Prozess gegen Aktivisten auf Lesbos: NGOs üben Kritik

In der griechischen Hafenstadt Mytilini auf der Insel Lesbos startet morgen der Prozess gegen die Seenotretter Sean Binder und Sarah Mardini und gegen 22 weitere humanitäre Helfer. Den Aktivistinnen und Aktivisten werden Spionage und Fälschung vorgeworfen. Bei einer Verurteilung drohen acht Jahre Haft. NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch übten angesichts dessen scharfe Kritik an den Behörden.

„Dieser Prozess zeigt, dass die griechischen Behörden bis zum Äußersten gehen, um humanitäre Hilfe zu verhindern und Asylsuchende und Geflüchtete davon abzuhalten, an der Küste des Landes Schutz zu suchen“, sagte Nils Muiznieks, Regionaldirektor für Europa bei Amnesty International. Dass der Prozess stattfinde, sei „eine Farce“.

„Die Verfolgung von Mardini, Binder und anderen hat nicht nur eine abschreckende Wirkung für die Rettung von Menschenleben, sie hat Gesetze und Fakten auf den Kopf gestellt und die Freiheit von humanitären Helfern aus ganz Europa aufs Spiel gesetzt“, kritisierte im Vorfeld des Prozesses auch Bill Van Esveld von Human Rights Watch.

Binder über Prozess: „Kann allen passieren“

Binder und Mardini verbrachten 2018 mehr als 100 Tage im Gefängnis, bevor sie gegen Kaution freigelassen wurden. Seither kämpfen sie gegen die Anschuldigungen an. Schon einmal standen sie im November 2021 vor Gericht – der Prozess war aber wegen Verfahrensfehlern vertagt worden.

Sean Binder und Sarah Mardini
APA/AFP/John Macdougall
Sean Binder und Sarah Mardini

Es sind auch nicht die einzigen Vorwürfe gegen die Seenotretter: So ist gegen Binder und Mardini ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Vorwürfen wie Schlepperei, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche anhängig. Dabei drohen ihnen 20 Jahre Haft.

Binder ist ausgebildeter Rettungsschwimmer, Mardini floh vor Jahren aus Syrien. Ihre Geschichte wurde durch die Netflix-Produktion „Die Schwimmerinnen“ bekannt. Gemeinsam koordinierten sie für die NGO Emergency Response Center International Rettungseinsätze.

„Wenn ich nur deswegen kriminalisiert werden kann, weil ich Wasserflaschen und ein Lächeln verteile, dann kann das allen passieren“, sagte Binder im Vorfeld. „In diesem Prozess geht es nicht um mich und Sarah oder die 22 anderen Angeklagten. Vielmehr versuchen die griechischen Behörden mit diesem Prozess, Menschen daran zu hindern, Sicherheit zu suchen.“

Humanitäre Hilfe in der Grauzone?

Ob Griechenland, Italien oder Polen: Menschen, die Geflüchteten helfen, werden in der EU zunehmend kriminalisiert. Das sagten zuletzt mehrere NGOs gegenüber ORF.at. Helferinnen und Helfer würden vielfach mit Schleppern auf eine Stufe gestellt – ihnen drohten Verleumdungskampagnen wie Klagen. Die Verantwortung für den Missstand liege bei der EU, heißt es. Brüssel will prüfen.

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