Sozialpartner bei PK
APA
Schulterschluss der Sozialpartnerinnen

Eine Milliarde für Kinderbetreuung gefordert

Flächendeckende Möglichkeiten der Kinderbetreuung, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Chancen für Kinder und Eltern, insbesondere für Frauen: Im Rahmen eines Kinderbetreuungsgipfels der Sozialpartnerschaft in der Wiener Hofburg sind am Dienstag gemeinsam mit Expertinnen und Experten Lösungen und konkrete Forderungen an die Regierung erarbeitet worden. Das Thema sei dringlich – schon in der Auftaktpressekonferenz wurde die Forderung nach einer Milliarde Euro jährlich laut.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf habe sich in den vergangenen Jahren zu einem gesellschaftlichen Schlüsselthema entwickelt. Es seien noch immer mehrheitlich die Frauen, die den Drahtseilakt zwischen Familie und Beruf zu meistern hätten. Am Gipfel in der Hofburg nahmen auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer teil, neben der Präsentation von Best-Practice-Beispielen standen Diskussionsrunden mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Expertinnen und Experten auf dem Programm.

Van der Bellen verwies bei der Eröffnung des Gipfels darauf, dass in Österreich noch immer zu wenig in elementare Bildung investiert werde. Die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden müssten endlich ins Tun kommen und die nötigen Rahmenbedingungen schaffen.

Sozialpartnerschaft will „Turbo zünden“

Es sei einzigartig, dass sich die Sozialpartnerschaft mit der Industriellenvereinigung und der Landwirtschaftskammer geschlossen für das Thema starkmache, so Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl: „Jetzt haben wir alle ein gemeinsames Ziel, um den Turbo zu zünden.“ Es sei völlig unverständlich, dass Österreich im EU-Vergleich hinterherhinke und die Barcelona-Ziele zur Kinderbetreuungsquote nicht nur verfehle, sondern auch versuche, diese aufzuweichen.

Grafik zur Kinderbetreuung in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Statistik Austria

Vor dem Hintergrund des akuten Arbeits- und Fachkräftekräftemangels sei der Ausbau der „qualitätsvollen Kinderbetreuung“ mit einer Ausweitung der Öffnungszeiten, die mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar sind, „ein Muss“ und wichtig für Frauen, Familien und den gesamten Wirtschaftsstandort Österreich, sagte Martha Schultz, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer (WKO) und Bundesvorsitzende von Frau in der Wirtschaft (FiW), und forderte einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Der Zeitpunkt der Forderung sei günstig: zu Beginn der Finanzausgleichsverhandlungen. „Das ist jetzt unsere größte Chance – die größte Chance, die wir in den letzten Jahren hatten, etwas zu verändern.“

Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder ab eins gefordert

Auch Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende, betonte die Wichtigkeit des Rechtsanspruchs. „Der Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Geburtstag des Kindes wäre essenziell für arbeitende Eltern, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Aber natürlich heißt das auch, dass dafür die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen."

„Um gute Kinderbildung überhaupt zu ermöglichen, muss auch darauf geschaut werden, wie es den Beschäftigten in der Elementarpädagogik geht. Alle politischen Kräfte sind gefordert, für eine Ausbildungsoffensive und gute Arbeitsbedingungen zu sorgen, um den Arbeitskräftebedarf zu decken“, so die Gewerkschafterin.

„Dringlichkeit wird sehr viel Fokus auf Umsetzung legen“

Sabine Herlitschka, Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung (IV), zitierte den Chef des Fiskalrates, Christoph Badelt, aus dem Ö1-Morgenjournal: Die wirksamste Maßnahme gegen den Arbeitskräftemangel sei, den Anteil der berufstätigen Frauen zu erhöhen.

