Am letzten Tag ihrer Aktionswoche wurde der Bereich rund um den Wiener Naschmarkt im Bereich der Secession blockiert. Zwölf Teilnehmer klebten sich auf die Fahrbahn des Getreidemarkts, der Friedrichstraße sowie der Rechten Wienzeile. Kurz vor 9.15 Uhr hatte die Polizei die Straßen frei gemacht.
Alle Aktivisten und Aktivistinnen wurden festgenommen und von der Polizei mitgenommen, sagte Florian Wagner, Sprecher der „Letzten Generation“, auf Anfrage. Die Exekutive bestätigte gegen Mittag diese Zahl. Auf der sonst viel befahrenen Kreuzung wurde kurz nach 8.00 Uhr ein meterhohes gelbes X aufgebaut – ein Zeichen der Solidarität mit Lützerath, einem deutschen Dorf, das dem Braunkohleabbau weichen soll. Eine Blasmusikkapelle in orangefarbenen Warnwesten sorgte für Unterhaltung, berichtete der Sprecher der „Letzten Generation“. An die Regierung wurde die Frage gerichtet: „Wo ist euer Klimaplan?“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Wütende Autofahrer
Große Staus im für einen Freitag recht ruhigen Frühverkehr blieben aus, sagte ÖAMTC-Sprecher Marc Römer auf Anfrage. Dennoch sorgte die Aktion wieder für entsprechende Emotionen bei den gestoppten Autofahrern. Martha Krumpeck, Mitbegründerin der „Letzten Generation“, soll angespuckt worden sein.
Ein Gastronom, der laut eigenen Aussagen seine krebskranke Tochter im Spital besuchen wollte, beschimpfte die Klima-Demonstranten und versuchte, einige zur Seite zu drängen, um einem anderen Pkw die Durchfahrt zu ermöglichen. Schon am Mittwoch hatte ein aggressiver Verkehrsteilnehmer dabei die am Boden sitzenden Aktivisten angegriffen und auch von der Straße gezogen. Die Polizei erstattete Anzeige gegen unbekannt.
Weitere Klimablockaden in Wien
Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ haben am Freitag in der Früh den Bereich rund um den Wiener Naschmarkt bei der Secession blockiert. Die Teilnehmenden klebten sich auf die Fahrbahn, mit entsprechenden Folgen für den Frühverkehr. Diese hielten sich aber vorerst in Grenzen.
Unterstützung aus der Wissenschaft
Am Montag hatten die Aktivisten die Fahrbahnen vor Schulgebäuden in der Burggasse, in der Gymnasiumstraße und auf der Roßauer Lände blockiert – mehr dazu in wien.ORF.at.
Am Dienstag gab es eine Blockadeaktion beim Praterstern. Rund 50 renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler solidarisierten sich mit den Aktivisten und stellten sich hinter die Anliegen der „Letzten Generation“, die unter anderem Tempo 100 auf Autobahnen fordern – mehr dazu in wien.ORF.at. Am Mittwoch wurde der Verkehr am Wiener Gürtel beim Westbahnhof gestoppt. Am Donnerstag war die Schüttelstraße Schauplatz eines Protests.

Störung des Alltags „wichtig für Protest“
Die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ verzeichnen indes regen Zuwachs. In den vergangenen Tagen haben laut dem Sprecher rund 150 Personen ein Kontaktformular auf der Homepage der NGO ausgefüllt und ihre Bereitschaft zur aktiven Unterstützung der Aktionen bekundet. „Die Bewegung hat sich verdoppelt“, sagte Wagner. Für Februar kündigte er eine neuerliche einwöchige „Welle“ in der Bundeshauptstadt an.
Ein anderer Aktivist räumte im „Standard“-Interview zwar ein, Menschen mit den Aktionen im ersten Moment zwar zu vergraulen: „Wir wissen natürlich, dass unsere Aktionen im ersten Moment Wut erzeugen können. (…) Diese Wut tut uns auch leid – aber die Störung des Alltags ist nun einmal immens wichtig für den Protest.“ Er glaubt, dass dadurch das Thema Klimaschutz dennoch stärker in die öffentliche Debatte kommt.

