Burger mit Insekten
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Heimchen auf dem Herd

Insekten als Lebensmittel bleiben Streitfrage

Am Dienstag tritt eine EU-Regelung in Kraft, nach der Hausgrillen in Lebensmitteln verwendet werden dürfen. Zwei Tage später gilt Selbiges für die Larven des Getreideschimmelkäfers. Den kulinarischen Trend gibt es schon länger, Insektenmahlzeiten werden längst auch im Supermarkt verkauft. Für viele sind sie ein Schlüssel zur Nachhaltigkeit, anderen erschließt sich der Sinn weniger.

Hausgrillen, auch Heimchen genannt, und Getreideschimmelkäferlarven sind nicht die ersten in Europa zugelassenen Lebensmittelinsekten. Ähnliche Regeln gibt es bereits für den Buffalowurm, die Wanderheuschrecke und die Larven des Mehlkäfers (gelber Mehlwurm). Acht weitere Anträge warten derzeit auf die Zulassung der EU.

Lebensmittel, die in der EU vor Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, brauchen eine solche Zulassung als „Novel Food“. Nun gehört auch das Heimchen dazu, es kann als Ganzes, entweder gefroren oder getrocknet, sowie als Pulver verkauft werden. Das Pulver könnte jetzt theoretisch unter anderem in Brot, Keksen und Crackern, Backmischungen und Teigwaren, Saucen und Suppen, Fleisch- und Milchersatz, Kartoffelerzeugnissen oder Schokolade vorkommen. Das Vermarktungsrecht für teilweise entfettetes Pulver aus der Hausgrille hält derzeit die vietnamesische Firma Cricket One, die den Antrag in Brüssel stellte.

Strenge Kennzeichnungspflicht

Die Verarbeitung von Sechsbeinern in Lebensmitteln unterliegt strengen Regeln, vor allem müssen die Konsumentinnen und Konsumenten informiert werden. In der Zutatenliste muss der Artenname ebenso angeführt werden wie die Form, etwa ob Insekten in Pulverform beigemengt sind. Zudem sind Allergiehinweise verpflichtend.

Für viele sind Insekten ein wahres Superfood: Sie seien durch ihren hohen Gehalt an Fett, Eiweiß, Vitaminen und Ballaststoffen nahrhaft und gesund – das hat auch die Welternährungsorganisation (FAO) festgestellt. Außerdem ist die Produktion ressourcenschonend, Insekten verbrauchen wenig Wasser, die Herstellung verursacht kaum Emissionen. Zudem könnten die Insekten auch auf kleinstem Raum gezüchtet werden.

Frage der Nachhaltigkeit

„Insekten haben in der Frage der Nachhaltigkeit, des Klimawandels und der Zukunft der Ernährung eine zentrale Bedeutung“, sagt die Foodtrend-Forscherin Hanni Rützler. Sie ist die Autorin des jährlichen Food Reports und betreibt das Futurefoodstudio in Wien. In Europa nehme man Insekten erst seit Kurzem als Nahrungsquelle wahr, hierzulande gebe es eben keine Tradition dazu.

Doch seit rund 20 Jahren ergebe sich ein größerer Wandel in der Esskultur, gerade wenn man die Fleischdebatte betrachte. Die Fläche, die tierische Nahrungsmittel verbrauche, zeige die Grenzen des Ökosystems auf. Insekten eröffnen da neue Chancen, etwa gegen Hunger und Nahrungsmittelverschwendung. „Generell begrüße ich die Erweiterung des Spektrums“, so Rützler. „Wir müssen den Insekten aber auch eine Chance geben.“

Insekten und das Klima

Laut FAO emittiert die Insektenzucht deutlich weniger Treibhausgase als die meisten anderen tierischen Proteinquellen und benötigt wesentlich weniger Wasser als die Viehzucht. Darüber hinaus ist der Flächenbedarf für die Insektenzucht im Vergleich zur Tierproduktion deutlich geringer. Grillen benötigen zwölfmal weniger Futter als Rinder, um die gleiche Menge an Protein zu produzieren.

Ähnlich sehen das die Hersteller, „Es geht darum, den Fleischkonsum zu reduzieren, er ist in der jetzigen Größenordnung absurd ungesund für den Menschen und den Planeten“, sagt Christoph Thomann, Mitbegründer von ZIRP. Seine Firma ist der Platzhirsch auf dem sehr überschaubaren Markt in Österreich. Die Produkte reichen von Snack-Riegeln bis hin zu Burgerpattys, die auch im Supermarkt im Kühlregal angeboten werden. „Wir sollten viel mehr Pflanzen essen, wir empfehlen 90 Prozent. Die Insekten dienen als tierische Proteinquelle. Es sollte ein Sowohl-als-auch sein“, so Thomann zu ORF.at.

