die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht
AP/Markus Schreiber
Deutschland

Ministerin Lambrecht tritt zurück

Nach der Tour de Force der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) durch die unterschiedlichsten Fettnäpfchen ist nun ihr Rücktritt fix. Am Montag zog Lambrecht offiziell die Konsequenzen. Die Nachfolgedebatte war ohnehin längst im Laufen, eine Entscheidung darüber soll es noch nicht geben. Unklar ist, welche Richtung die Diskussion über mögliche Panzerlieferungen an die Ukraine nun einschlägt.

Lambrechts Erklärung am Montagvormittag war kurz und knapp: Sie habe den deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) um Entlassung gebeten. „Die monatelange mediale Fokussierung“ auf ihre Person lasse „eine sachliche Berichterstattung und Diskussion“ über Fragen der Bundeswehr „kaum zu“, hieß es. „Ich habe mich deshalb entschieden, mein Amt zur Verfügung zu stellen.“ Sie danke allen, „die sich jeden Tag für unsere Sicherheit engagieren, und wünsche ihnen von Herzen alles erdenklich Gute für die Zukunft“.

Scholz nahm den Rücktritt laut einer Sprecherin an. Der Kanzler respektiere die Entscheidung und danke Lambrecht für ihre Arbeit, hieß es. Auch nach dem Ministerinnentausch solle das Kabinett weiterhin zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern bestehen.

Die unerwartete Ministerin

Lambrecht galt schon länger als Ministerin auf dem Schleudersitz, zu viel Kritik und Spott hatten sich seit ihrem Amtsantritt über sie ergossen. Dass sie überhaupt im Dezember 2021 ins Kabinett gekommen war, war schon eine Art Notlösung: Als ein Wahlerfolg der SPD noch als unwahrscheinlich galt, entschied sich Lambrecht, damals Justizministerin unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), nicht mehr für den deutschen Bundestag zu kandidieren.

Erst nachdem sich das Blatt zugunsten der SPD gewendet hatte, wurde Lambrecht aktiviert. „Für viele wird die Nominierung als Verteidigungsministerin eine Überraschung sein“, hatte sie selbst beim Amtsantritt vor rund einem Jahr gesagt.

Pannen-Puma

Ihre Aufgabe war es, die Sparjahre der Merkel-Ära zu beenden und mit den von Scholz angekündigten 100 Milliarden Euro aus einem Sondertopf die Bundeswehr neu aufzustellen. Doch im Ressort dominierten Pleiten, Pech und Pannen.

Vor wenigen Wochen etwa war publik geworden, dass der Schützenpanzer Puma grobe Mängel aufweist: Bei einer Schießübung der Bundeswehr für die Beteiligung an der NATO-Eingreiftruppe VJTF fielen alle 18 genutzten Panzer aus. Das von zahlreichen technischen Problemen geplagte Kettenfahrzeug war erst 2021 für gefechtstauglich erklärt worden.

Schützenpanzer „Puma“
Reuters/Fabian Bimmer
Der Puma geriet zur Lachnummer auf Kosten Lambrechts

Lambrecht legte daraufhin die geplante Nachbeschaffung des Gefechtsfahrzeugs auf Eis und beschloss, die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit Jahresbeginn nicht mit dem modernen Puma, sondern mit dem seit Jahrzehnten genutzten Schützenpanzer Marder für die NATO-Eingreiftruppe auszurüsten. Die Opposition schäumte und verlangte Aufklärung.

Fragezeichen hinter F-35-Deal

Auch der Mitte Dezember durchgepeitschte Ankauf von 35 hochmodernen US-Kampfflugzeugen des Typs F-35 für einen Betrag von fast zehn Milliarden Euro ließ viele Fragen offen. Fachleute des Verteidigungsministeriums hatten zuvor vor möglichen Risiken und Kostensteigerungen gewarnt. Das betraf etwa den erforderlichen Umbau von Flugplätzen für die F-35 und mögliche technische Probleme bei der Zulassung der Kampfjets für den Flugbetrieb. Die Presse mutmaßte, dass das Tempo der Bestellung Lambrechts Zeugnis aufwerten sollte.

Analyse zu Lambrechts Rücktritt

Berlin-Korrespondent Andreas Pfeifer (ORF) spricht über die Gründe für den Rücktritt der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.

