Lkws und Fähre in italienischen Hafen
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ARD und SRF

Flüchtlinge auf Fähren in Adria gefangen

Schwere Vorwürfe erhebt ein Rechercheteam um die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und SRF gegen Italien: Asylsuchende werden einem Bericht zufolge auf Fähren zwischen Italien und Griechenland offenbar systematisch in engen Metallschächten und anderen dunklen Räumen oder vergitterten Gestellen gefangen gehalten und illegal nach Griechenland abgeschoben. Italiens Polizei und das Fährunternehmen Attica Group weisen die Vorwürfe zurück.

Konkret geht es um Fähren, die von Bari an der Adria nach Griechenland, etwa Patras oder Igoumenitsa, fahren. Teilweise würden die Geflüchteten dabei sogar mit Handschellen festgekettet, berichtete das Rechercheteam, dem unter anderem das ARD-Politikmagazin „Monitor“, der Schweizer öffentlich-rechtliche Rundfunk SRF, al-Jazeera und die niederländische NGO Lighthouse Reports angehören.

Betroffen seien offenbar auch Minderjährige. Das verstoße sowohl gegen EU-Recht als auch gegen Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, so Dana Schmalz vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Das zuständige Fährunternehmen bestritt seinerseits alle Vorwürfe.

Auf drei Fähren, die im Sommer Tausende Touristinnen und Touristen von Italien nach Griechenland und umgekehrt bringen, wies das Rechercheteam solche inoffiziellen Gefängnisse nach. Die Geflüchteten seien dabei in einer der Garagen festgehalten worden. Dort dürfte sich aus Sicherheitsgründen während der Überfahrt gar niemand aufhalten. Aussagen und Handyfotos von Geflüchteten in den Schächten und vergitterten Gestellen wurden dort anhand von Spuren an den Wänden (etwa eingeritzten arabischen Schriftzeichen) und Interviews mit Fährmitarbeitern überprüft.

„Monitor“: Provisorische Gefängnisse

Es handle sich um Personen, die von Italien aus unter Zwang nach Griechenland zurückgebracht würden, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, Asyl zu beantragen, berichtete das Rechercheteam.
Im Rahmen der Recherchekooperation sei es erstmals gelungen, die Existenz der provisorischen Gefängnisse auf den Passagierschiffen nachzuweisen. Betroffene gaben in den Interviews an, sie seien teilweise ohne ausreichende Verpflegung oder Zugang zur Toilette auf dem Weg zurück nach Griechenland festgehalten worden. Für die Recherche sprachen die Journalistinnen und Journalisten unter anderen mit einem Dutzend illegal Abgeschobener, mit Mitarbeitern auf den Fähren, Grenzpolizistinnen und -polizisten sowie Fachleuten.

Italien wurde bereits 2014 verurteilt

Die Flüchtlinge wurden laut dem Rechercheteam von Italien illegal und unter Verstoß gegen Verfahrensregeln abgeschoben (Pushback), wobei die Behörden teils auch Gewalt anwendeten. Bereits 2014 wurde Italien vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) wegen der Pushbacks verurteilt. Anders als von Rom behauptet, wurden diese illegalen Abschiebungen nicht eingestellt oder wurden zumindest wieder aufgenommen, so das Rechercheteam.

Flüchtende versuchten zuerst, vom griechischen Hafen Patras als blinde Passagiere auf den täglichen Schiffsverbindungen nach Italien zu gelangen, was illegal und gefährlich ist. Viele versuchten laut SRF, unter einem Lastwagen versteckt auf eine Fähre zu gelangen. Dabei sei es schon schwierig, überhaupt auf das gut gesicherte Hafengelände zu kommen.

Italien zu Asylverfahren verpflichtet

Laut Interviews mit zurückgeschobenen Flüchtlingen erhalten diese, wenn sie beim Entladen der Fähre erwischt werden, keine Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Teilweise wurden ihnen laut eigenen Angaben Handys, Dokumente und Gewand weggenommen und sie mehrere Tage im Hafen eingesperrt. Minderjährige, die rechtlich unter besonderem Schutz stehen, würden wie Erwachsene behandelt und ebenfalls zurück nach Griechenland gebracht.

Die Migrationsexpertin Sarah Progin-Theuerkauf betonte gegenüber dem SRF, dass Italien laut geltender Rechtslage die Personen aufnehmen und etwa ein Asylverfahren durchführen müsste. Denn Griechenland gilt nach einem entsprechenden Urteil nicht mehr als sicherer Staat.

Polizei und Fährunternehmen weisen Vorwürfe zurück

Wie viele Abschiebungen auf diesem Weg erfolgen, ist unklar. Laut griechischen Behörden waren es im Vorjahr 74, im Jahr 2021 157. Der Polizeichef von Bari, Giovanni Signer, wies laut SRF alle Vorwürfe zurück. Jeder, der Asyl beantragen wolle, könne das tun. Auch das betroffene Fährunternehmen, Attica Group, wies die Vorwürfe zurück. Man lehne ein solches Vorgehen ab. Und in einer schriftlichen Stellungnahme versprach Attica Group, den Vorwürfen weiter nachgehen zu wollen.

Neuer Fronex-Chef will „Vertrauen wiederherstellen“

Zufällig am gleichen Tag, an dem die Recherchen und mutmaßlichen illegalen Praktiken bei der Abschiebung von Geflüchteten aus Italien bekanntwurden, wurde der neue Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Brüssel vorgestellt. Frontex steht unter Druck, weil mehrfach nachgewiesen wurde, dass Frontex an zahlreichen illegalen und teils gewaltsamen Praktiken wie „Pushbacks“ und an Menschenrechtsverletzungen beteiligt war. Der neue Chef, der Niederländer Hans Leijtens, nannte daher neben wirksamem Grenzschutz die Wiederherstellung des Vertrauens als Priorität.

„Der Grenzschutz und die Menschenrechte gehören zusammen“, sagte Leijtens. Er wolle dafür sorgen, dass die Frontex-Beamtinnen und -Beamten an keiner Aktion teilnähmen, die zum Zurückdrängen von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen führe, versicherte der 59-Jährige. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sagte bei dem gemeinsamen Auftritt mit Leijtens, Frontex müsse auch dazu beitragen, Leben zu retten, etwa im Mittelmeer.