Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich in Wien
ORF.at/Christian Öser
„Match in und um Wien“

Wien als Drehscheibe der NÖ-Wahl

Keine Partei in Niederösterreich hat sich mehr für die Schaffung einer eigenen Landeshauptstadt eingesetzt als die ÖVP. Umso auffälliger ist, dass sie als einzige Partei mitten in Wien – Ex-Landeshauptstadt und „verkehrtes“ Bundesland in einem – um Stimmen wirbt. Klar ist: Der Speckgürtel und die Wien-Pendler sind bei der Landtagswahl am 29. Jänner erneut der wichtigste „Battleground“. Hier dürfte sich diesmal entscheiden, wie Niederösterreich künftig regiert wird.

Wer derzeit durch Wien geht oder fährt, dem fallen jedenfalls unweigerlich die Wahlplakate der niederösterreichischen Volkspartei auf. Nicht nur an den Stadtaus- und -einfahrten, sondern auch mitten in der Millionenmetropole, in der keine Wahl ansteht. Keine der anderen im niederösterreichischen Landtag vertretenen Fraktionen macht das. Sie begnügen sich vielmehr damit, vor den Stadteinfahrten um Stimmen zu werben, halten aber die Bundeslandgrenzen ziemlich genau ein.

Gegenüber ORF.at heißt es: „Warum sollten wir?“ (SPÖ), „Wir plakatieren, wo gewählt wird“ (FPÖ). Oder es wird darauf verwiesen, dass man sich auf das Wiener Umland konzentriere (Grüne und NEOS).

ÖVP-Niederösterreich-Pressesprecher Günther Haslauer erklärt die Wahlwerbung in einem anderen Bundesland damit, dass „täglich rund 200.000 Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher nach Wien pendeln“, viele würden Niederösterreich und Wien als „einen Lebensraum“ betrachten. Daher plakatiere man nicht nur, sondern inseriere auch in Wiener Medien und mache Verteilaktionen auf Wiener Bahnhöfen.

Frage des Geldes

Alle anderen Parteien betonen aber vor allem unisono, sie hätten schlicht nicht die finanziellen Mittel, um auch in Wien zu werben. In diesem Zusammenhang erinnern gleich alle daran, dass die ÖVP den Vorschlag der anderen Parteien, die Obergrenze für Wahlkampfausgaben auf drei Millionen Euro zu halbieren, ablehnte.

Die derzeit erlaubten sechs Millionen seien auch angesichts der für Bundeswahlen geltenden Obergrenze von sieben Millionen Euro völlig unverhältnismäßig. Und alle ließen mehr oder weniger direkt Zweifel erkennen, dass die ÖVP auch nur die Obergrenze von sechs Millionen Euro einhalten wird. Haslauer betonte, die Obergrenze entspreche jener in Wien und werde eingehalten. Er verweist seinerseits darauf, die anderen Parteien hätten den ÖVP-Vorschlag, Wahlwerbung zur Stützung des heimischen Marktes nur in österreichischen Medien, nicht aber in US-amerikanischen sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter zu erlauben, abgelehnt.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich in Wien
ORF.at/Christian Öser
„Unsere Landeshauptfrau“ entlang der U4 in Wien sorgt für einen gewissen Befremdenseffekt
Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich in Wien
ORF.at/Christian Öser
Direkt am Gürtel und doch mit ganzem Herzen in Niederösterreich
Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich in Wien
ORF.at/Christian Öser
Wienzeile: Das Plakat hängt zwar mitten in Wien – Wienerinnen und Wiener sind aber nicht gemeint
Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich in Wien
ORF.at/Christian Öser
Auch Wien ist Teil der Welt und ein Kind der Zeit. Aber nein, eine Wahl steht auch in Wien-Hietzing nicht an.
Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich in Wien
ORF.at/Christian Öser
„Unsere Landeshauptfrau“ an der Linken Wienzeile

Treppenwitz mit Arrangement

Auf die Frage, ob es nicht einem Treppenwitz gleichkomme, dass jene Partei, die Wien immer wieder gern zum Feindbild stilisiert, ihren Landtagswahlkampf auch mitten in dieser Stadt austrage, betont der Politologe Peter Filzmaier, das treffe vor allem auf die ÖVP-Bundespartei zu. Die niederösterreichische Volkspartei habe es dagegen stets verstanden, sich mit Wien zu arrangieren – notfalls mit „null Skrupel“ auch gegenüber der Bundespartei.

