Jäger auf der Jagd in den Pyrenäen
APA/AFP/Lionel Bonaventure
Regierungspläne

Frankreichs Dilemma mit der Jagd

Jagen spielt im Leben vieler Franzosen und Französinnen eine wichtige Rolle. Nirgends in der EU gibt es so viele Jäger und Jägerinnen. Deshalb erhalten ihre Stimmen in politischen Debatten Gewicht. Doch jüngst heizten tödliche Jagdunfälle Forderungen nach schärferen Regeln an. Die Regierung will sich dessen annehmen, doch für Kritiker spricht die Jagdlobby aus den Maßnahmen.

Am Montag hatte die Regierung in der Präsidentschaft von Emmanuel Macron erklärt, sie werde die Vorschriften gegen das Jagen unter Drogen- und Alkoholeinfluss verschärfen. Jäger und Jägerinnen, die in einen schweren Unfall verwickelt sind, sollen künftig auch ihre Lizenz verlieren. Zu den präventiven Maßnahmen zählen die Erhöhung der Ausbildungs- und Sicherheitsanforderungen sowie ein „System“, um Wanderer und Wanderinnen vor aktiven Jagdgebieten zu warnen.

Eine Forderung, die laut Umfragen von der französischen Bevölkerung goutiert wurde, hatte die Regierung jedoch nicht angekündigt: ein Jagdverbot an Sonntagen. Der Nationale Jägerverband (FNC), der sich einen jagdfreien Sonntag „keine Sekunde lang“ vorstellen kann, hatte den „Pragmatismus“ der Regierung begrüßt. Er will die Maßnahmen des „gesunden Menschenverstands“ unterstützen. Macron sei zu loben, dass er den Samstag und Sonntag nicht angegriffen habe.

„Präsident der Jäger“

Für Umweltschützer und -schützerinnen bedeuten die Pläne einen weiteren Kniefall vor der Jagdlobby. Frankreichs Schauspiellegende und Tierschutzaktivistin Brigitte Bardot hatte in einem offenen Brief – schon vor der Ankündigung – Macron als „Präsidenten der Jäger“ und „Marionette“ des FNC kritisiert. „Da Sie sich persönlich gegen die Einführung jagdfreier Sonntage stellen (…), werden Sie persönlich für Sonntagsunfälle verantwortlich gemacht“, so Bardot.

Berichten zufolge pflegt Macron seit 2017 gute Kontakte zum nationalen Verband – auch wenn er selbst nicht auf die Jagd geht. Seinen 40. Geburtstag feierte der frisch gekürte Staatschef auf Schloss Chambord, einer traditionellen Jagddomäne. 2018 halbierte Macron die Gebühren für den Jagdschein, um, so die offizielle Argumentation, den Nachwuchs zu fördern. Der Jagdverband zeigte sich erfreut über die Maßnahme.

Schloss Chambord
IMAGO/Peter Schickert
Das Schloss Chambord nahm als Jagdsitz in Frankreichs Geschichte eine bedeutende Rolle ein

Viele Jäger – viele Unfälle

Macrons Verhältnis zum Jagdverband war in der Vergangenheit schon oft Thema innenpolitischer Debatten. Besonders in Wahlkampfzeiten, so Gegner und Gegnerinnen des Präsidenten, schielt Macron auf die zahlenmäßig große Interessengruppe. Immerhin haben fünf Millionen Franzosen und Französinnen einen Jagdschein, 1,1 Millionen sind laut FNC-Zahlen aktiv registrierte Jäger und Jägerinnen. Zum Vergleich: In Österreich gibt es nach Angaben des Dachverbands insgesamt 130.000 Jäger und Jägerinnen.

Es gibt allerdings auch viele Unfälle. Den aktuellsten Angaben des französischen Amts für Biodiversität (OFB) zufolge gab es in der Saison 2021/22 insgesamt 90 Unfälle, sechs mehr als in der vorangegangenen Saison, acht davon endeten tödlich. So wurde etwa ein 67 Jahre alter Mann auf der Autobahn von einer verirrten Kugel eines Jägers in den Nacken getroffen. Gegen den Jäger wird wegen Totschlags ermittelt.