Sohn im Helikopter

Negativschlagzeilen machte Lambrecht auf anderer Ebene im April des Vorjahres. Zu einem Truppenbesuch in Norddeutschland hatte sie im Regierungshubschrauber ihren 21-jährigen Sohn mitgenommen, ohne dass er am Militärtermin teilnahm. Am nächsten Tag und nach einer Hotelübernachtung ging es mit Auto und Personenschützern auf die nahe Insel Sylt. Lambrechts Sohn veröffentlichte Fotos von sich in dem Helikopter auf Instagram – Kritik folgte auf dem Fuß.

Später räumte Lambrecht ein, dass sie den Flug heute so nicht mehr unternehmen würde. Ein unrechtmäßiges Verhalten sah sie allerdings nicht. „Der Flug war in völliger Übereinstimmung mit allen Regeln und Vorschriften, und ich habe die Kosten für meinen Sohn voll übernommen – heute würde ich das anders entscheiden.“

Feuerwerksvideo schlug ein

Spott erntete Lambrecht mit der international belächelten Ankündigung einer Lieferung von 5.000 Schutzhelmen an die Ukraine. Das Fass zum Überlaufen dürfte aber ihr Silvestervideo gebracht haben. „Mitten in Europa tobt ein Krieg“, sagte Lambrecht darin vor der Kulisse des Berliner Neujahrsfeuerwerks. In sozialen Netzwerken wurde Lambrecht dafür mit Häme überhäuft, selbst Parteifreunde sahen das Video als unpassend an.

Die Debatte über Lambrechts Nachfolge hatte schon über das Wochenende Fahrt aufgenommen. Mehrere Kandidaten und Kandidatinnen wurden gehandelt, darunter Arbeitsminister Hubertus Heil und Wehrbeauftragte Eva Högl (beide SPD). Auch der Kovorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, wurde genannt. Die Regierungssprecherin sagte, Scholz wolle dem Bundespräsidenten zeitnah einen Vorschlag für die Nachfolge unterbreiten. Doch am Montag werde das wohl noch nicht sein.

Scholz ist bis zuletzt hinter Lambrecht gestanden, eine Kabinettsumbildung liegt eigentlich nicht in seinem Interesse. Innenministerin Nancy Faeser könnte bei der Hessener Landtagswahl im Herbst als SPD-Spitzenkandidatin antreten. Dann müsste Scholz erneut einen Kopf auswechseln – paritätisch. Folgt nun ein Mann auf Lambrecht, käme es wohl zu einem größeren Ringtausch.

Debatte über Panzerlieferungen

Zur Unzeit kommt Lambrechts Abgang auch inmitten der Debatte über Panzerlieferungen an die Ukraine. Zuletzt kündigte Großbritannien an, Panzer zu schicken, Polen drängt Deutschland seit geraumer Zeit zu einem gleichen Schritt. Scholz will sich nicht unter Druck setzen lassen, er kritisierte die ständigen „aufgeregten Stellungnahmen“ zum Thema.

Durch Lambrechts Rücktritt wird die Lage wohl nicht entspannter. Schon am Donnerstag wird US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin erwartet. Am Freitag sind Gespräche in Ramstein über weitere Militärhilfe für die Ukraine geplant. Dort wird man von Deutschland Antworten dazu erwarten, ob Leopard-2-Panzer geliefert werden oder anderen Staaten die Lieferung erlaubt wird.

Kritik an Scholz

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) wünschte Lambrecht alles Gute. „Ich habe Respekt vor der Entscheidung von Christine Lambrecht“, sagte er der dpa. Sie habe in schwierigen Zeiten Verantwortung getragen. „Dass sie sich jetzt für diesen Schritt entscheidet, war sicherlich nicht leicht. Es zeigt, wie ernst sie das Amt nimmt.“

CDU-Generalsekretär Mario Czaja kritisierte Scholz dafür, dass nach Lambrechts Rücktritt noch keine Nachfolgerin und kein Nachfolger bereitsteht. „Wir haben Krieg in Europa und wir haben in dieser Woche ein wichtiges Treffen der Kontaktgruppe für die Ukraine-Unterstützung in Ramstein“, sagte er dem Sender Welt TV. „Deswegen ist es jetzt extrem wichtig, dass die Truppe Klarheit hat, dass die Bundeswehr Bescheid weiß, wer sie führt.“ Scholz müsse „jetzt sehr schnell handeln“.

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte ebenso eine schnelle Nachfolgeregelung. „Ich erwarte von der Sozialdemokratie nun schnellstmöglich die Benennung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Eine Hängepartie wäre schlecht für Deutschland“, sagte auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Die SPD hat das Vorschlagsrecht für den Posten – er sei sicher, dass die Partei „die Zeit jetzt sehr intensiv nutzen wird, um eine geeignete und passende Persönlichkeit vorzuschlagen“, sagte Djir-Sarai.