Die zurückgetretende neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern
AP/Eric Risberg
Ardern tritt zurück

Politstar mit durchwachsener Bilanz

„Einfühlsam“, „freundlich“, „fähige Krisenmanagerin“: International wurde die mit nur 37 Jahren 2017 zur Premierministerin Neuseelands gewählte Jacinda Ardern als Symbol für Frauen in Führungspositionen und Politstar gesehen und gefeiert – auch für ihren Umgang mit der CoV-Pandemie. In Neuseeland hingegen wuchs die Ablehnung Arderns und ihrer Regierung. Am Donnerstag verkündete sie nach rund fünf Jahren im Amt überraschend ihren Rücktritt.

Noch 2020 führte sie ihre linke Labour Party zu einem fulminanten Sieg bei der Parlamentswahl. In der ersten Phase der Pandemie wurde sie zu einem internationalen Aushängeschild für progressive Führung. Im Land hat sich dieses Bild inzwischen verändert. Bei der für Oktober geplanten Wahl will sie nicht mehr antreten, ihr „Tank“ sei leer. Schon Anfang Februar soll eine andere Person aus ihrer Partei die Position des Premierministers übernehmen. Noch ist unklar, wer das sein könnte.

Ardern hatte während ihrer Amtszeit mehrere Krisen zu bewältigen, darunter das Attentat auf zwei Moscheen in Christchurch mit 51 Toten und die Pandemie. Nur wenige Tage danach hatte sie bereits ein Verbot halbautomatischer Waffen und andere Maßnahmen zur Waffenkontrolle erlassen und eine internationale Kampagne zur Beendigung von Hass im Internet gestartet.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern während einer Gedenfeier für die Opfer des Christchurch-Anschlags
APA/AFP/Marty Melville
Ardern reagierte nach dem Attentat auf Moscheen in Christchurch mit viel Mitgefühl und raschen Maßnahmen zur Waffenkontrolle

„Sei stark, sei freundlich“

„Sei stark, sei freundlich“, lautete ihr Slogan im Umgang mit der Pandemie. Das könnte auch als Motto für ihre Zeit als Politikerin gelten. Mit Mitgefühl reagierte sie auf den Anschlag in Christchurch 2019 und zeigte sich aus Solidarität mit Muslimen und Musliminnen mit Kopftuch. Auf ihre Stärken nahm sie auch in ihrer emotionalen Rücktrittsrede Bezug: „Ich hoffe, ich hinterlasse die Neuseeländer mit dem Glauben, dass man freundlich, aber stark, einfühlsam, aber entschlossen, optimistisch, aber fokussiert sein kann.“

Im Umgang mit der Pandemie setzte sie auf die Formel „hart durchgreifen, früh durchgreifen“. Das Land wurde schnell vollständig abgeriegelt – auch zulasten der Wirtschaft und Zehntausender Neuseeländer im Ausland, die aufgrund von Problemen mit Isoliereinrichtungen nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten. Die Bevölkerung im Land blieb auf diese Weise allerdings länger von den Auswirkungen der Pandemie verschont.

Impfpolitik als Wendepunkt

Ende 2021 musste Ardern dennoch von der Null-Covid-Politik abrücken – damit verbunden waren ein starker Anstieg an Covid-Toten, eine Überlastung des unterfinanzierten Gesundheitssystems und fehlende Arbeitskräfte in den Unternehmen, schrieb der australische „Sydney Morning Herald“ erst vor wenigen Wochen. Der Rückgang der Umfragewerte begann.

Die Regierung setzte auf strenge Impfvorschriften, was die Gesellschaft spaltete. Viele Neuseeländer seien von Arderns Bereitschaft überrascht gewesen, die Geimpften gegen die Ungeimpften auszuspielen, so der Epidemiologe Simon Thornley gegenüber der „New York Times“ („NYT“). Diese Schaffung einer Zweiklassengesellschaft und die Tatsache, dass die Vorhersagen so nicht eintrafen, sieht er als „Wendepunkt“ für Ardern.

Proteste gegen Arderns CoV-Politik

Der Unmut richtete sich mit Drohungen direkt gegen Ardern und ihre Regierung. Der Höhepunkt der Proteste wurde Anfang vergangenen Jahres erreicht, als drei Wochen auf dem Gelände des neuseeländischen Parlaments in Wellington demonstriert wurde, verbunden mit Beschimpfungen gegen Ardern und Ausschreitungen.

Protestierende Gegner der Covid-Maßnahmen campen vor dem neuseeländischen Parlament in Wellington
Reuters/Praveen Menon
Die Anti-Covid-Proteste mit Drohungen gegen Ardern Anfang vergangenen Jahres dauerten rund drei Wochen

Ende vergangenen Jahres kündigte sie eine Untersuchungskommission an, die sich mit der Frage befassen soll, ob die Regierung bei der Bekämpfung von Covid-19 die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Das Ergebnis wird aber erst nach der nächsten Parlamentswahl erwartet. Die Beliebtheit Arderns nahm jedenfalls im weiteren Verlauf der Pandemie großen Schaden, zudem blieben damit verbunden auch geplante innenpolitische Reformen auf der Strecke.

Obdachlosigkeit, Kriminalität, begrenzte Steuereinnahmen

Die Politikerin war angetreten, um die gestiegene Ungleichheit zwischen Arm und Reich zu bekämpfen. So manches Reformprojekt blieb hinter den Erwartungen zurück. Das Fünf-Millionen-Einwohner-Land kämpft mit einer Wohnungskrise und damit verbunden hohen Obdachlosigkeit und steigenden Lebenshaltungskosten. Der Bau Zehntausender günstiger Wohnungen hinkte dem vorgegebenen Ziel hinterher. Durch steigende Zinsen und hohe Lebenshaltungskosten wird es für viele Neuseeländer in den kommenden Monaten noch enger.

Obwohl Ardern Maßnahmen gegen die steigende Bandenkriminalität ergriff, kann die wieder geeinte konservative Opposition mit dem Ruf nach härteren Strafen genauso wie mit Kritik an „verschwenderischen ideologischen Projekten“, etwa neuen Gesetzen gegen Hassreden, punkten. Wenig populär ist auch eine Wasserreform, bei der die Verwaltung von Trink-, Abfall- und Regenwasser von den Gemeinden übernommen werden soll.

Konkrete Fortschritte gab es während ihrer Amtszeit im Kampf gegen Kinderarmut, bei der Beschäftigungsquote und bei der Erhöhung des Mindestlohns. Durch begrenzte Steuereinnahmen und -ausgaben sind die Möglichkeiten der Regierung für große Sozialprogramme aber eingeschränkt. Pläne für eine Kapitalertragsteuer ließ die Regierung Ardern schon in ihrer ersten Amtszeit fallen. Laut Bloomberg wurde befürchtet, dass es politisch zu riskant sei. Entgegen umfangreichen Zusagen gelang es Neuseeland zudem nicht, die Emissionen erkennbar zu reduzieren.

„Idee der Freundlichkeit“

„Wenn es um die Ausarbeitung und Umsetzung komplexer Gesetze oder anspruchsvoller Gesetzesreformen ging, waren die Fortschritte viel, viel langsamer“, analysierte der politische Kommentator und Mitglied der Vorgängerregierung Arderns, Ben Thomas, im Interview mit dem „Guardian“. „Die Idee der Freundlichkeit und des Einfühlungsvermögens kann an ihre Grenzen stoßen, weil es in der Politik so oft um Kompromisse geht.“ Thomas gestand Ardern aber eine „extrem hohe emotionale Intelligenz“ zu.