In den letzten 20 Jahren seien 88 Prozent der Opfer von Jagdunfällen aber die Jäger und Jägerinnen selbst gewesen. Die Zahl der verletzten Personen, die nicht der Jagd angehören, ist nach Angaben des OFB in den letzten zwei Jahrzehnten von zwölf auf 26 Prozent gestiegen. „In den allermeisten Fällen seien die Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen, das mit der Nichteinhaltung der grundlegenden Sicherheitsvorschriften zusammenhängt.“

Jäger in einem Wald bei Pontcarre in Frankreich
Reuters/Manuel Ausloos
Eine Million Franzosen und Französinnen sind laut Verbandsangaben aktive Jäger und Jägerinnen

„Feuer und Schwefel“ über Landschaft

Bereits in den vergangenen Jahren wurden kritische Stimmen laut, die sagten, dass die französische Regierung auf alle Wünsche der Jäger und Jägerinnen eingehe, um die Lobbygruppe nicht zu verärgern. So soll es auch bei den aktuell präsentierten Maßnahmen gewesen sein. Der Jagdverband hatte sich etwa für einen neuen Straftatbestand beim Jagen ausgesprochen: Der sollte ähnlich geregelt sein wie in Sachen Alkohol am Steuer. Wenn es hingegen zu jagdfreien Tagen kommen sollte, würde „Feuer und Schwefel“ über die französische Landschaft hereinbrechen, warnten die Jäger und Jägerinnen.

Bekannte Umweltschutzorganisation bezeichneten die angekündigten Pläne als „lächerlich“. Gegenüber „Le Monde“ sagte der ehemalige Abgeordnete und heutige Vorsitzende der Vogelschutzliga, Matthieu Orphelin: „Wenn der Sicherheitsplan für die Jagd am Ende nur aus ein paar kleinen Maßnahmen besteht wie dem Verbot der Jagd unter Alkoholeinfluss – was ohnehin das Mindeste wäre – oder der Idee einer freiwilligen mobilen Anwendung für Jäger, um ihren Aufenthaltsort zu melden, wird die Regierung die vier von fünf Franzosen, die einen jagdfreien Sonntag wollen, sehr enttäuschen.“

Mehr Todesopfer an Wochenenden?

Die Forderungen nach einem Jagdverbot am Sonntag bzw. Samstag wird auch damit argumentiert, dass es an Wochenenden vermehrt zu Unfällen kommt. Doch die Staatssekretärin für Ökologie, Berangere Couillard, widersprach den Organisationen. Es gebe keine Beweise, dass es dadurch weniger Opfer geben werde. „Das Ziel, an das ich fest glaube, ist es, die Zahl der Unfälle auf null zu reduzieren“, so Couillard am Montag. „Es ist eine verstärkte Sicherheit an sieben Tagen in der Woche, die wir anstreben.“

Bild von Morgan Keane auf einer Gedenkveranstaltung
APA/AFP/Valentine Chapuis
Die Jagd eines Franzosen vor zwei Jahren endet für Morgan Keane tödlich

Laut der Vereinigung „Un jour un chasseur“ haben sich bereits in dieser Jagdsaison 83 Unfälle ereignet, 57 davon an Wochenenden, und davon 39 an Sonntagen, sagte Mila Sanchez, eine Mitbegründerin der Organisation. Von den Unfällen endeten drei tödlich. Sanchez hat mit Freundinnen jene Petition für mehr Sicherheitsmaßnahmen beim Jagen gestartet, weshalb die Regierung nun etwas vorlegen musste. Ausgangspunkt der Petition war der Tod ihres Jugendfreundes Morgan Keane. Er wurde am 2. Dezember 2020 von einem Jäger mit einem Wildschwein verwechselt und getötet.

Am Donnerstag wurde der Jäger nach dem Prozess wegen fahrlässiger Tötung zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung und einem lebenslangen Jagdverbot verurteilt. Der Organisator der Jagd erhielt unterdessen eine 18-monatige Bewährungsstrafe und ein fünfjähriges Jagdverbot. Angehörige von Keane hatten sich härtere Strafen erhofft. Der Anwalt der Familie meinte: „Die Justiz hat im Rahmen der bestehenden Gesetze ihre Arbeit getan.“ Jetzt müsse der Gesetzgeber seine Arbeit machen und ein spezifisches „Jagdvergehen“ schaffen, das härtere Strafen ermöglichen könnte.