„Wir haben schon eine gewisse Routine, aber wir sind konsequent gewesen, weil das Thema wichtig ist und jetzt ist es dringend. Deswegen fordern wir ein, dass die vielen Vorschläge, die am Tisch liegen, umgesetzt werden.“ Das sei das „Unangenehme, aber auch Praktische an Dringlichkeit. Die Dringlichkeit wird sehr viel Fokus auf Umsetzung legen.“ Der Kindergarten als der erste Bildungsort brauche ein starkes politisches Bekenntnis aller Beteiligten, um die Potenziale für den Wirtschaftsstandort zu heben.

Auch im ländlichen Raum brauche es den konsequenten Ausbau einer bedarfsgerechten, qualitätsvollen Kinderbetreuung, so die Vizepräsidentin der Landwirtschaftskammer und Bundesbäuerin Irene Neumann-Hartberger. „Öffnungszeiten müssen an die Arbeitswelt angepasst sein. Arbeitsplatzangebot, digitaler Ausbau und eine entsprechende Infrastruktur entscheiden über die Rückkehr gut ausgebildeter Eltern in ihre Heimatgemeinden.“

Das sei von großer Bedeutung für die Vitalität des ländlichen Raumes, „davon profitieren Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Lebensqualität vor Ort“. Sie verwies auf Best-Practice-Beispiele etwa von Kinderbetreuungsangeboten bei Tageseltern auf Bauernhöfen.

Mehr Betreuungsplätze für Kinder gefordert

Die Sozialpartner und die Industriellenvereinigung fordern zum wiederholten Mal mehr Betreuungsplätze für Kinder sowie einen Rechtsanspruch der Eltern auf Betreuung des Kindes ab dem ersten Geburtstag.

Die Kindergartengewerkschaft younion sieht die Eröffnungsworte des Bundespräsidenten als Auftrag an die Bundesregierung, endlich mehr in die Kinderbildung zu investieren. Die immer wieder von Regierungsmitgliedern vorgebrachte Kindergartenmilliarde sei eine reine Mogelpackung, so Christian Meidlinger, Vorsitzender der younion. „De facto handelt es sich um eine Budgeterhöhung von 57,5 Millionen Euro pro Jahr. Das ist für eine längst überfällige Ausbildungsoffensive und ein Bauprogramm natürlich viel zu wenig.“ Er wies darauf hin, dass die Beschäftigten in Kleinkindergruppen, Kindergärten und Horten oft über die Belastungsgrenzen gehen müssten.

Unterstützung von Handelsverband und GPA

Auch der Handelsverband unterstütze die Forderungen der Sozialpartnerinnen und der IV, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will in einer Aussendung. „Der Handel ist weiblich. 72 Prozent der Angestellten sind weiblich. Für eine Steigerung der Vollzeitquote ist es essenziell, dass Frauen, die noch immer den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernehmen, größtmöglichen Spielraum haben.“ Investitionen in die Kinderbetreuung seien die besten Investitionen für die Zukunft. Davon würden nicht nur die Kinder profitieren, sondern auch die Eltern.

In einer Aussendung zeigte auch die Gewerkschaft GPA, die für die privaten Einrichtungen zuständig ist, Solidarität mit den Forderungen. Dabei betonte GPA-Vorsitzende Barbara Teiber, dass Investitionen in Kinderbildung unbedingt mit verbesserten Arbeitsbedingungen jener, die in der Kinderbetreuung arbeiten, einhergehen müssten. „Im Wesentlichen müssen aufseiten der Beschäftigten drei Punkte verbessert werden: das Gehalt, die Gruppengrößen und die Personalausstattung“, so Teiber.

SPÖ fordert 100.000 Kinderbetreuungsplätze

Dass acht von zehn Teilzeitbeschäftigten laut Rechnungshofbericht Frauen seien, liege auch am mangelnden Angebot an ganztägigen Kinderbetreuungsplätzen, so SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner. Die hohe Teilzeitquote sei auch eine der Ursachen für die hohen Einkommensunterschiede in Österreich. Die SPÖ fordere, dass in den kommenden Jahren 100.000 Kinderbetreuungsplätze und 180.000 zusätzliche Ganztagsschulplätze geschaffen werden. Außerdem müssten die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Elementarbildungsbereich dringend verbessert werden.

