Frau mit einem Aktenstapel
Getty Images/EyeEm/Surasak Sootthikarn
Bilder von Kindesmissbrauch

„Digitale“ Delikte mit echten Opfern

Seit dem Bekanntwerden der Anklage gegen Schauspieler Florian Teichtmeister wegen des Besitzes von Abbildungen sexuellen Kindesmissbrauchs kochen Debatten über sehr viele Aspekte der Causa hoch. Dass Teichtmeisters Anwalt argumentiert, Teichtmeister sei „ein rein ‚digitales‘ Delikt vorzuwerfen“, ist für Opfer von Kindesmissbrauch ein Schlag ins Gesicht. Auch wenn Fälle wie dieser mit Zigtausenden Bildern auftauchen: Die Aufklärungsquote des zugrunde liegenden Missbrauchs ist laut Bundeskriminalamt „verschwindend gering“.

Laut Hedwig Wölfl, Leiterin der Kinderschutzorganisation die möwe, ist die Argumentation des „digitalen Delikts“ „fast zynisch“. Der Konsum von Darstellungen sexueller Gewalt und Kindesmissbrauchs bedeute, dass dieser zuvor geschehen ist. „Hands-on“-Taten, also tatsächliche Übergriffe, würden somit durch „Hands-off“-Täter befeuert, da diese die Nachfrage steigern. Nicht umsonst seien die beiden Delikte – sowohl Herstellung als auch Konsum, Besitz und Weitergabe im Strafgesetz (Paragraf 207a StGB, Pornographische Darstellungen Minderjähriger, Anm.) gemeinsam umfasst.

Für die Opfer sei die Verbreitung des fotografierten oder gefilmten Missbrauchs zusätzlich sehr belastend. „Das ist eine Verletzung der Integrität und des Intimraums und auch nach der Gewalttat zusätzlich traumatisierend“, so Wölfl. Man müsse sich bewusst sein, dass die missbrauchten Kinder und Jugendlichen wissen, dass ihre traumatische Erfahrung immer wieder unkontrolliert auftauchen könnte, dass sie auch Jahre später noch irgendwo erkannt werden könnten. Das gehe oft mit einem Vertrauensverlust in die Gesellschaft einher.

Sehr viele von der Organisation die möwe betreute Kinder seien im Zuge ihrer Missbrauchs- und Gewalterfahrungen gefilmt oder fotografiert worden, auch bei Übergriffen im familiären Bereich. Das hänge auch damit zusammen, dass diese Dokumentation mit Handys wesentlich einfacher geworden sei, so Wölfl.

Deutlicher Anstieg in den vergangenen Jahren

„Der vereinfachte Zugang zum Internet via Smartphones und andere Geräte wie Tablets, aber auch die vermehrten Meldungen aus dem Ausland und die verbesserte internationale Kooperation mit den verschiedenen Organisationen und Behörden führen zu einem deutlichen Anstieg der Zahlen“, hieß es auf APA-Anfrage beim Bundeskriminalamt.

Wurden 2012 von der Statistik noch 572 bei den heimischen Behörden angezeigte Straftaten wegen illegaler pornografischer Darstellungen Minderjähriger erfasst, wovon 535 geklärt werden konnten, waren es 2021 bereits 1.921. Klären ließen sich davon 1.775.

Diese hohe Aufklärungsrate beziehe sich auf Fälle wie Teichtmeister, die nach einer Anzeige bearbeitet und zur Anklage gebracht würden. Ganz anders sieht es bei der Aufklärung der zugrunde liegenden Fälle aus, so Jürgen Ungerböck, Leiter des Büros Sittlichkeit und Kinderpornografie im Bundeskriminalamt, gegenüber ORF.at. Seine Abteilung hat oft mit Fällen wie Teichtmeister zu tun, in denen es um viele Giga- oder sogar Terabyte an sichergestellten Daten geht.

Vieles davon kursiere bereits seit Jahren und stamme aus ganz unterschiedlichen Ländern. Manche Missbrauchsfälle seien daher längst geklärt „zum Teil wurden die Kinder bereits identifiziert, zum Teil konnten sie schon damals nicht identifiziert werden“.

Fänden die Ermittlerinnen und Ermittler bisher unbekanntes Material, werde zuerst über den Entstehungsort der Bilder und Videos versucht, die Opfer zu identifizieren – im Kontakt mit internationalen Kolleginnen und Kollegen. Sehr oft gelinge das nicht – „verschwindend gering“ nennt Ungerböck den Prozentsatz der Fälle, die sich so klären ließen, verglichen mit den Unmengen an kursierendem Material. Aber es gebe Fälle, in denen es doch gelinge, so der Chefinspektor, „es geht um jedes Kind“.

„Kinderpornografie“ als verharmlosender Begriff

Dass alleine der Begriff „Kinderpornografie“ bereits verharmlosend sei, erklärte Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Gabriele Wörgötter in der ZIB2: „Jede Darstellung eines Kindes in einem sexuellen, aufreizenden, verzerrten Zusammenhang ist ja für sich genommen schon ein Missbrauch, und jeder Konsument eines kinderpornografischen Videos oder einer kinderpornografischen Abbildung sieht sich ein missbrauchtes Kind an. Und insofern würde ich hier weniger von kinderpornografischen Darstellungen, sondern von Missbrauchsdarstellungen sprechen“, so Wörgötter.

Psychiaterin Wörgötter zum Fall Teichtmeister

Der Schauspieler Florian Teichtmeister muss sich wegen des Besitzes von Darstellungen von Kindesmissbrauch vor Gericht verantworten. Was bringt Männer dazu? Hilft therapeutische Behandlung? Wie können Opfer betreut werden? Fragen an die Psychiaterin und Gutachterin Gabriele Wörgötter.

