Fahrzeuge auf der österreichischen Südautobahn
ORF.at/Christian Öser
„Sorgenkind Verkehr“

Weiter Rufe nach Tempolimits fürs Klima

Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) ortet in Hinblick auf die Emissionsbilanz des Umweltbundesamts großen Nachholbedarf auf Österreichs Straßen. Die Emissionen im Verkehr seien zwar leicht gesunken, nötig seien aber „deutlich größere Schritte“, so der VCÖ – und verweist einmal mehr auf den „geringen Aufwand und großen Nutzen“ von Tempolimits. Dass diese mehr bringen als gedacht, besagt nun auch eine deutsche Studie.

Im Verkehrsbereich sind die Emissionen laut dem jüngsten Bericht des Umweltbundesamtes gegenüber 2020 durch den höheren Kraftstoffabsatz um 4,2 Prozent bzw. 0,9 Millionen Tonnen gestiegen. Gleichzeitig sei, wie in der Nahzeitprognose (NowCast) von August 2022 prognostiziert, beim Verkehr eine deutliche positive Änderung gegenüber der Zeit vor der Pandemie erkennbar.

Denn laut Umweltbundesamt gingen die Emissionen 2021 gegenüber 2019 um zehn Prozent bzw. um 2,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zurück. Man sei beim „Sorgenkind Verkehr“ auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel, sagte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). „Der aktuelle Trend muss deutlich stärker weiter nach unten gehen.“

Einsparungspotenzial von 830.000 Tonnen jährlich

Auch wenn die Emissionen im Verkehr zuletzt zurückgegangen seien, würden sie immer noch über 50 Prozent höher als im Jahr 1990 liegen, kritisierte der VCÖ am Montag. Es brauche daher „deutlich größere Schritte“, so VCÖ-Expertin Lina Mosshammer. Die Treibhausgasemissionen müssten rasch reduziert werden, sonst komme es zu Kipppunkten, die nicht mehr umkehrbar seien, warnte der VCÖ Anfang des Monats.

Pro Kopf verursache Österreich mit 8,6 Tonnen pro Jahr fast doppelt so viele Treibhausgase wie im globalen Durchschnitt. Das derzeit ungenutzte Klimaschutzpotenzial im Verkehrsbereich müsse daher „endlich“ genutzt werden, Mobilitätsangebote müssten sowohl in Ballungsräumen als auch am Land – von ausgebauten Radwegen, mehr öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu Sammeltaxis – ausgebaut werden.

Großen Nutzen mit geringem Aufwand würden Geschwindigkeitsreduzierungen haben: Allein 830.000 Tonnen CO2 pro Jahr können laut Umweltbundesamt durch Tempo 80 statt 100 auf Freilandstraßen und Tempo 100 statt 130 auf Autobahnen vermieden werden. Die Maßnahme ist auch eine zentrale Forderung der Klimaaktivisten und -aktivistinnen der „Letzten Generation“.

Debatte durch Energiekrise neu entfacht

Die Forderungen sind nicht neu: Bereits im Juli des Vorjahres hatte die Energiekrise die Debatte über eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h auf Autobahnen und Schnellstraßen erneut entfacht. Dafür ausgesprochen hatte sich neben dem VCÖ auch der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ). Und auch Transitforum-Austria-Tirol-Chef Fritz Gurgiser hat sich zuletzt vehement für die bundesweite Beibehaltung der geltenden IG-Luft-Schutzmaßnahmen ausgesprochen.

An diesen dürfe nicht nur „nicht gerüttelt werden“, sondern es gelte, bundesweit „weitere Maßnahmen“, etwa das Tempolimit 40-80-100 (Gemeinde-, Freilandstraße, Autobahn) zu setzen. Der ÖAMTC verwies auf alternative Lösungsansätze – laut einer Umfrage des ÖAMTC würden niedrigere Tempolimits bei der Mehrheit der Bevölkerung keine Unterstützung finden.

