Großdemonstration gegen Pensionsreform in Lyon
APA/AFP/Olivier Chassignole
Frankreich

Pensionsreform treibt Massen auf die Straße

Aus Protest gegen eine geplante Anhebung des Pensionsalters sind am Donnerstag Hunderttausende Menschen in Frankreich auf die Straße gegangen. Landesweit versammelten sich Demonstrationszüge. In Paris kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Alle Gewerkschaften hatten zuvor zum Streik aufgerufen. Präsident Emmanuel Macron verteidigte die Pensionsreform und sagte: „Wir müssen das durchziehen.“

Zahlreiche Beschäftigte folgten dem Streik. Viele Volksschulen blieben geschlossen, der öffentliche Rundfunk sendete Musik anstatt des üblichen Morgenprogramms, und Beschäftigte des Energiekonzerns EDF fuhren die Stromproduktion leicht hinunter. Bahnverbindungen und der Pariser Nahverkehr waren stark gestört.

Demonstrationen in mehr als 200 Städten waren geplant. Menschenmassen begannen sich seit Mittag an zahlreichen Orten zu versammeln. So war die Place de la Republique, der Ausgangspunkt der Demonstrationszuges in Paris, am frühen Nachmittag voller Menschen. Ein ähnliches Bild bot sich in anderen Städten.

Proteste gegen Pensionsreform

In Frankreich haben branchenübergreifende Streiks und Proteste gegen die geplante Pensionsreform begonnen. In den Großstädten versammelten sich Demonstrationszüge. Das Pensionseintrittsalter soll schrittweise von 62 auf 64 Jahre angehoben werden.

„Wir wollen leben, nicht nur überleben“, sangen als Skelette geschminkte Demonstranten und Demonstrantinnen gegen die geplante Pensionsreform. Im Hintergrund wehten riesige Krähenfiguren – mit den Gesichtern von Macron und seiner Premierministerin Elisabeth Borne. „Was wir letztlich wollen, ist sozialer Fortschritt“, sagte die Forscherin und Gewerkschafterin Lou Chenier. „Die Rente sollte ein Moment der Ruhe und der Pause sein und nicht ein Sterbeheim.“

Polizei setzt Tränengas ein

Donnerstagabend wurde die Zahl der Demonstranten mit bis zu 1,1 Millionen angegeben. Ihnen standen rund 10.000 Polizisten und Gendarmen gegenüber, die die Kundgebungen überwachten. Allein in Paris waren 3.500 Sicherheitskräfte im Einsatz. Die Sorge vor Ausschreitungen sei groß, zitierte „Le Figaro“ einen Beamten. In Paris setzten Einsatzkräfte Tränengas gegen Protestierer ein, nachdem sie aus deren Reihen von Maskierten mit Gegenständen beworfen wurden.

Macron, der sich zu einem Staatsbesuch im spanischen Barcelona aufhielt, rief zu friedlichen Kundgebungen und Gewaltverzicht auf. Er vertraue den Organisatoren der Proteste, dass diese ohne Ausschreitungen und Gewalt stattfinden. „Es ist gut und legitim, dass alle Meinungen geäußert werden können“, sagte der Präsident, denn das sei „das eigentliche Prinzip der Demokratie“. Die Pensionsreform verteidigte er als gerecht und notwendig. „Wir müssen das durchziehen.“

