Rauch über der Stadt Soledar
AP/Roman Chop
Bachmut und Soledar

Russische Fortschritte mit unklarem Ziel

Seit Monaten greifen russische Truppen – allen voran die Söldner der Wagner-Gruppe – die Stadt Bachmut in der Ostukraine an. Nach schweren Verlusten auf beiden Seiten scheint Russland vor der Einnahme des Salzabbaustädtchens Soledar nahe Bachmut zu stehen. Das strategische Ziel des gesamten Vorstoßes war internationalen Militärexperten lange ein Rätsel. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin führte die riesigen Tunnelsysteme dort als Grund an – doch das darf bezweifelt werden.

Der Wagner-Chef verkündete am Dienstag nach russischen Angaben, dass Soledar erobert sei. Im Zentrum des Ortes sei noch eine Gruppe ukrainischer Soldaten eingekesselt. Der Kreml bestätigte die Einnahme nicht offiziell, sprach aber von einer „positiven Dynamik“.

„Dort gibt es eine positive Dynamik beim Vorankommen, aber der militärische Erfolg ist dann erreicht, wenn wir die Ziele, die der Oberkommandierende gestellt hat, im Lauf der militärischen Spezialoperation erreichen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Taktische Erfolge seien trotzdem sehr wichtig.

Kiew dementiert

Peskow wollte die Einnahme Soledars, über die die Söldnertruppe Wagner in der Nacht berichtet hatte, nicht bestätigen. Er verwies stattdessen auf „offizielle Erklärungen“, die in Moskau vom Verteidigungsministerium kommen. Zugleich räumte er allerdings ein, dass die Fortschritte, die Russland derzeit an der Front erziele, „einen hohen Preis“ haben. Kiew wiederum wies die Einnahme Soledars zurück. „Soledar war, ist und wird immer ukrainisch sein“, erklärte die ukrainische Armee am Mittwoch auf Telegram.

Bachmut als eigentliches Ziel

Aber schon zuvor hatte das britische Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass die russische Armee und die Söldner der Wagner-Gruppe nach den Vorstößen der vergangenen vier Tage nun wahrscheinlich den größten Teil Soledars unter Kontrolle hätten. Die Stadt mit früher 10.000 Einwohnern in der Industrieregion Donbas liegt nur wenige Kilometer von Bachmut entfernt.

Russlands Angriff auf Soledar sei höchstwahrscheinlich ein Versuch, Bachmut von Norden her einzuschließen und ukrainische Verbindungswege zu unterbrechen, so das britische Verteidigungsministerium in seinem täglichen Geheimdienst-Briefing.

Riesiges Tunnelsystem

Die Kämpfe in Soledar konzentrierten sich auf Zugänge zu stillgelegten Salzminenstollen, die unter dem Gebiet verlaufen und insgesamt rund 200 Kilometer lang seien. „Beide Seiten sind wahrscheinlich besorgt, dass sie zum Vordringen hinter ihre Linien missbraucht werden könnten“, hieß es aus London.

Genau mit diesem Tunnelsystem begründete Wagner-Chef Prigoschin unlängst die mittlerweile seit Anfang August des Vorjahres anhaltende Offensive in der Region: „Das Sahnehäubchen obendrauf ist das Minensystem von Soledar und Bachmut, das eigentlich ein Netz unterirdischer Städte ist“, schrieb Prigoschin auf Telegram.

USA: Eher wirtschaftliche Interessen

„Es kann nicht nur eine große Gruppe von Menschen in einer Tiefe von 80 bis 100 Metern aufnehmen, sondern auch Panzer und Schützenpanzer können sich darin bewegen.“ Zudem behauptete er, in den Tunneln würden seit dem Ersten Weltkrieg Waffen gelagert. Die Ansicht wird eher bezweifelt. Die stillgelegten Stollen des Salzbergwerks waren früher ein Ausflugsziel, in einer unterirdischen Halle wurden sogar Konzerte aufgeführt, das Akademische Symphonieorchester Luhansk spielte dort unter dem österreichischen Dirigenten Kurt Schmid.