Gewessler: Keine Mehrheit im Nationalrat

Noch im Sommer hatte Gewessler in der Debatte um eine solche Maßnahme auf Freiwilligkeit verwiesen – gegenüber der „Kleinen Zeitung“ bezeichnete sie Tempolimits jedoch kürzlich als „sinnvoll“. Die Maßnahme Tempo 100 werde gerade „sehr intensiv diskutiert“ und sei sinnvoll, „weil sie weniger Verkehrstote bringt, weil sie weniger Emissionen verursacht, weil sie Geld spart, weil sie sozial gerecht ist und man kaum Zeit verliert.“ Aber es gebe dafür im Nationalrat keine Mehrheit. ÖVP, SPÖ, FPÖ und NEOS seien dagegen. „Daher bleibt mir nur der Appell: Bitte leisten Sie diesen Beitrag und fahren Sie langsamer.“

Deutsches Umweltbundesamt für Tempolimits

In eine ähnliche Kerbe schlägt nun auch die Debatte um Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Denn eine solche Maßnahme brächte nach einer neuen Studie des deutschen Umweltbundesamts mehr CO2-Einsparung als bisher gedacht. Ein Tempolimit könne Treibhausgasemissionen in Höhe von 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen, teilte das deutsche Umweltbundesamt (UBA) am Montag mit. Das widerspricht der Argumentation von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), laut der ein Tempolimit kaum Emissionen einsparen würde.

Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem es kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen gibt. In den anderen EU-Staaten gilt in der Regel eine Höchstgeschwindigkeit von 120 oder 130 Kilometer pro Stunde. Wissing und die FDP lehnen eine solche Begrenzung weiterhin ab. Bisher war das Umweltbundesamt von einer Einsparung von 2,6 Millionen Tonnen CO2 durch ein Tempolimit ausgegangen. Die neuen Berechnungen basieren der Behörde zufolge auf Floating-Car-Daten für das gesamte Autobahnnetz in Deutschland und einem deutschlandweiten Verkehrsmodell.

Tempo-130-Schild auf einer deutschen Autobahn
IMAGO/Future Image/Christoph Hardt
Solche ausgeschilderten Tempolimits auf Autobahnen sind in Deutschland nicht die Regel

Emissionen um bis zu fünf Prozent senken

Ein zusätzliches Tempolimit von 80 Kilometern pro Stunde auf Außerortsstraßen würde der Studie zufolge das Einsparpotenzial auf acht Millionen Tonnen CO2-Äquivalente erhöhen, so das UBA. Durch die Kombination beider Tempolimits hätten 2018 die Treibhausgasemissionen der Pkws und Nutzfahrzeuge in Deutschland insgesamt um rund fünf Prozent gesenkt werden können.

Bei einer Umsetzung ab 2024 könnten Tempo 120 auf Bundesautobahnen und Tempo 80 auf Außerortsstraßen bis 2030 in Summe rund 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen, rechnete das UBA vor. Die Einsparungen lösten nicht die Klimaherausforderungen im Verkehr, „aber sie sind eben auch keine Kleinigkeit“, betonte UBA-Präsident Dirk Messner.

Pendant wären drei Millionen mehr E-Fahrzeuge

Um die gleiche Minderung wie für das Tempolimit zu erreichen, müssten drei Millionen mehr reine Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen mit der durchschnittlichen Fahrleistung unterwegs sein, erläuterte der UBA-Präsident. Wenn deren Kauf vom Umweltbonus gefördert worden wäre, hätte das mehr als 13 Milliarden Euro Kosten beim Staat verursacht.

Messner hob hervor, dass die bisher von der deutschen Regierung beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichten, um die verbindlichen Jahresziele für den Verkehr nach dem Klimaschutzgesetz einzuhalten. Die jährlichen Zielverfehlungen summieren sich im Verkehr bis 2030 auf 271 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.

Deutscher Verkehrsminister: Keine Aufgabe des Staates

Die Tempolimits „könnten diese Klimaschutzlücke zwischen dem derzeit erwarteten Emissionsverlauf und den verbindlichen Zielen um rund ein Sechstel schließen“, argumentierte der UBA-Präsident. Wissing hatte erst am Wochenende in der „Bild am Sonntag“ betont: „Das Tempo gehört in die Eigenverantwortung der Bürger, solange andere nicht gefährdet werden. Der Staat sollte sich hier zurückhalten.“

Die neuen UBA-Zahlen waren teilweise bereits in den vergangenen Tagen bekannt geworden. In Umfragen hat sich wiederholt eine Mehrheit der Befragten für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen.