Menschen am Bahnhof in Peking
Reuters/Tingshu Wang
Zuletzt 1960

Chinas Bevölkerung schrumpft

China ist mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen zwar das bevölkerungsreichste Land der Welt. Seit Jahren kämpft es aber mit niedrigen Geburtenraten. Nun schrumpft die chinesische Bevölkerung erstmals seit der Ära von Mao Zedong in den 1960ern. Zugleich schwächelt Chinas Wirtschaft.

Ende Dezember habe das bevölkerungsreichste Land der Welt 1,411 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner gehabt und damit rund 850.000 weniger als ein Jahr zuvor, teilte das Statistikamt in Peking am Dienstag mit. Die Geburtenrate wurde nur noch mit 6,77 Neugeborenen auf 1.000 Menschen angegeben – das ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr und zählt zu den geringsten weltweit.

Die Sterberate habe bei 7,37 auf 1.000 Menschen gelegen. Damit ergebe sich ein Bevölkerungswachstumsminus von 0,6 auf 1.000 Menschen, berichtete das Statistikamt. Die stetig abnehmende Zahl war vor zwei Jahren erstmals in den einstelligen Bereich gefallen. Nun stehen laut Statistikamt 9,56 Millionen Geburten 10,41 Millionen Sterbefällen gegenüber.

Menschen am Bahnhof in Peking
AP/Andy Wong
Noch leben 1,4 Milliarden Menschen in China, doch es werden weniger

Letzter Rückgang unter Mao Zedong

Der unabhängige Forscher Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin, der seit Langem die chinesische Bevölkerungsentwicklung kritisch verfolgt, hält auch die jetzigen Zahlen unverändert für geschönt. Nach seinen Berechnungen schrumpft die chinesische Bevölkerung sogar schon seit vier Jahren. Immerhin sieht er ein offizielles Eingeständnis, dass der Rückgang rund zehn Jahre früher eingetreten ist als bisher von der Regierung vorhergesagt. Anders als bei den Hungersnöten 1960 und 1961 sei der Trend jetzt allerdings „unumkehrbar“, meint Yi.

Chinas Bevölkerung schrumpft

China ist mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen zwar das bevölkerungsreichste Land der Welt, kämpft aber seit Jahren mit niedrigen Geburtenraten. Nun schrumpft die chinesische Bevölkerung erstmals seit der Ära von Mao Zedong in den 1960ern.

Zuletzt war die Bevölkerung nach diesen Angaben 1960 und 1961 geschrumpft. Damals litt China unter der schlimmsten Hungersnot seiner modernen Geschichte. Diese war durch das von Staatsgründer Mao Zedong ausgerufene Industrialisierungs- und Kollektivierungsprogramm, dem „Großen Sprung“ nach vorn, verursacht worden. 2021 war die Einwohnerzahl noch um 450.000 Menschen angewachsen.

Männer in der Überzahl

Männer sind mit insgesamt 722 Millionen Einzelpersonen den Angaben zufolge weiterhin deutlich in der Überzahl. Ihnen standen rund 689,7 Millionen Frauen gegenüber. Das ist eine Folge der seit 1979 verfolgten und inzwischen abgeschafften Einkindpolitik und einer traditionellen Präferenz für männlichen Nachwuchs, der den Familiennamen weitertragen soll.

Eine chinesische Krankenschwester in einem Krankenhausraum mit neugeborenen Babys
AP/Imaginechina/Pei qiang
2016 hob die Regierung in Peking die Einkindpolitik auf – ohne Erfolg

Die Aufhebung der umstrittenen Geburtenkontrolle führte 2016 nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der Geburten. Nur ein Kind zu haben ist in China heute die soziale Norm. Zwei Generationen haben es nie anders erlebt, sodass es tief in der Gesellschaft verankert ist.

Daneben sehen Expertinnen und Experten die hohen Kosten für Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung in China sowie die schwindende Bereitschaft zur Heirat als eigentliche Gründe für den starken Geburtenrückgang und die Überalterung der Bevölkerung. Die seit drei Jahren andauernde Coronavirus-Pandemie sorgte für weitere Unsicherheiten, die den Trend noch beschleunigt haben dürften. Knapp jeder fünfte junge Mensch zwischen 16 und 24 Jahren ist in Chinas Städten ohne Job.

Regierung will gegensteuern

Als Reaktion auf die rapide Überalterung will China die Geburtenrate ankurbeln. „Wir werden ein politisches System zur Steigerung der Geburtenraten einrichten“, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer Rede auf dem 20. Kongresses der Kommunistischen Partei im Herbst. Seit Jahren versucht die Regierung, die Bürgerinnen und Bürger zu mehr Kindern zu ermuntern.

Menschen auf Fahrrädern in Schanghai
Reuters/Aly Song
Immer weniger Werktätige müssen immer mehr Alte versorgen

2021 wurden schließlich drei Kinder erlaubt. Außerdem bemüht sich die Regierung seither, es jungen Paaren leichter zu machen, für Kinder zu sorgen. Die Kosten für Bildung wurden gesenkt. Finanzhilfen wurden gewährt, Mutterschafts- und Elternurlaub erleichtert, da viele Frauen befürchten, dass sich eine Mutterschaft negativ auf ihre berufliche Karriere auswirkt.

Arbeitskräftemangel erwartet

Durch die Überalterung müssen zunehmend weniger Werktätige in der zweitgrößten Volkswirtschaft immer mehr alte Leute versorgen. Jede fünfte Chinesin bzw. jeder fünfte Chinese ist heute schon älter als 60 Jahre. Zugleich geht die Bevölkerungsgruppe im statistisch betrachtet arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 59 Jahren weiter zurück. Unterstützten 2020 fünf Beschäftigte zwischen 20 und 64 Jahren einen älteren Menschen über 65 Jahre, werden es 2050 nur noch 1,5 Arbeitnehmer sein.

„Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind düsterer als erwartet“, so Yi. China werde eine Schrumpfung durchlaufen müssen. „Ohne soziales Netz, ohne die Sicherheit der Familie wird sich eine Pensionskrise zu einer humanitären Katastrophe entwickeln“, warnt Yi. Auf den Überschuss an Werktätigen, der Chinas Wirtschaftswunder als „Werkbank der Welt“ angekurbelt hatte, folgt jetzt Arbeitskräftemangel: „Chinas Produktionssektor wird unterbesetzt und überaltern – und so schnell abnehmen wie der Japans“, so Yi.

Wirtschaft verfehlt vorgegebenes Ziel

Am Dienstag meldete China außerdem ein schwaches Wachstum zum Jahresende. Nach offiziellen Angaben wuchs die Wirtschaft im vierten Quartal 2022 nur um 2,9 Prozent. Im Gesamtjahr 2022 legte die zweitgrößte Volkswirtschaft um drei Prozent zu. Damit wurde das von der Regierung vorgegebene Wachstumsziel von rund 5,5 Prozent verfehlt.

Die chinesische Wirtschaft wurde im abgelaufenen Jahr stark durch die strikte Null-Covid-Politik und die damit einhergehenden Lockdowns belastet. Im Dezember vollzog die Führung in Peking eine abrupte Kehrtwende und schaffte nach gut drei Jahren die meisten CoV-Maßnahmen ab. Doch seitdem breitet sich das Virus rasant im Land aus, was sich nun ebenfalls negativ auf die Wirtschaftstätigkeit auswirkt.