Vertreter der NATO-Staaten in Ramstein
Reuters/Wolfgang Rattay
Waffen für Ukraine

Selenskyj mahnt zur Eile

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zum Auftakt des Treffens der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein in Deutschland mehr Eile bei den Waffenlieferungen eingemahnt. Der von Russland begonnene Krieg „erlaubt keinen Aufschub“, sagte Selenskyj per Videoschaltung am Freitag anlässlich des Treffens auf dem US-Luftstreitkräftestützpunkt in Rheinland-Pfalz. Zeit bleibe „eine russische Waffe“.

Die Zeit sei kritisch, so Selenskyj, dessen Angaben zufolge Russland gerade seine letzten Kräfte zusammenziehe. „Wir müssen schneller werden.“ Der russische Terror erlaube keine langen Diskussionen. „Der Kreml muss verlieren.“

Selenskyj dankte den versammelten Vertretern westlicher Staaten für die bisherige Unterstützung seines Landes. „Wir sehen die Ergebnisse auf dem Schlachtfeld in der Ukraine.“ Den Verteidigern der Freiheit gingen aber langsam die Waffen aus. In Ramstein müssten konkrete Entscheidungen über die Lieferung etwa von Flugzeugen sowie Raketen und Artillerie mit großer Reichweite getroffen werden, um den russischen Terror beenden zu können.

Selenskyj: „Zeit bleibt russische Waffe“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich via Videobotschaft an die Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein in Deutschland gewandt und mehr Eile bei den Waffenlieferungen eingemahnt. „Die Zeit bleibt eine russische Waffe. Wir müssen schneller werden. Die Zeit muss unsere gemeinsame Waffe werden“, so Selenskyj.

„Entscheidender Moment“

Zuvor mahnte auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die westlichen Alliierten, in ihrer Unterstützung für die Ukraine jetzt nicht nachzulassen. „Das ist nicht der Moment, sich zurückzulehnen“, sagte Austin zum Auftakt des Ramstein-Treffens. Es sei vielmehr an der Zeit, die Militärhilfen zu verstärken. Austin sprach von einem entscheidenden Moment für die Ukraine.

„Das ukrainische Volk sieht uns zu. Der Kreml sieht uns zu. Und die Geschichte sieht uns zu“, sagte Austin an die Teilnehmer des Treffens gewandt. Es gebe keinen Zweifel daran, dass „wir die Selbstverteidigungskräfte der Ukraine so lange unterstützen werden, wie es nötig sein wird“, fügte er hinzu.

In seiner Rede hob Austin die Unterstützungsleistungen vierer Verbündeter hervor. Er lobte die Zusage von Patriot-Luftabwehrsystemen und Marder-Schützenpanzern aus Deutschland, Spähpanzern aus Frankreich und Luftabwehrsystemen aus Kanada. Polen dankte er für die Lieferung gepanzerter Fahrzeuge, die Ausbildung ukrainischer Streitkräfte und die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet.

Fokus auf Kampfpanzer

Im Zentrum der am Vormittag angelaufenen Beratungen in Ramstein steht die Debatte über die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Zu der Konferenz auf der größten US-Luftstreitkräftebasis außerhalb der Vereinigten Staaten hat US-Verteidigungsminister Austin die Mitglieder der Ukraine-Kontaktgruppe eingeladen.

Zu ihr gehören neben den USA etwa auch Deutschland und Großbritannien. Insgesamt sind Vertreter von rund 50 Ländern an den Beratungen beteiligt. Österreich ist nach Angaben des Verteidigungsministeriums wie schon bei vorigen ähnlichen Treffen als Beobachter eingeladen.

Ukraine erwartet „echten Durchbruch“

Die Ukraine erhofft sich vom Treffen ihrer Unterstützerstaaten in Ramstein nach Angaben von Vizeaußenminister Andrij Melnyk Zusagen über große weitere Militärhilfe. „Die Ukrainer erwarten vom Ramstein-Gipfel einen echten Durchbruch bei der Lieferung modernster Waffensysteme“, sagt der frühere ukrainische Botschafter in Berlin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

„Die größte Bitte an die (deutsche) ‚Ampelregierung‘ für das Ramstein-Treffen wäre, dass Deutschland nicht nur seine merkwürdige Blockadehaltung bei den Leopard-Panzern beendet, sondern wahre Führung demonstriert und eine mächtige Panzerkoalition für die Ukraine bildet.“

USA erhöhen Milliardenhilfe

Mehrere Länder kündigten vor dem Treffen eine Aufstockung ihrer Hilfen an. Finnland sagte am Freitag etwa weitere Militärhilfe im Wert von 400 Millionen Euro zu, die schwere Artillerie und Munition umfasst. Bereits zuvor stellte die US-Regierung der Ukraine weitere Militärhilfen im Umfang von 2,5 Mrd. US-Dollar (2,3 Mrd. Euro) zur Verfügung.

Mit dem neuen Paket haben die USA der Ukraine nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums seit Beginn der Amtszeit von Präsident Joe Biden militärische Hilfe im Umfang von mehr als 27,4 Mrd. US-Dollar bereitgestellt oder zugesagt, mehr als 26,7 Mrd. US-Dollar davon seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar. Die USA gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion.

Weiter keine Abrams-Panzer aus USA

Es ist das bisher zweitgrößte Einzelpaket dieser Art. Es enthält nach Pentagon-Angaben unter anderem 59 Schützenpanzer vom Typ Bradley und erstmals 90 Radschützenpanzer des Typs Stryker – allerdings keine Abrams-Kampfpanzer.

