USA geflogen. Vor seinem Abflug nach Florida wandte er sich an seine Anhänger und rief sie zum Kampf gegen Lula auf.
Unterstützung für Lula aus anderen Staaten
In ersten Reaktionen stellten sich Staaten in der Region hinter Lula. Dessen Regierung habe Chiles volle Unterstützung angesichts des „feigen, abscheulichen Angriffs auf die Demokratie“, schrieb Präsident Gabriel Boric auf Twitter. Der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard schrieb ebenfalls über den Kurznachrichtendienst, sein Land stelle sich gegen jeden Angriff auf demokratische Institutionen.
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärte: „Der Faschismus hat sich zu einem Putsch entschlossen.“ Er rief zu einer Dringlichkeitssitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf. Auch der argentinische Präsident Alberto Fernandez sprach von einem Putschversuch und bot Unterstützung an.
USA und EU verurteilen Attacken
Auch die USA verurteilten die Attacken. „Die Vereinigten Staaten verurteilen jeden Versuch, die Demokratie in Brasilien zu untergraben“, schrieb der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, auf Twitter. Präsident Biden beobachte die Situation genau. „Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich“, so Sullivan. Die Demokratie in Brasilien werde nicht durch Gewalt erschüttert werden.
Er verurteile den Angriff auf die „demokratischen Institutionen Brasiliens auf das Schärfste“, twitterte EU-Ratspräsident Charles Michel. Er sagte Lula seine „volle Unterstützung“ zu. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte sich „entsetzt“ über die Erstürmung der drei Gebäude in Brasilia durch „gewalttätige Extremisten“.