Lesbos: Gericht lässt Spionagevorwurf gegen Seenotretter fallen

Die griechische Justiz hat ein umstrittenes Verfahren gegen mehr als 20 Seenotretter – darunter der Deutsche Sean Binder und die Syrerin Sarah Mardini – eingestellt. Die Anklage warf ihnen unter anderem Spionage vor. Das Gericht von Mytilene, der Hauptstadt der Insel Lesbos, traf die Entscheidung aufgrund von Verfahrensmängeln, insbesondere der fehlenden Übersetzung der Anklageschrift für alle ausländischen Angeklagten.

Die humanitären Helferinnen und Helfer hatten Geflüchteten vor Jahren bei der Überfahrt über das Mittelmeer auf die Insel Lesbos geholfen und sahen sich daraufhin mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Mardini und Binder verbrachten 2018 mehr als drei Monate in Untersuchungshaft in Griechenland.

Anwalt: „Wir jubeln nicht“

„Wir jubeln nicht“, sagte Binders Rechtsanwalt Zacharias Keses Reportern an Ort und Stelle. Diese Entscheidung des Gerichtes sei ein „Etappensieg“, hieß es seitens der Verteidiger weiter.

Der nun fallen gelassene Vorwurf der Spionage setze voraus, dass „die Angeklagten Teil einer kriminellen Organisation sind“, schrieb die Journalistin Franziska Grillmeier dazu auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Das müsse die Staatsanwaltschaft jedoch „in einem anderen, noch anhängigen Verfahren nachweisen“.

Den Aktivisten werden zudem Menschenhandel und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen – die Ermittlungen dazu laufen noch. Ob und wann es einen Prozess dazu geben wird, ist den Verteidigern zufolge unklar.

UNO verurteilt Prozess

Insgesamt waren 24 Personen angeklagt. Zwei griechische Angeklagte wurden laut Rechtshilfeorganisation Fenix an eine Vorinstanz zurückverwiesen. Der eine wird der Fälschung und der andere der Beihilfe zu einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Mardini, die aus dem Netflix-Film „Die Schwimmerinnen“ bekannt ist und mit ihrer Schwester 2015 schwimmend ein Flüchtlingsboot rettete, war bei dem Prozess nicht anwesend.

NGOs hatten viel Kritik an dem Verfahren geübt. Auch das UNO-Menschenrechtsbüro in Genf hatte die Anklagen zuvor verurteilt. Die humanitären Helfer hätten Menschenleben gerettet, das dürfe niemals kriminalisiert werden, sagte eine Sprecherin. Die SPÖ-EU-Abgeordnete Theresa Muigg kritisierte, der Prozess stehe stellvertretend für eine systematische Kriminalisierung von humanitärem Engagement in der EU.

NGOs: Humanitäre Arbeit wird zunehmend kriminalisiert

„Wenn wir schließlich für unschuldig befunden werden, bedeutet das immer noch, dass alle, die in der Zwischenzeit ertrunken sind, für immer tot sind“, sagte Binder im Vorfeld des Verfahrens im Interview mit ORF.at. Brüssel warf er hinsichtlich der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik Doppelmoral vor. Mehrere Hilfsorganisationen hatten zuletzt gegenüber ORF.at angeprangert, dass humanitäre Arbeit in der EU zunehmend kriminalisiert werde.

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