Britischer Panzer Challenger 2
IMAGO/ZUMA Press/Alison Baskerville
NATO-Chef

Mehr Waffen für Kiew „in naher Zukunft“

Nach dem Einschlag einer russischen Rakete in einem Wohnhaus in der ukrainischen Stadt Dnipro, bei dem mindestens 35 Menschen getötet worden sind, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Forderung nach schweren Waffen erneuert. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge könnte Kiew diese „schon in naher Zukunft“ erhalten. London hat bereits die Lieferung moderner Kampfpanzer angekündigt.

Am Freitag treffen die Mitglieder der Ukraine-Kontaktgruppe, zu der unter anderem die USA, Großbritannien und Deutschland gehören, auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland zusammen. „Wir sind in einer entscheidenden Phase des Krieges“, sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg dem deutschen „Handelsblatt“.

Militärische Unterstützung sei der schnellste Weg zum Frieden. „Die jüngsten Zusagen für schweres Kriegsgerät sind wichtig – und ich erwarte schon in naher Zukunft mehr“, so der Norweger.

Heftige russische Angriffswelle

Russland hatte die Ukraine am Samstag mit der bisher schwersten Angriffswelle in diesem Jahr überzogen. Der ukrainische Generalstab erklärte, Russland habe am Samstag drei Angriffswellen gestartet und dabei unter anderem 57 Raketen eingesetzt. 26 davon seien von der Luftabwehr abgeschossen worden.

Hochhaus getroffen

In der Stadt Dnipro schlug eine russische Rakete in ein ziviles Hochhaus ein. Die Zahl der Toten stieg in der Nacht auf Montag – von mindestens 35 sprach der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko. Mehr als 70 wurden verletzt. Mehr als 30 Verletzte lägen noch im Krankenhaus, darunter zwölf Schwerverletzte, sagte Natalia Babatschenko, Beraterin des Regionalgouverneurs.

Die Behörden vermuten Dutzende weitere Personen unter den Trümmern – die Rede ist aktuell von 35. Die Hoffnungen, noch Überlebende finden zu können, schwinden aber zunehmend. „Die Chance, dass wir noch weitere Überlebende finden, sind minimal“, sagte der Bürgermeister von Dnipro, Boris Filatow, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform kamen abseits des Angriffs auf das Wohnhaus landesweit mindestens 26 Zivilpersonen ums Leben, mehr als 80 seien verletzt worden. Die Führung in Kiew verurteilte die Angriffe scharf und sprach einmal mehr von „russischem Terror“.

Raketenangriff auf Hochhaus in Dnipro

Die Ukraine erlebt oder erleidet gerade die größte Angriffswelle seit Wochen. Ein besonders verheerender Angriff hat die Großstadt Dnipro in der Zentralukraine erschüttert.

Die Ukraine stellte die Bevölkerung zudem auf neue Probleme mit der Stromversorgung ein. Landesweit müsse am Sonntag die vielerorts ohnehin schon deutlich reduzierte Strommenge pro Haushalt noch weiter gedrosselt werden, um größere Engpässe zu vermeiden, teilte der staatlichen Stromnetzbetreiber Ukrenerho mit.

Moskau äußert sich nur indirekt

Präsident Selenskyj wandte sich auf Russisch an die Bevölkerung im Nachbarland: „Ich möchte mich an alle in Russland wenden, die nicht einmal jetzt ein paar Worte der Verurteilung für diesen Terror haben, obwohl sie alles klar sehen und verstehen. Euer feiges Schweigen wird nur damit enden, dass diese Terroristen eines Tages auch hinter euch her sein werden.“

Russlands Verteidigungsministerium äußerte sich nicht zu den vielen zivilen Opfern. Stattdessen sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow am Sonntag mit Blick auf die jüngsten Angriffe lediglich: „Alle ausgewiesenen Objekte wurden getroffen. Das Ziel des Schlags wurde erreicht.“

Großbritannien prescht mit Panzerlieferung vor

Selenskyj bekräftigte neuerlich seine Forderung nach der Lieferung schwerer Waffen an sein Land. Großbritannien sprach er seinen Dank aus. London hatte der Ukraine zugesichert, insgesamt 14 Kampfpanzer des Typs Challenger 2 zu liefern.

Britischer Challenger-2-Panzer
APA/AFP/Getty Images/British Army/Pete Bristo
London sendet mit der Lieferung des Challenger 2 ein deutliches Signal an andere NATO-Länder

Großbritannien ist das erste Land, das Kiew moderne westliche schwere Kampfpanzer zur Verfügung stellt. Das sei ein Signal an andere Partner seines Landes, das auch zu tun, sagte Selenskyj. Bisher erhielt die Ukraine zwar Schützen-, Flugabwehr- und Radpanzer westlicher Bauart, bei Kampfpanzern aber nur Modelle ex-sowjetischer oder russischer Bauart, zumeist mittels Ringtausches von osteuropäischen NATO-Ländern, die dafür westliche Modelle erhielten.

Streitfrage Leopard 2

Vor allem drängt die Ukraine seit Wochen Deutschland, den modernen Leopard 2, in der Version A4 auch im österreichischen Bundesheer im Einsatz und russischen Panzern technisch überlegen, zu liefern. Polen und Finnland wollen einige Leopard-Modelle aus deutscher Produktion zur Verfügung stellen. Berlin lehnt das bisher ab, innerhalb der „Ampelkoalition“ der Regierung aus SPD, FDP und Grünen ist das Thema umstritten.

Deutscher Panzer Leopard 2A7V
picturedesk.com/dpa/Philipp Schulze
Deutschland winkt beim Leopard 2 bisher ab, Polen und Finnland wollen angeblich liefern

Berlin will sich nicht drängen lassen

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) will sich jedenfalls nicht drängen lassen, wie er erst zuletzt wieder bekräftigte – wohl aufgrund der Befürchtung, deutsche Panzerlieferungen könnten die NATO tiefer in den Konflikt in der Ukraine hineinziehen bzw. diesen weiter eskalieren lassen.

Moskau sprach entsprechende Drohungen gegenüber London wegen der Lieferung des Challenger 2 aus. Deutschland lieferte bisher Flugabwehrpanzer des Typs Gepard, 40 Schützenpanzer vom Typ Marder sollen folgen, außerdem Artillerie-, Flugabwehr- und Radarsysteme.