Eine mit Blütenpollen bedeckte Biene
Reuters/Heinz-Peter Bader
Pestizide

Urteil gegen Notfallzulassungen

Pestizide der Gattung Neonicotinoide sind in der EU im Freiland theoretisch seit Jahren verboten, wurden bzw. werden dank Notfallzulassungen allerdings weiter verwendet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied nun am Donnerstag: Die Mitgliedsstaaten müssen das Verbot beachten. Umweltschützer sehen einen Etappensieg.

Laut EuGH darf Saatgut für das Freiland nicht mit den Pflanzenschutzmitteln, die unter anderem als Beize gegen Schädlinge im Boden eingesetzt werden, behandelt werden. Die Insektizide sind schädlich für Bienen und Hummeln, weshalb ihr Einsatz in der EU stark eingeschränkt wurde.

Anlassfall für das Urteil in Luxemburg war ein Fall aus Belgien. Ein Gericht dort hatte den EuGH in der Frage, ob ein EU-Mitgliedsstaat Verkauf und Verwendung von mit Neonicotinoiden behandeltem Saatgut für das Freiland erlauben dürfe, wenn eine europäische Durchführungsverordnung das ausdrücklich verbiete, konsultiert. Der EuGH entschied: nein.

Entscheidung mit Folgen?

Umweltschützer bzw. Gegner des Einsatzes der Pestizide sehen die Entscheidung als Etappensieg, andere wiederum das Urteil nur auf den Fall in Belgien bezogen. Hans Muilerman, Chemikalienbeauftragter des europäischen Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN Europe) sieht mit dem Urteil jedenfalls nahezu „der Hälfte der von den EU-Ländern gewährten Notfallzulassungen für verbotene Pestizide einen Riegel vorgeschoben“.

Die Umweltschutzorganisation Global 2000 wertete die Entscheidung in Luxemburg als Erfolg. „Dieses Urteil stellt sicher, dass gefährliche Pestizide, die aufgrund inakzeptabler Auswirkungen auf Umwelt oder Gesundheit verboten wurden, nicht über das Schlupfloch einer Notfallzulassung weiter am Markt gehalten werden können“, hieß es in einer Aussendung.

Kritik an jährlichen Neuzulassungen

Auch der SPÖ-EU-Abgeordnete Günther Sidl begrüßte den Spruch des EuGH. Neonicotinoide seien „Chemiekeulen“, die die Biodiversität gefährdeten. „Mit der bisher viel zu lax gehandhabten Praxis, eigentlich bereits als gefährlich verbotene Substanzen jedes Jahr aufs Neue per Notfallzulassung wieder auf den Markt zu bringen, muss nach der juristischen Klarstellung durch den EuGH jetzt endgültig Schluss sein“, so Sidl in einer Aussendung.

Zuckerrübenernte
Reuters/Pascal Rossignol
Die Pflanzenschutzmittel kommen unter anderem im Zuckerrübenanbau zum Einsatz

Die österreichischen Behörden hätten seit dem Verbot von Neonicotinoiden „jedes Jahr eine Notfallzulassung erteilt. Mit fadenscheinigen Begründungen, die noch dazu teils wortgleich von einem Antrag in den nächsten kopiert wurden. Nur ein echter Notfall kann eine Zulassung von hochgiftigen, systemisch wirkenden Ackergiften rechtfertigen“, so die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener in eine Aussendung.

Landwirte sind anderer Meinung

Auch der niederösterreichische Bauernbund meldete sich zu der EuGH-Entscheidung zu Wort und nannte die Reaktion von Global 2000 „ein Wunschdenken“. Das EuGH-Urteil beziehe sich auf einen Antrag aus Belgien „und hat somit keine direkten Auswirkungen auf Österreich“, sagte dessen Direktor Paul Nemecek. „Ich bitte darum, die Entscheidung des EuGH genau zu lesen.“

Der Sachverhalt in Österreich sei mit dem in Belgien nicht vergleichbar. In Österreich herrschten strengere Vorschriften „sowie ein begleitendes wissenschaftliches Monitoring, welches bis dato auch die Unbedenklichkeit dieser Notfallzulassung in Österreich attestiert“.

EU-Kommission am Zug

Nach dem EuGH-Urteil ist zunächst die EU-Kommission gefragt, sich mit den konkreten Auswirkungen auf die Auslegung bzw. Anwendung der geltenden Verordnung zu den Pflanzenschutzmitteln zu befassen, hieß es in einer Stellungnahme der Zulassungsbehörde Bundesamt für Ernährungssicherheit (BAES) gegenüber der APA. Sobald eine Einschätzung der EU-Kommission dazu vorliegt, werden die rechtlichen Auswirkungen auf Zulassungsanträge gemäß Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 seitens des BAES analysiert.

Seit 2018 dürfen jedenfalls Neonicotinoide nur noch in geschlossenen Gewächshäusern verwendet werden. Mit den Insektiziden behandeltes Saatgut darf nicht im Freien ausgesät werden. Die Zulassung der Wirkstoffe aus der Familie der Neonicotinoide, um die es im konkreten Fall ging, war außerdem Ende Jänner beziehungsweise Ende April 2019 abgelaufen. Sie sind seitdem in der EU verboten.

Klage in Belgien als Anlass

Der Anlassfall für die EuGH-Entscheidung: Im Oktober und Dezember 2018 hatte Belgien vorübergehend den Verkauf für die Behandlung von Saatgut für Zuckerrüben und den Verkauf von solcherart behandeltem Saatgut für Karotten und verschiedene Salate erlaubt. EU-Staaten können Notfallzulassungen erteilen, wenn es konkrete Gefahren für die Pflanzkulturen gibt. Das passiert nicht nur in Belgien, sondern auch in Österreich, wo Neonicotinoide seit 2019 jährlich über derartige Zulassungen als Beizmittel für Saatgut für Zuckerrüben in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark zum Einsatz gekommen sind.

In Belgien gingen zwei Umweltschutzverbände und ein Imker Anfang 2019 gegen die Notfallzulassung vor Gericht. Sie argumentierten, dass die Pestizide bereits vor der Aussaat vorbeugend auf das Saatgut aufgetragen würden. Die Landwirte kauften dieses behandelte Saatgut also, ohne dass ein tatsächliches Auftreten von Schädlingen bestätigt sei.

Am Donnerstag entschied der EuGH außerdem über Einschränkungen beim Verkauf von bestimmten, grundsätzlich zugelassenen Schädlingsbekämpfungsmitteln in Frankreich. Dort sind unter anderem Rabatte verboten. Das sei EU-rechtlich möglich, urteilte der Gerichtshof in Luxemburg – wenn diese Einschränkungen dem Schutz von Gesundheit und Umwelt dienten sowie geeignet seien, diese Schutzziele zu erreichen und nicht weiter gingen als nötig.