Laut Angaben des Innenministeriums vom Samstag wurden bei den Aktionen in den vergangenen Tagen in Wien 52 Festnahmen ausgesprochen und mehr als 200 Anzeigen erstattet. 850 Polizistinnen und Polizisten waren im Einsatz. Im Innenministerium wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese soll sich vor allem der Frage widmen, „ob die aktuell gegebenen polizeilichen Befugnisse ausreichen und die bestehenden gesetzlichen Regelungen ausreichend Sanktionsmöglichkeiten bieten“, wie es hieß.
Debatte über schärfere Strafen
Der politische Diskurs der vergangenen Tage dreht sich nicht – wie von der „Letzten Generation“ gewünscht – etwa um Tempo 100 auf Autobahnen, sondern eher darum, wie man mit Protestaktionen umgehen soll. Den Anstoß lieferte die im niederösterreichischen Landtagswahlkampf stehende Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die härtere Strafen forderte: Aus einer Verwaltungsübertretung solle ein strafrechtliches Delikt nach deutschem Vorbild werden, wurde betont. Der Verfassungsdienst des Landes wurde mit der Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags beauftragt.
Am Samstag hieß es, der nun fertige Vorschlag solle Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) übermittelt werden. Bei Gefahr für Leben oder Gesundheit sollen nach Vorstellung des Bundeslands Geldbußen oder bis zu sechs Monate Haft, bei Wiederholung bis zu ein Jahr Haft drohen. Das Land ließ den Vorschlag von Universitätsprofessor Heinz Mayer auf Verfassungskonformität prüfen – dieser hat keine Bedenken – mehr dazu in noe.ORF.at
Der Forderung nach härteren Strafen schloss sich auch Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) an. Härtere Strafen seien „zu diskutieren“, sagte Mattle im APA-Interview. Wenn Einsatzorganisationen wegen der Blockaden nicht mehr die Chance hätten, zu Notfällen zu kommen, dann sei er „durchaus für einen scharfen Weg“. Weder in Niederösterreich noch in Tirol haben bisher Klimablockaden der „Letzten Generation“ stattgefunden.
Krumpeck und Plakolm über Klimaproteste
Martha Krumpeck und ÖVP-Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm diskutieren im Studio über Protestaktionen der Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“.
Nehammer will prüfen
Am Freitag meldete sich dann auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu Wort: „Ich habe heute Innenminister Karner beauftragt, mir einen Bericht zu liefern, wie der Einsatz der Exekutive in dieser Woche im Umgang mit den Klimakleber-Aktionen funktioniert hat. Und zu prüfen, ob die bestehenden rechtlichen und operativen Regelungen ausreichen oder ob es darüber hinaus gehende Verschärfungen braucht.“
Bei allem Verständnis für das Anliegen des Klimaschutzes seien die Methoden der der Aktivisten nicht zu tolerieren. „Wer Sachschäden in Kauf nimmt, wer Sicherheit und Gesundheit von Menschen durch Manipulation an Fahrzeugen gefährdet, wer mutwillig stundenlange Staus und Verzögerungen in Kauf nimmt, der sabotiert unser gesellschaftliches Zusammenleben und stellt sich damit über die geltenden Regeln, die für alle gelten“, so der Regierungschef.
ÖVP Generalsekretär Christian Stocker erklärte in einer Aussendung am Samstag, die „Klimakleber“ würden einen „politischen Systemwechsel“ anstreben, und stellte den von ihnen angestrebten Bürgerinnenrat in die Nähe der Sowjetunion, denn diese habe auch mit einer „Räterepublik“ begonnen. Er sieht durch die „Letzte Generation“ die Demokratie und das „blutig“ erkämpfte Wahlrecht in Gefahr.