„Match in und um Wien“

Filzmaier bestätigt zugleich, dass es die ungleich größere finanzielle Kraft der ÖVP ist, die es ihr erlaube, auch in Wien zu werben. NEOS und Grüne müssten in Wien und Umgebung eigentlich stark werben, aber es fehle ihnen einfach das Geld.

Auf den ersten Blick wirkt es wohl für viele eigenartig, wenn man auf Plakate wie „Unsere Landeshauptfrau“ in einer Stadt trifft, deren Landeshauptmann Michael Ludwig heißt. Wahltaktisch, so Filzmaier, ergibt das freilich Sinn. Denn das „Match in und um Wien, also der Speckgürtel, ist der wichtigste Battleground“, die von US-Wahlkämpfen übernommene Bezeichnung von für den Wahlausgang besonders wichtigen Regionen.

Eine wichtige Veränderung gibt es seit der letzten Wahl: Zweitwohnsitzer – es sind überwiegend Wienerinnen und Wiener, die auch ein Haus oder eine Wohnung in Niederösterreich haben – dürfen diesmal nicht mehr wählen. Wegen teils verdächtig anschwellender Wahllisten vor Wahlen wurde diese Möglichkeit abgeschafft. Damit fallen rund 100.000 Stimmen weg, um die teils erbittert gekämpft wurde. Trotzdem: In den Gemeinden um Wien leben rund 400.000 Wahlberechtigte – das sei bei insgesamt 1,3 Millionen ein großer Brocken, so Filzmaier.

Regierung nach Proporz

Niederösterreich ist neben Oberösterreich mittlerweile das einzige Bundesland, in dem es noch das Modell der Proporzregierung gibt. Ab einer gewissen Größe stehen jeder Partei automatisch einer oder mehrere Landesräte zu. In Niederösterreich liegt diese Grenze etwa bei knapp unter zehn Prozent.

Die „Absolute“, um die es geht

Dass Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) die absolute Mehrheit nach Mandaten im Landtag halten kann, wird von Fachleuten – angesichts der allgemeinen Schwäche der ÖVP in Umfragen und der Korruptionsvorwürfe – als unwahrscheinlich eingeschätzt. Das galt bereits bei ihrem ersten Antreten 2018 als Überraschung. Laut Filzmaier ist vielmehr das Halten der „Absoluten“ in der Landesregierung das eigentliche ÖVP-Wahlziel. Dort hält die ÖVP aktuell sechs von neun Sitzen, zwei die SPÖ, einen die FPÖ.

Grüne und NEOS „wichtige Gegner“

Und hier kommen Wien und Umgebung ins Spiel: Denn die ÖVP könne sich einen möglichen Verlust eines Landesrats an die Freiheitlichen leisten, so Filzmaier. Mit 5:4 hätte sie weiter allein das Sagen. Aber jedenfalls gelte es aus Sicht der Volkspartei zu verhindern, dass Grüne oder NEOS so stark werden, dass die ÖVP einen Sitz in der Landesregierung an Grüne oder NEOS abgeben muss.

Stimmenanteile (Prozent) der Parteien in den Gemeinden bei der Landtagswahl Niederösterreich 2018. Im Menü rechts oben kann zwischen den Parteien gewechselt werden.

Daher sei ein gutes Abschneiden der ÖVP im Speckgürtel „doppelt wichtig“. Lange habe das Match hier – mit Ausnahme des Südostens, in dem die SPÖ traditionell stark ist – Volkspartei versus Grüne gelautet. Nun sei auch noch NEOS dazugekommen.

In dieser Region ist die Wählerschaft – im Verhältnis zum Rest des Landes – deutlich jünger und urbaner. Und es gibt hier überdurchschnittlich viele Wechselwähler. Grüne und NEOS sind laut dem Politologen daher im Speckgürtel „wichtige Gegner, auch wenn sie einen relativ kleinen Stimmenanteil haben“. Die ÖVP-Landesorganisation erreiche hier offenbar auch mehr Menschen als die Bundespartei. Und so wie die anderen Parteien kann es sich auch die ÖVP nicht erlauben, auch nur auf wenige potenzielle Stimmen zu verzichten.