Polnisches Parlament von innen, Vogelperspektive
IMAGO/newspix/Damian Burzykowski
Auf Weg zu EU-Geldern

Polens Justizreform nimmt erste Hürde

Im polnischen Parlament hat eine Reform des Obersten Gerichtshofs die erste Hürde genommen. Sie gilt als Schlüssel für 35 Milliarden Euro, die die EU bisher zurückgehalten hat. Der von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki eingebrachte Entwurf ist ein Drahtseilakt: Brüssel soll damit ebenso zufriedengestellt werden wie der rechte Flügel seiner eigenen Koalition. Und auch Präsident Andrzej Duda hatte zuletzt Einwände.

Die erste Parlamentskammer (Sejm) stimmte am Mittwoch dafür, weiter an dem Gesetz zu arbeiten. Weitere Hürden sind jedoch zu erwarten. Eigentlich wäre der Gesetzesentwurf schon im Dezember auf der Agenda des Parlaments gestanden. Doch Duda kritisierte, dass er zuvor keine Einsicht nehmen konnte – und wollte erst prüfen lassen, ob der aktuelle Entwurf mit der polnischen Verfassung übereinstimme. Daraufhin wurde der Punkt wieder von der Tagesordnung gestrichen. Nun landete er mit einigen Wochen Verspätung im Sejm – trotz Zustimmung gibt es aber viel Kritik.

Im Mittelpunkt steht die Unabhängigkeit der Justiz – diese sah nicht nur die EU bedroht. Zwar wurde etwa die Disziplinarkammer, die über Disziplinarverfahren gegen Richterinnen und Richter entschied, abgeschafft – doch auch der Ersatz wurde von der EU nicht akzeptiert. Diese Einrichtungen wurden im Einflussbereich der Regierung gesehen. Stattdessen soll sich künftig der Oberste Verwaltungsgerichtshof darum kümmern. Auch die Sanktionierung von Richtern, die etwa den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Auslegung von EU-Recht bitten, soll nicht mehr möglich sein.

Polnischer Premierminister Mateusz Morawiecki
Reuters/Yves Herman
Morawiecki fordert eine Freigabe der Gelder durch die EU

Der EuGH verhängte wegen der kritisierten Missstände eine Strafe von einer Million Euro pro Tag gegen Warschau – mittlerweile hat sich das auf über 400 Mio. Euro summiert (die Polen bisher nicht gezahlt hat). Darüber hinaus hielt die EU-Kommission 35,4 Mrd. Euro an Hilfsgeldern aus dem CoV-Wiederaufbaufonds zurück. Im Sommer gab es eine Annäherung zwischen der EU und Polen, prinzipiell zeigte sich Brüssel bereit, die Gelder an Polen auszuzahlen. Allerdings nur, wenn gewisse Meilensteine auch wirklich umgesetzt werden.

Auch Parlamentswahl spielt in Debatte hinein

Nun will man also den Weg frei für den Zugriff auf diese 35 Milliarden machen. Mit der enorm gestiegenen Inflation und auch im Hinblick auf die anstehende Parlamentswahl im Herbst ist das ein großes Anliegen für Premier Morawiecki von der PiS. Die größte Hürde zur Umsetzung war aber bisher der Juniorpartner in der Koalition. Die europaskeptische, ultrakonservative Partei Vereintes Polen stellt mit Zbigniew Ziobro ausgerechnet den Justizminister – und ist große Gegnerin der mit der EU verhandelten Pläne. Auch am Mittwoch stimmte die Partei geschlossen gegen die Pläne.

Polnischer Präsident Andrzej Duda und Justizminister Zbigniew Ziobro, 2019
Reuters/Kacper Pempel
Justizminister Ziobro (rechts), hier neben Präsident Duda, ist gegen die Änderungen

Neben dem Präsidenten und dem Koalitionspartner gibt es auch Kritik von zahlreichen Anwältinnen und Anwälten. Die einen zweifeln daran, dass die Bedenken der EU damit ausgeräumt sind, die anderen sehen das Gesetz nicht im Einklang mit der polnischen Verfassung – auch die Vereinigung der Verwaltungsrichter und der Anwaltsrat lehnen den Entwurf ab. Und: Einige Stimmen sehen vor allem die eigentlichen Probleme mit Polens Justiz dadurch nicht gelöst.

Opposition legte sich nicht quer

Bis zuletzt zeigte sich eigentlich auch die Opposition ablehnend – am Mittwoch hieß es jedoch, dass man sich nicht querlegen werde. Letztlich stimmte man gemeinsam mit der PiS. Vor allem auch der in die polnische Politik zurückgekehrte und nunmehrige Oppositionsführer Donald Tusk von der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) kritisierte die Regierung im Vorfeld aber scharf.

Würde die Koalition heute ihren Streit beilegen, würde „morgen die Opposition Ihnen erlauben, dieses unvollkommene Gesetz zu verabschieden“, so Tusk bei einer Pressekonferenz. Sollte das Gesetz ausreichen, dass die EU-Hilfsgelder kämen, werde die Opposition es „nicht verhindern. Das ist das Geld der Polen“, so Tusk. Gleichzeitig brachte man am Donnerstag eigene Änderungsanträge ins Parlament ein.

Laut einer aktuellen Umfrage sei die Freigabe der EU-Milliarden auch für den bevorstehenden Wahlkampf ein entscheidendes Thema, berichtet das Nachrichtenportal Gazeta. Zwar liegt Morawieckis PiS noch voran, doch Tusks Partei konnte zuletzt aufschließen. Damit könnte sich theoretisch eine Koalition der Oppositionsparteien ausgehen, die allerdings ideologisch breit gefächert und wohl entsprechend wackelig wäre, wie auch „Politico“ schreibt.

Viele Fragen weiter offen

Nach der ersten Lesung im Sjem am Mittwoch soll es am Donnerstag zur zweiten Lesung kommen. Unabhängig vom koalitionsinternen Streit gilt es auch noch, den Präsidenten zu überzeugen. Dessen Votum ist ebenso offen wie die Frage, wie Brüssel das Gesetz letztlich sieht. Justizkommissar Didier Reynders bezeichnete den Entwurf schon vor einer Woche als „vielversprechenden Schritt“ in Richtung der festgehaltenen Mittel aus dem Aufbaufonds.