„Der Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Gratiskinderbetreuungsplatz ist längst fällig. Die 200 Millionen, die jährlich von der Regierung für den Ausbau vorgesehen sind, sind ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eine Milliarde zusätzlich pro Jahr für die Kinderbildung ist unbedingt erforderlich“, so Holzleitner.

Laut SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler scheitere der Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Kinderbetreuungsplatz „längst einzig und allein an der ÖVP“. Die Zahl der mit einem Beruf vereinbarten Kinderbetreuungsplätze sinke laut Statistik Austria, statt zu steigen. Dabei würde der flächendeckende Ausbau des Kinderbildungsangebots nur Gewinnende bringen und etwa auch eine Antwort auf den Arbeitskräftemangel darstellen.

NEOS: ÖVP und Grüne müssen liefern

NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre erneuerte anlässlich des Gipfels ihre Forderung nach einem verbindlichen Stufenplan, der die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung und Elementarbildung ab dem ersten Geburtstag des Kindes zum Ziel hat. „Es steht außer Frage, dass für einen solchen Rechtsanspruch der Job der Elementarpädagoginnen und -pädagogen deutlich aufgewertet werden muss, um mehr Menschen dafür begeistern zu können.“ ÖVP und Grüne müssten jetzt endlich liefern.

„Investitionen in qualitätsvolle Elementarbildung und Kinderbetreuung lohnen sich immer und in vielerlei Hinsicht“, ergänzte NEOS-Familiensprecher Michael Bernhard. Neben Vorteilen für die Familien würde auch der Wirtschaftsstandort Österreich enorm von einem Ausbau der Kinderbetreuung profitieren.

Gemeindebund gegen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung

Weiter gegen einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ist der Gemeindebund. Ein solcher wäre „ein Versprechen des Bundes an die Eltern und Kinder, welches seitens der Gemeinden – aufgrund vieler nicht in ihrer Kompetenz liegender und daher für sie nicht lösbarer Problemfelder – nicht eingehalten werden kann“. Dazu gehörten etwa Personalmangel, fehlende finanzielle Unterstützung und teils mangelnder Bedarf. Außerdem würde die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung auch zu Verlangen nach weiteren Ansprüchen – etwa auf einen Pflegeplatz oder einen Arbeitsplatz – führen.

Der ÖVP-nahe Familienbund erklärte, dass der Fokus auf dem Kindeswohl liegen müsse „und nicht darauf, wie viel Eltern arbeiten könnten, wenn Kinder in Vollzeitbetreuung sind“. „Das Recht auf Elternteilzeit wird zurzeit hauptsächlich von Müttern in Anspruch genommen. Dieses Angebot sollte vermehrt von beiden Elternteilen genutzt werden. Kinderbetreuungsangebote ausschließlich mit dem Augenmerk auf Frauen zu sehen ist nicht mehr zeitgemäß. Ebenso müssen Angebote wie Tageseltern und Leihgroßeltern, Au-pairs attraktiver gestaltet werden, da sie gesuchte familiennahe Angebote sind“, so Familienbund-Präsident Bernhard Baier.

Der sozialdemokratische GemeindevertreterInnenverband (GVV) sieht sich hingegen vom Sozialpartnergipfel bestätigt. „Für uns steht fest, dass unabhängig vom Einkommen der Eltern jedes Kind ein Recht auf Bildung und Betreuung von Anfang an hat. Und der Kindergarten ist die erste Bildungseinrichtung“, so der Vorsitzende des GVV, SPÖ-Kommunalsprecher Andreas Kollross, in einer Aussendung. Nur von Teilen der ÖVP, die in dieser Frage zerrissen sei, komme nach wie vor Blockadehaltung, so Kollross, der auch den Koalitionspartner der Türkisen nicht aus der Verantwortung entließ: „Die Grünen sind aufgefordert, hier Druck auf die ÖVP zu machen.“