Das Donetsk Symphony Orchester bei einem Konzert in einer Salzmine in Soledar
Reuters
Ein Bild aus besseren Zeiten: Konzert im Salzstollen 2004

Aus US-Regierungskreisen hieß es, Prigoschin wolle aus kommerziellen Gründen die Kontrolle über die Salz- und Gipsminen in der Region übernehmen. Die Verbindung von militärischen und wirtschaftlichen Interessen war der Wagner-Gruppe auch in anderen Regionen, etwa in Afrika, schon vorgeworfen worden.

Wagner-Chef stellt Truppe ins Rampenlicht

Bereits am Montag betonte Prigoschin, dass „ausschließlich“ Einheiten seiner Wagner-Gruppe in Soledar Boden gewinnen würden. Der US-Thinktank Institute for the Study of War vermutet, dass Prigoschin die Erfolgsmeldungen – seien sie bestätigt oder auch nur erfunden – gezielt einsetze, um seine Gruppe als die einzige russische Kraft in der Ukraine zu propagieren, die in der Lage ist, greifbare Erfolge zu erzielen. Stimmt diese These, dann würde das aber auch heißen, dass die Wagner-Truppe auch innerhalb der russischen Armee ein eigenes Spiel treibt.

Erfolg vor allem symbolisch

Die russische Militärführung wiederum könnte die Einnahme von Bachmut, falls und wann auch immer sie gelingt, als ersten militärischen Erfolg seit Langem für Propaganda nützen. Und man wäre dem Ziel, die gesamte Oblast Donezk unter russische Kontrolle zu bringen, zumindest einen kleinen Schritt näher. Doch da wartet noch der Ballungsraum zwischen Slowjansk und Kramatorsk, der von der ukrainische Armee mit Sicherheit noch verbissener verteidigt werden wird.

Neben einem symbolischen und psychologischen Erfolg habe Bachmut eben nur eine geringe strategische Bedeutung für den weiteren Verlauf des Krieges, meinen internationale Militärexperten. Sogar einige russische Militärblogger kritisieren, dass es unverständlich sei, wieso man zu den besten Kräften zählende Truppen für eine Zermürbungsschlacht einsetze, die für den gesamten Kriegsverlauf eher ein Nebenschauplatz sei.

ORF-Analyse: Schlacht um Donezk

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz meldet sich aus der Ukraine. Er berichtet über die Lage in Donzek, wo sich die Kämpfe besonders auf Bachmut und Soledar konzentrieren.

Enorme Verluste

Die Verluste scheinen auf beiden Seiten jedenfalls enorm zu sein. Prigoschin sprach von „schweren, blutigen Schlachten“ im Kampf um Soledar. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschrieb die Lage in Soledar als weiter äußerst angespannt. „Es ist sehr schwer: Es sind dort kaum noch intakte Wände übrig“, sagte Selenskyj in seiner Videobotschaft in der Nacht auf Dienstag.

„Dank der Widerstandsfähigkeit unserer Soldaten in Soledar haben wir zusätzliche Zeit gewonnen und Kräfte für die Ukraine erhalten“, sagte Selenskyj vor der Einnahmemeldung der Wagner-Gruppe. Der Staatschef ergänzte: „Alles ist völlig zerstört (…) der Boden in Soledar ist mit den Leichen der Angreifer bedeckt und von den Explosionen gezeichnet.“

zerstörtes Farbikgebäude einer Salzmine in Soledar
IMAGO/ZUMA Wire
Zerstörtes Fabrikgebäude in Soledar

Kampf um Bachmut geht weiter

Auch die Lage in Bachmut wird als gespenstisch beschrieben: Von den ehemals 70.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind alle, die konnten, geflohen. Die meisten Gebäude der Stadt sind völlig zerstört. Die Artillerieangriffe hätten aber im Dezember leicht nachgelassen, heißt es von ukrainischer Seite. Spekuliert wird im „Kyiv Independent“ damit, dass Russland Probleme mit dem Nachschub von Munition hat – ein Problem, das sich aber auch für die Ukraine stellt.

Mit der Einnahme von Soledar wird Russland wohl versuchen, Bachmut einzukesseln. Wie lange es dann dauert, die Stadt ganz unter Moskaus Kontrolle zu bringen, hängt dann von den ukrainischen Verteidigern ab. Setzt man auf einen Häuserkampf, könnten diese Gefechte weitere Wochen dauern. Allerdings könnten die Nachschublinien der Ukrainer leicht unterbrochen werden, ein Rückzug wäre dann wohl die sicherere Variante.