„Letzte Generation“: Keine Manipulationen an Autos
Auch Wiens ÖVP-Landesparteiobmann Stadtrat Karl Mahrer meldete sich zu Wort: „Menschen, die Rettungseinsätze blockieren oder das Leben anderer gefährden, indem sie Radmuttern lockern, sind keine Klimaaktivisten, sondern schlichtweg Straftäter und missbrauchen demokratische Grundrechte.“
Allerdings: Von Aktionen wie Manipulationen an Autos distanziert sich die „Letzte Generation“. Auch das Auslassen von Luft aus Reifen von SUVs werde von der Gruppe nicht praktiziert, heißt es. Das seien andere Gruppierungen. Fälle von Behinderungen von Rettungskräften durch Staus sind aus Österreich bisher nicht bekannt. In Berlin verstarb Ende Oktober eine verunglückte Radfahrerin. Ob sie tatsächlich noch gerettet hätte werden können, wenn ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr für ihre Bergung nicht aufgehalten worden wäre, ist nicht geklärt – wird aber bezweifelt.
Auch FPÖ fordert Maßnahmen
Auch FPÖ-Obmann Herbert Kickl forderte Maßnahmen durch den Bundeskanzler: „Es kann nicht sein, dass diese Extremisten den Verkehr lahmlegen und so gut wie keinerlei Konsequenzen zu befürchten haben.“ Die Stimmung der Menschen würde angesichts der Vielzahl an Blockaden immer aufgeheizter. Es müsse daher jetzt gehandelt werden, bevor es zu einer Eskalation auf der Straße kommt.
Grünen-Chef Werner Kogler sagte diese Woche zu den Blockaden, die Motive seien „gravierende und wichtige“, die Aktionsformen aber müsse man „im Einzelfall“ beurteilen.
Strafrechtsexperten gegen Verschärfung
Strafrechtsexpertinnen und -experten sind jedenfalls skeptisch, ob es strengere Regeln brauche: Es handle sich um „Anlassgesetzgebung“, die „rechtlich nicht durchdacht“ sei. Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Johannes-Kepler-Universität Linz, sah im Gespräch mit dem „Standard“ bereits jetzt rechtliche Handhabe für den Fall, dass „Rettungskräfte behindert werden und Menschen Schaden nehmen“. Infrage kämen etwa Delikte wie die fahrlässige Körperverletzung. Denkbar seien auch Vorsatzdelikte wie Körperverletzung.
Jurist zu Strafen für Aktivismus
Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer spricht zu dem juristischen Aspekt des gegenwärtigen Klimaaktivismus. Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna MIkl-Leitner (ÖVP) forderte jüngst härtere Strafen für Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten.
Laut Ingeborg Zerbes, Strafrechtsprofessorin an der Universität Wien, kommt die vorgeschlagene Regelung bei Klimablockaden in Deutschland aber nicht zum Einsatz. „Der Straftatbestand ist ziemlich eng und kaum anwendbar für Klimakleber“, erklärte die Juristin dem „Standard“. Infrage komme der Tatbestand nur, wenn Menschen – etwa bei Geisterfahrten – ganz konkret einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt seien, ergänzte Klaus Schwaighofer, Strafrechtsprofessor an der Universität Innsbruck.
Deutliche Ablehnung der Strafforderungen kam vom Bundesrettungskommandanten des Roten Kreuz, Gerry Foitik. Via Social Media richtete er der Politik aus: „Instrumentalisieren Sie uns und medizinische Notfälle bitte nicht weiter für die Kriminalisierung jener, die für einen starken Klimaschutz einstehen und dafür Bestimmungen der StVO verletzen. Ihre Antwort sollte Dialog und Diskurs sein.“ Gebremst würden die Einsatzkräfte oft von Staus oder rücksichtslosen Verkehrsteilnehmern. „Das sind wir gewohnt und verlangen deshalb auch nicht gleich Gefängnisstrafen für die Verursacher:innen; nicht einmal im Affekt. Danke.“