Rund 230 Verdächtige wurden festgenommen, wie Justizminister Flavio Dino mitteilte. Bis zum Abend (Ortszeit) sei gegen 30 Menschen Untersuchungshaft angeordnet worden, berichtete das Nachrichtenportal G1 unter Berufung auf den Obersten Gerichtshof. Auf Bildern und Videos war zu sehen, wie Polizisten mehrere Männer und Frauen mit auf den Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.
Die Demonstrierenden hatten Sonntagnachmittag (Ortszeit) erst den Kongress gestürmt, ehe sie zum Obersten Gerichtshof und dem Regierungssitz weiterzogen. Der Protest ereignete sich eine Woche nach der Amtseinführung Lulas und weckte Erinnerungen an den US-Kapitol-Sturm im Jänner 2021.
Plünderungen und Verwüstungen
Im Kongressgebäude schlugen die Demonstrierenden die Scheiben der Fassade ein und drangen in die Eingangshalle vor. Auf Videos war zu sehen, wie Demonstrierende im Gebäude Möbel zerstörten. Einige von ihnen versammelten sich auf dem Dach. Ein Video aus dem Kongress zeigte Demonstrierende, die zwischen zerstörten Möbeln stehen, der Boden ist mit Wasser überflutet. Abgeordnete waren nicht im Haus.

Die Polizei ging anfangs zögerlich gegen die Demonstrierenden vor. Mit Tränengas, Gummigeschoßen und Blendgranaten wurde versucht, die Menge zurückzudrängen, jedoch ohne Erfolg. Ein Polizist auf einem Pferd wurde von Demonstrierenden zu Boden gebracht und umringt, ein Video des Vorfalls kursierte in sozialen Netzwerken.
Nach dem Angriff auf den Kongress zogen die Protestierenden zum obersten Gericht weiter, wo sie Scheiben einwarfen und das Mobiliar zerstörten. Die Richterinnen und Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den ultrarechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützenden deshalb verachtet.
In sozialen Netzwerken wurden Bilder verbreitet, die auf eine Plünderung des Gerichtsgebäudes durch die in Gelb und Grün gekleideten Angreifer hindeuteten. Nach der Attacke auf den Sitz des Höchstgerichts zogen die Protestierenden zum Palacio do Planalto. Auch dort kam es zu Plünderungen, Bilder aus dem Inneren des Gebäudes offenbaren schwere Schäden.
Lula kündigt hartes Vorgehen an
Lula verurteilte die Angriffe. „Alle Vandalen werden gefunden und bestraft“, sagte der Staatschef am Sonntag. „Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.“ Per Dekret ordnete Lula an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasilia übernimmt.

Lula hielt sich am Sonntag im Bundesstaat Sao Paulo auf. Er war in die Stadt Araraquara gereist, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren.
„Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen“, schrieb auch Senatspräsident Rodrigo Pacheco auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. In dem Kongressgebäude befinden sich der Senat und das Abgeordnetenhaus.
Bolsonaro: „Verstoß gegen Regel für friedliche Proteste“
Bolsonaro verurteilte den Vorfall: „Öffentliche Gebäude zu plündern und in sie einzudringen, wie heute geschehen“, verstoße gegen die „Regel“ für „friedliche Demonstrationen“, schrieb Bolsonaro am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter. Er selbst wehre sich gegen die „unbelegten Vorwürfe“ des derzeitigen Präsidenten Lula – der Bolsonaro angelastet hatte, die Angreifer „ermutigt“ zu haben.
Bolsonaros Partei verurteilte die Attacken ebenfalls. „Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein“, sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberaler Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem am Sonntag veröffentlichten Video.
„Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten auf das Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken“, so Neto.
Scharfe Kritik von Lulas Arbeiterpartei
Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT) erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt Brasilia. „Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasilia und im Nationalkongress“, schrieb Gleisi Hoffmann auf Twitter.
„Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert“, so Hoffmann weiter.
Der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasilia, Anderson Torres, wurde entlassen. „Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen“, schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte beim Höchstgericht die Festnahme von Torres, der unter Bolsonaro als Justizminister diente.
Bolsonaro erkannte Lulas Wahlsieg nicht an
Bolsonaro hat seine Niederlage nie ausdrücklich anerkannt. Radikale Anhängerinnen und Anhänger des Ex-Militärs hatten bereits nach der Wahl immer wieder gegen Lulas Sieg protestiert und die Streitkräfte des Landes zu einem Militärputsch aufgerufen.
Bolsonaro-Anhänger stürmen Kongress
In Brasilien haben mehrere tausend Anhänger des abgewählten Präsidenten Bolsonaro das Parlamentsgebäude, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof im Zentrum der Hauptstadt Brasilia gestürmt. Die Proteste richteten sich gegen den linksgerichteten Präsidenten Lula da Silva, der letzte Woche angelobt wurde.
Entgegen den Gepflogenheiten hatte Bolsonaro nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula am Neujahrstag teilgenommen und war mit seiner Familie in die USA geflogen. Vor seinem Abflug nach Florida wandte er sich an seine Anhänger und rief sie zum Kampf gegen Lula auf.
Unterstützung für Lula aus anderen Staaten
Viele Staaten in der Region stellten sich hinter Lula. Dessen Regierung habe Chiles volle Unterstützung angesichts des „feigen, abscheulichen Angriffs auf die Demokratie“, schrieb Präsident Gabriel Boric auf Twitter. Der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard schrieb ebenfalls über den Kurznachrichtendienst, sein Land stelle sich gegen jeden Angriff auf demokratische Institutionen.
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärte: „Der Faschismus hat sich zu einem Putsch entschlossen.“ Er rief zu einer Dringlichkeitssitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf. Auch der argentinische Präsident Alberto Fernandez sprach von einem Putschversuch und bot Unterstützung an.
USA und EU verurteilen Attacken
Die USA verurteilten die Attacken. US-Präsident Joe Biden nannte die Vorfälle am Sonntag bei einem Besuch im Bundesstaat Texas nach Angaben seiner Sprecherin „ungeheuerlich“. „Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich“, erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan.
Er verurteile den Angriff auf die „demokratischen Institutionen Brasiliens auf das Schärfste“, twitterte EU-Ratspräsident Charles Michel. Er sagte Lula seine „volle Unterstützung“ zu. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte sich „entsetzt“ über die Erstürmung der drei Gebäude in Brasilia durch „gewalttätige Extremisten“.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verurteilte die Erstürmung in einem englischsprachigen Tweet „aufs Schärfste“. Angriffe auf demokratische Institutionen seien „völlig inakzeptabel“. Die Verursacher müssten zur Rechenschaft gezogen werden.