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Großdemonstration gegen die Pensionsreform in Paris
AP/Lewis Joly
Menschenmassen auf der Place de la Republique in Paris
Großdemonstration gegen die Pensionsreform in Paris
AP/Lewis Joly
Viele zünden Fackeln an
Ausschreitungen bei Demonstration in Paris
AP/Lewis Joly
Maskierte werfen mit Gegenständen und Holzstücken
Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten
AP/Lewis Joly
Einsatzkräfte der Polizei gehen mit Tränengas gegen Demonstranten vor
Polizisten mit festgenommenem Demonstranten
Reuters/Benoit Tessier
Es gibt auch Festnahmen
Großdemonstration gegen die Pensionsreform in Paris
Reuters/Benoit Tessier
"Rentenreform“ steht auf einer großen Krähe neben einem Porträt der Premierministerin Elisabeth Borne
Großdemonstration gegen die Pensionsreform in Paris
IMAGO/Le Pictorium/Gredab
Auch in Marseille sind viele auf den Straßen
Streikbedingter LKW-Stau bei Calais
Reuters/Yves Herman
Landesweite Streiks legen große Teile des Verkehrs lahm wie hier bei der Fährüberfahrt in Calais
Leerer Bahnhof in Lile, Frankreich
AP/Michel Spingler
Alles still im Bahnhof Lille
Ausschreitungen bei Demonstration in Paris
AP/Lewis Joly
Auch Feuerwehrleute in Lille demonstrieren gegen die Pensionsreform

Seltene Allianz der Gewerkschaften

„Es wird ein starker Protesttag werden“, sagte CGT-Gewerkschaftsführer Philippe Martinez dem Sender Public Senat. „Wenn sich alle Gewerkschaften einig sind, was selten ist, dann zeigt es, wie groß das Problem ist“, fügte er hinzu. Zu dem Protest hatten die acht größten Gewerkschaften gemeinsam aufgerufen.

„Viele Leute, die sonst nicht auf die Straße gehen, sind dieses Mal dabei“, sagte Laurent Berger, Chef der als gemäßigt geltenden Gewerkschaft CFDT, dem Sender BFM. „So viel ist sicher: Es sind viele Leute, und die Gewerkschaften sind sehr entschlossen“, twitterte ein Reporter der Tageszeitung „Le Figaro“.

Borne hatte in der vergangenen Woche die großen Linien der Pensionsreform angekündigt. Macron hatte bereits 2019 versucht, das komplizierte französische Pensionssystem zu vereinfachen und durchzusetzen, dass Franzosen länger arbeiten. Das hatte zu der längsten Protestwelle seit der Studentenrevolte 1968 geführt. Das Reformprojekt wurde dann wegen der Coronavirus-Pandemie zunächst auf Eis gelegt.

Großdemonstration gegen Pensionsreform in Nantes
APA/AFP/Loic Venance
Gewerkschaft: „Viele Leute, die sonst nicht auf die Straße gehen, sind dieses Mal dabei“

Bis 64 statt bis 62 arbeiten

Die Regierung will durch die Reform die langfristige Finanzierung des Pensionssystems sichern. Derzeit weist die Pensionskasse ein Plus auf, aber die Regierung rechnet mit einem Defizit von 14 Milliarden Euro bis 2030. Das Pensionssystem kostet Frankreich laut OECD derzeit etwa 14 Prozent seiner Wirtschaftsleistung.

Menschleerer Gare du Nord in Paris
AP/Lewis Joly
Stillstehende Züge im leeren Pariser Bahnhof Gare du Nord

Daher soll das Pensionsantrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden. Ursprünglich hatte Macron 65 Jahre als Ziel genannt. Für Menschen, die sehr früh angefangen haben zu arbeiten, und solche in besonders anstrengenden Berufen soll es weiterhin Sonderregeln geben. Zugleich soll die Mindestpension auf 1.200 Euro erhöht werden.

Schüler und Schülerinnen blockieren Schuleingang in Paris
AP/Nicolas Garriga
Gymnasiasten blockieren ihre Schule

Die Regierung will außerdem dafür sorgen, dass mehr Senioren als bisher im Beruf bleiben. Ende 2021 waren lediglich 36 Prozent der 60- bis 64-Jährigen berufstätig. Der Gesetzesentwurf soll kommende Woche im Kabinett vorgestellt und anschließend in der Nationalversammlung debattiert werden. Einer Umfrage zufolge halten zwar auch vier von fünf Französinnen und Franzosen eine Reform für nötig, den aktuellen Plan lehnen aber mehr als 60 Prozent ab.