Selbst vegane Menschen würden inzwischen vermehrt zu Insektenlebensmitteln greifen, falls sie Mängel ausgleichen wollten. „Das hängt natürlich von individuellen Umständen ab“, sagt Thomann. Insekten hätten Nährwerte, die pflanzliche Produkte nicht in dem Umfang liefern könnten. ZIRP geht davon aus, dass Insekten „in der jetzigen Produktionsmethode kein Schmerz- bzw. Stressempfinden verspüren. Aus ethischer Sicht können Insekten deshalb bedenkenlos verzehrt werden“, steht auf der Homepage.

„Keine großen Vorteile“

Der Sinn von Insekten auf dem Teller will sich Jürgen König vom Department für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien dennoch nicht erschließen. „Der Zweck ist mir unklar. Es gibt günstigere und unproblematischere Eiweißquellen als Insekten, etwa Hülsenfrüchte. Der Sinn ist mir weder technologisch erkennbar noch ernährungsphysiologisch. Soweit ich sehe, haben Insekten als Lebensmittel keine großen Vorteile.“

Freilich sei es legitim, dass Firmen sie anbieten, dazu müsse man auch keine Rechtfertigung liefern. Auch seien die zugelassenen Produkte auf ihre Sicherheit geprüft. „Ich meine aber, dass auch Menschen, die aus ethischen Gründen vegetarisch oder vegan leben, keine Insekten essen würden“, so König zu ORF.at.

Heimchen auf Hand
Reuters/Francois Lenoir
In Asien schon lange gewohnt: Heimchen als Lebensmittel

Insektenversetzte Lebensmittel seien ein weiterer proteinhaltiger Fleischersatz, oft auch mit Hülsenfrüchten als Basis. Doch müssen auch die Insekten gezüchtet und „hochgefüttert“ werden. Das sei nicht mit der Ökobilanz der Fleischindustrie vergleichbar, doch auch hier würden übliche Tierfuttermittel verwendet. „Daher verstehe ich auch das Argument nicht, dass die Zucht besonders ressourcenschonend sein soll“, so König.

Dem widerspricht Thomann: Die Insekten würden eigens gezüchtet und „sie essen uns nichts weg“. Sie würden mit Überschüssen aus der landwirtschaftlichen Produktion ernährt, etwa weggeschmissenen Karotten oder Altbrot.

Nische oder großer Markt

Ob sich der wählerische österreichische Gaumen an Insekten auf dem Teller gewöhnt, ist eine andere Frage. Dass Insektenpulver schon bald breit in Lebensmittel gestreut wird, scheint ohnehin in weiter Ferne. Diverse Restaurants bieten aber etwa Snack-Heuschrecken oder Insektensalat an. „Es gibt eine Szene, die das gern ausprobiert“, meint König von der Uni Wien. „Aber sie ist sehr klein. Sie wächst zwar, aber auf niedrigem Niveau. Ich denke, das bleibt ein Nischenprodukt.“

Hersteller Thomann sieht das freilich anders: „Gerade seit der Pandemie wollen sich viele Leute nachhaltiger und bewusster ernähren.“ Mehr als 30 Prozent der Menschen, in Österreich und der EU, sind bereit, Insekten zu konsumieren. „Wir sehen da einen großen Markt aufkommen.“

„Niemand wird gezwungen“

Es werde wohl „keinen riesigen Wachstumsmarkt geben, aber eine stetige Entwicklung“, meint Foodtrend-Forscherin Rützler. „Solche Prozesse starten immer in einer Nische und im urbanen Raum, mit meist jüngeren Menschen, die Neuem gegenüber offener sind und für die Nachhaltigkeit ein Argument ist. So war es etwa auch bei den Plant-based-Produkten, die inzwischen etabliert sind.“ Wenn es dereinst ein CO2-Label gäbe oder sich bestimmte Steuern nach Nachhaltigkeitskriterien ausrichteten, würden auch die Unternehmen vermehrt einsteigen, so Rützler.

Bis dahin scheint es noch ein langer Weg. Vorerst versicherte die EU vorsorglich jeder Entrüstung: „Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen“, wie die Kommission auf Twitter schrieb. Jede und jeder könne selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder mit Insekten kaufe oder nicht.