Das US-Verteidigungsministerium hält die Lieferung von Abrams-Panzern nach eigenen Angaben derzeit für nicht sinnvoll. Der Abrams benötige anderen Treibstoff als etwa die Kampfpanzer Leopard 2 oder der Challenger 2 und sei aufwendig in der Instandhaltung, sagte Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh am Donnerstag. Über den Abrams war diskutiert worden, nachdem berichtet worden war, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz habe die Lieferung des US-Kampfpanzers zur Bedingung für eine mögliche Entsendung deutscher Kampfpanzer gemacht.

Polen erwägt Leopard-2-Lieferung

Deutschland macht unterdessen nach jüngsten Angaben von Verteidigungsminister Boris Pistorius die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine nicht von der gleichzeitigen Lieferung der amerikanischen Kampfpanzer an das Land abhängig. „Ein solches Junktim ist mir nicht bekannt“, sagte Pistorius am Donnerstagabend gegenüber dem Sender ARD. Ein solches Junktim habe es „zu keinem Zeitpunkt“ gegeben, sagte am Freitag auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin.

Grafik zu Kampfpanzern
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: globalfirepower.com

Ob es von Deutschland grünes Licht für Leopard-Lieferungen geben wird, ließ Pistorius am Nachmittag bei einem ersten Statement in Ramstein weiter offen. „Es gibt kein einheitliches Meinungsbild. Es gibt gute Gründe für die Lieferung und gute Gründe dagegen“, zitierte etwa das deutsche Nachrichtenmagazin „Focus“ Deutschlands neuen Verteidigungsminister.

Laut Pistorius kann man noch „nicht sagen, wie die Entscheidung ausfallen wird“. Sobald eine Entscheidung fällt, wolle er aber in der Lage sein, schnell zu handeln. Aus diesem Grund habe er „einen Auftrag zur Prüfung übergeben, was möglich wäre“.

Spanien: „Wir schließen keine Option aus“

Polen schließt unterdessen eine Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine auch ohne Zustimmung Deutschlands als Herstellerland nicht aus. Polen sei zu einer solchen nicht standardgemäßen Handlung bereit, sagt Vizeaußenminister Pawel Jablonski dem privaten Radiosender RMF FM. Auf die Frage, ob Polen gegen den Widerstand Deutschlands liefern würde, antwortet er: „Ich denke, wenn es starken Widerstand gibt, werden wir bereit sein, selbst solche nicht standardmäßigen Maßnahmen zu ergreifen (…), aber greifen wir den Tatsachen nicht vor.“

Nach Worten des spanischen Außenministers Jose Manuel Albares wird sein Land zusammen mit den westlichen Partnern alles Notwendige unternehmen, um Russlands Krieg gegen die Ukraine zu beenden. „Wir schließen keine Option aus, um der Ukraine den Frieden zu bringen“, sagte er in einem Interview mit dem spanischen Radiosender RAC1. Ob das auch die Bereitschaft seines Landes einschließe, Leopard-Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen, ließ Albares offen. Er wolle den spanischen Vertretern bei dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe nicht vorgreifen.

„Deutsche verstehen sehr gut, was auf dem Spiel steht“

In der Debatte über die Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine stellte sich die US-Regierung demonstrativ hinter Deutschland. Auf die Frage, warum sich Deutschland vor der Genehmigung von Kampfpanzern scheue, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Donnerstagabend (Ortszeit) im US-Fernsehen: „Die Deutschen verstehen sehr gut, was in der Ukraine auf dem Spiel steht.“

Deutschland sei einer der „größten Geldgeber“ und habe seine Unterstützung kontinuierlich ausgebaut. „Wir sind dankbar für das, was sie zur Verfügung gestellt haben, und wir sind dankbar dafür, dass sie darüber nachdenken, Kampfpanzer zu liefern – wir werden sehen, was sich daraus ergibt“, so Kirby. Deutschland treffe souveräne Entscheidungen, angepasst an die Belange des Landes.

„Beratungen werden weitergehen“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Ankündigung neuer Waffenlieferungen an die Ukraine begrüßt. Dass man der Ukraine nun Hunderte neue gepanzerte Fahrzeuge, Schützenpanzer und Kampfpanzer zur Verfügung stelle, werde für das Land einen gewaltigen Unterschied ausmachen, sagte Stoltenberg vor Journalisten.

Zur Frage, ob Deutschland der europäischen Einigkeit schade, weil es bisher keine Leopard-2-Panzer liefert, sagte Stoltenberg: „Die Beratungen werden weitergehen.“ Es sei seit Kriegsbeginn so, dass sich die Art der Unterstützung immer weiterentwickle.

Kreml: Kampfpanzer können Russland nicht stoppen

Westliche Panzerlieferungen würden in der Ukraine „nichts ändern“, sagte unterdessen Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau. „Es lohnt sich hier nicht, die Bedeutung dieser Lieferungen zu übertreiben hinsichtlich ihrer Fähigkeit, etwas zu ändern“, so Peskow nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax.

Der Kreml-Sprecher begründete das unter anderem mit Problemen beim Nachschub, der Munitionsversorgung und der Wartung der Panzer: „Das beschert der Ukraine zusätzliche Probleme, aber ändert nichts am Vorankommen der russischen Seite beim Erreichen ihrer Ziele“.