der russische Präsident Wladimir Putin
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Besetzte Gebiete

Lage laut Putin „schwierig“

In wenigen Wochen jährt sich der Überfall auf die Ukraine zum ersten Mal, der vom Kreml erwartete schnelle Sieg ist weit in die Ferne gerückt. Doch zuletzt machten die russischen Truppen im Osten der Ukraine Fortschritte. Die kleine Stadt Soledar soll den Weg nach Bachmut ebnen. Doch selbst Kreml-Chef Wladimir Putin räumt die verfahrene Lage dort ein.

Seit Monaten gibt es Kämpfe in der Oblast Donezk um die Städte Bachmut und Soledar. Beide gelten nicht als kriegsentscheidend, die strategische Bedeutung wurde auch von russischer Seite schon angezweifelt. Dennoch kämpfen Ukraine und Russland erbittert um die Gegend, mit enorm hohem Blutzoll.

Am Mittwoch beschrieb selbst Putin die Lage in den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten als „schwierig“. „In einigen Gebieten dauern Kampfhandlungen an“, so Putin bei einem Gespräch mit Regierungsvertretern. „Aber all das ist kein Grund, eine Pause zu machen und die dringlichsten Fragen aufzuschieben.“ Putin wies das russische Kabinett an, in den kommenden Monaten einen Plan für die Entwicklung der Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk auszuarbeiten – etwa in Hinblick auf Infrastruktur und Sozialleistungen.

Ökonom: Putin geht das Geld aus

Russland verfüge immer noch über genügend Ressourcen, um das Leben der Menschen in diesen Regionen zu verbessern, so Putin.
Zusätzliche Einkünfte würden es Russland erlauben, alle Aufgaben zu erledigen. Das bezweifelte am Mittwoch allerdings Sergej Gurijew, russischer Ökonom und Politberater, im Gespräch mit Ö1.

Die jahrelange Vorbereitung auf mögliche Sanktionen und eine geschickte Politik der russischen Notenbank hätten einen Kollaps der Wirtschaft voriges Jahr verhindert, so Gurijew. Doch inzwischen würden die Sanktionen Wirkung zeigen. „Als der Westen im Dezember schließlich die Ölsanktionen verhängt hat, haben wir sofort einen großen Effekt auf das Staatsbudget gesehen. Allein im Dezember betrug das Defizit vier Billionen Rubel, umgerechnet rund 55 Milliarden Euro“, sagte Gurijew.

Putin werde langsam das Geld für seinen Krieg, für seine Söldnertruppen und iranische Drohnen ausgehen. „Meine Prognose ist, der Krieg geht weiter, doch mit geringeren Öleinnahmen kann Putin die bisherige Intensität des Krieges nicht mehr aufrechterhalten.“

Widersprüchliche Angaben zu Soledar

Vorerst aber dürfte das nächste russische Ziel die Einnahme der gesamten östlichen Oblasten Donezk und Luhansk sein. In Donezk sind die Söldner der Truppe Wagner hochaktiv, zuletzt meldete Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin die Einnahme des Salzabbaustädtchen Soledar. Im Zentrum des Ortes sei noch eine Gruppe ukrainischer Soldaten eingekesselt. Der Kreml bestätigte die Einnahme nicht offiziell, sprach aber von einer „positiven Dynamik“.

Kiew wiederum dementierte den Verlust der Stadt, es handle sich um ein Propagandamanöver, so der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache am Mittwoch. „Die Front im Donezk-Gebiet hält“, sagte er. „Die Kämpfe gehen weiter, und wir unternehmen alles, um die ukrainische Verteidigung zu stärken.“ Mit Behauptungen über vermeintliche Erfolge versuchte Russland, seine Bevölkerung zu täuschen und „die Mobilisierung zu unterstützen“. Zudem sollten die „Befürworter der Aggression“ weitere Hoffnung erhalten.

Rauch über Soledar
AP/Libkos
Das Städtchen Soledar ist bitter umkämpft

Nach Angaben des Donezker Gouverneurs Pawlo Kyrylenko befinden sich in Soledar noch 559 Zivilisten und Zivilistinnen, darunter 15 Kinder. Es sei aufgrund der heftigen Kämpfe unmöglich, die Stadt zu evakuieren.

Bachmut als eigentliches Ziel

Aber schon zuvor hatte das britische Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass die russische Armee und die Söldner der Wagner-Gruppe nach den Vorstößen der vergangenen vier Tage nun wahrscheinlich den größten Teil Soledars unter Kontrolle hätten. Die Stadt mit früher 10.000 Einwohnern in der Industrieregion Donbas liegt nur wenige Kilometer von Bachmut entfernt.

Russlands Angriff auf Soledar sei höchstwahrscheinlich ein Versuch, Bachmut von Norden her einzuschließen und ukrainische Verbindungswege zu unterbrechen, so das britische Verteidigungsministerium in seinem täglichen Geheimdienst-Briefing.

Riesiges Tunnelsystem

Die Kämpfe in Soledar konzentrierten sich auf Zugänge zu stillgelegten Salzminenstollen, die unter dem Gebiet verlaufen und insgesamt rund 200 Kilometer lang sein sollen. „Beide Seiten sind wahrscheinlich besorgt, dass sie zum Vordringen hinter ihre Linien missbraucht werden könnten“, hieß es aus London.

Genau mit diesem Tunnelsystem begründete Wagner-Chef Prigoschin unlängst die mittlerweile seit Anfang August des Vorjahres anhaltende Offensive in der Region: „Das Sahnehäubchen obendrauf ist das Minensystem von Soledar und Bachmut, das eigentlich ein Netz unterirdischer Städte ist“, schrieb Prigoschin auf Telegram.

Ukraine: Kampf um Soledar

Russische Söldner melden die Einnahme der umkämpften Stadt Soledar in der Ostukraine. Die berüchtigte Wagner-Truppe ist derzeit für Moskau in der Ostukraine im Einsatz. Kiew dementiert das allerdings, auch der Kreml will die Meldung bisher nicht bestätigen.

„Es kann nicht nur eine große Gruppe von Menschen in einer Tiefe von 80 bis 100 Metern aufnehmen, sondern auch Panzer und Schützenpanzer können sich darin bewegen.“ Zudem behauptete er, in den Tunneln würden seit dem Ersten Weltkrieg Waffen gelagert. Die Ansicht wird eher bezweifelt. Die stillgelegten Stollen des Salzbergwerks waren früher ein Ausflugsziel, in einer unterirdischen Halle wurden sogar Konzerte aufgeführt.

Aus US-Regierungskreisen hieß es, Prigoschin wolle aus kommerziellen Gründen die Kontrolle über die Salz- und Gipsminen in der Region übernehmen. Die Verbindung von militärischen und wirtschaftlichen Interessen war der Wagner-Gruppe auch in anderen Regionen, etwa in Afrika, schon vorgeworfen worden.

Erfolg vor allem symbolisch

Die russische Militärführung wiederum könnte eine mögliche Einnahme von Bachmut als ersten militärischen Erfolg seit Langem für Propaganda nützen. Und man wäre dem Ziel, die gesamte Oblast Donezk unter russische Kontrolle zu bringen, zumindest einen kleinen Schritt näher. Doch da wartet noch der Ballungsraum zwischen Slowjansk und Kramatorsk, der von der ukrainischen Armee mit Sicherheit noch verbissener verteidigt werden wird.