Opferschutzorganisationen fordern Konsequenzen

Als allgemeine Opferhilfeeinrichtung vertritt auch der Weiße Ring den Standpunkt, dass es „völlig egal“ sei, ob die Missbrauchsbilder in digitaler oder analoger Form konsumiert werden. „Das Delikt bleibt das gleiche, nur das Medium ist ein anderes. Auch das Anschauen dieser Bilder ist bereits ein Übergriff und Missbrauch der betroffenen Kinder“, so der Verein in einem Statement gegenüber ORF.at.

Auch der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser und der Österreichische Frauenring zeigten sich in einer Aussendun zutiefst erschüttert über den Umgang mit dem jüngst bekanntgewordenen Fall Teichtmeister. Die rund 58.000 bei ihm entdeckten Fotos sind alles Aufnahmen realer sexueller Gewalt, dahinter stehen reale sexuell missbrauchte Kinder. „Skandalös ist auch die Reaktion des Umfelds, der Arbeitgeber, der Politik, der Justiz: Der – bereits geständige – Verdächtige wird lediglich als Süchtiger dargestellt anstatt als Gewalttäter. Das ist eine weitere Verharmlosung der Gewalt und Täterschutz“, so der Verein.

Sepp Rothwangl, Obmann der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt, bezeichnete in einer Aussendung die Rechtsansicht von Teichtmeisters Anwalt, dem Verfassungsrichter Michael Rami, als „moralisch verwerflich“. Es sei auch eine Verhöhnung aller Kinder, „denen vor laufender Kamera grausame, sexualisierte Gewalt angetan wurde“, so Rothwangl. „Das zu verharmlosen ist eines Verfassungsrichters unwürdig – entsprechend muss Rami seine Funktion im Verfassungsgerichtshof zurücklegen, um weiteren Schaden am Höchstgericht und an der Rechtsstaatlichkeit abzuwenden“, forderte Rothwangl.

Rami: Begriff „aus der Rechtswissenschaft“

In einer mehrteiligen „Klarstellung“ schrieb Rami am Dienstagvormittag auf Twitter: „Ich habe in meiner Stellungnahme zum Fall erklärt, dass Florian Teichtmeister von der StA der Besitz solcher Bilder im Sinne des Gesetzes vorgeworfen wird (‚digitales Delikt‘), ihm aber NICHT angelastet wird, Kinder eigenhändig missbraucht zu haben. Dieser Begriff (‚digitales Delikt‘) stammt nicht von mir, sondern aus der Rechtswissenschaft.“

Klar sei dabei „für jeden, dass hinter solchen Bildern reale Opfer stehen, nämlich missbrauchte Kinder, und dass die Nachfrage nach solchen Bildern das Angebot schürt, also immer neue Verbrechen produziert“, so Rami. Gerade deshalb sei § 207a StGB im Jahr 1994 in Kraft gesetzt und mit späteren Gesetzesnovellen mehrfach verschärft worden. Nachsatz: „Im Übrigen bin ich selbst Vater.“

Pädosexualität und Pädophilie

Bis zu fünf Prozent der Männer konsumierten Darstellungen von Kindesmissbrauch, sagte die Psychiaterin Sigrun Rossmanith im APA-Gespräch. Zwei bis fünf Prozent der Männer hätten also pädosexuelle Fantasien. Unterschieden werden muss zwischen Pädophilie – also der sexuellen Ausrichtung bzw. dem sexuellen Interesse an kindlichen Körpern – und Pädosexualität. Zweitere bezeichnet ein Verhalten, also die tatsächlich ausgelebte pädophile Sexualität.

„Das Ansprechen auf den kindlichen Körper heißt nicht, dass jemand tatsächlich pädosexuell handelt“, sagte Roßmanith. Nicht jeder, der Kinderpornografie konsumiert, sei oder werde ein potenzieller Kindesmissbraucher, betonte die Psychiaterin. Man wisse aber, „dass fast jeder Sexualstraftäter Kinderpornos konsumiert hat“.

Auch Psychotherapeut Alex Seppelt erklärte im Gespräch mit Ö1, dass bei Weitem nicht alle, die Fotos downloaden, auch zum handgreiflichen Täter würden, „aber fast alle Hands-on-Täter auch Hands-off-Täter sind“, also auch Kindesmissbrauchsbilder konsumieren. Täter seien sie alle, denn wer sich Kindesmissbrauchsbilder beschafft, unterstütze damit deren Herstellung und somit den sexuellen Missbrauch von Kindern.

Viel Berichterstattung, wenig über die Opfer

Die Medienethikerin Larissa Krainer wies gegenüber der APA darauf hin, dass es die Aufgabe der Medien sei, über das Problem an sich zu berichten – nicht nur über den Einzelfall. Dass das Netz nicht vergesse, gelte auch für die betroffenen Kinder, deren Fotos dort vermutlich noch auffindbar seien. Wenig gelesen habe sie zur Frage, was für die Kinder – „die eigentlichen Opfer“ – nun getan werde, so die Medienethikerin.

„Es gilt, die Missstände aufzugreifen, sie auch als Missstände zu behandeln und zu bezeichnen, sie zu verurteilen und nicht gleich wieder in Vergessenheit geraten zu lassen.“ Auch gehe es darum, relevante Fragen anzusprechen, etwa wie man Kinder davor bewahren kann, Opfer zu werden, und wohin sich Menschen wenden können, um nicht zu Tätern zu werden.