Vor einem knappen Jahr war „Everything Everywhere All at Once“ nur in zehn Kopien in den US-amerikanischen Kinos gestartet – gegenüber vergleichsweise mehr als 4300 Kopien für die klassischen Blockbuster. Die Science-Fiction-Abenteuerkomödie von Dan Kwan und Daniel Scheinert rund um eine asiatische Heldin schaffte es dennoch, sich vom Geheimtipp zum Kritik- sowie zum Publikumsliebling zu entwickeln – und wurde bei der Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen Dienstagfrüh (Ortszeit) in Los Angeles gleich elfmal genannt, unter anderem als bester Film und für die beste Hauptdarstellerin.
Mit der 60-jährigen Michelle Yeoh ist erstmals eine asiatischstämmige Schauspielerin als beste weibliche Hauptrolle nominiert. Im Film spielt Yeoh eine chinesische Waschsalonbesitzerin, die neben dem chaotischen Alltag und familiären Problemen – die lesbische Tochter sorgt für Ärger, ihr Ehemann (Ke Huy Quan) will sich scheiden lassen – auch noch Ärger mit der Steuer hat (als strenge Steuerberaterin: Jamie Lee Curtis).
Und zugleich ruft das Martial-Arts-Multiversum: In dem schrägen Filmtrip um die Themen Identität und Familienzusammenhalt wird Yoeh plötzlich in ein Paralleluniversum entführt, wo sie sich zur heimlichen Martial-Arts-Expertin entwickelt.
Neun Nominierungen für „Im Westen nichts Neues“
Über gleich neun Oscar-Nominierungen, unter anderem für den besten Film und den Auslandsoscar, darf sich außerdem die deutsche Produktion „Im Westen nichts Neues“ freuen. Der Film mit dem Wiener Schauspieler Felix Kammerer in der Hauptrolle und nach der Buchvorlage von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929 zeigt das Grauen des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten und ist bereits seit letztem Jahr auf Netflix zu sehen.

Der österreichische Beitrag, Marie Kreutzers Sisi-Drama „Corsage“, schaffte es dagegen nicht auf die Liste der letzten fünf Werke im Rennen um den Auslandsoscar. Die meisten Beobachterinnen und Beobachter hatten nach Bekanntwerden des Skandals um Florian Teichtmeister mit dieser Entscheidung gerechnet. Teichtmeister spielt in „Corsage“ Kaiser Franz Joseph und muss sich Anfang Februar wegen des Besitzes von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vor Gericht verantworten.
Innsbruckerin Monika Willi mit „Tar“ nominiert
Mit der Nominierung der Schnittmeisterin Monika Willi für einen Oscar für das Editing des Films „Tar“ gibt es aus österreichischer Sicht eine Überraschung. „Ich bin sprachlos. Damit habe ich nicht gerechnet“, meldete sich Monika Willi gegenüber dem „Kurier“ anlässlich ihrer Oscar-Nominierung für den Schnitt von „Tar“ zu Wort. Willi arbeitete lange Jahre mit Michael Haneke zusammen. „Tar“ von Todd Field, der insgesamt siebenmal nominiert wurde, erzählt von einer fiktiven Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker.

Auf neun Nennungen brachte es „The Banshees of Inisherin“ von Martin McDonagh, ein schwarzhumoriger Trennungsfilm über zwei sture, Jahrzehnte miteinander verbundene Freunde auf einer abgelegenen irischen Insel. Dahinter landete Baz Luhrmanns Biopic „Elvis“ mit acht Gewinnchancen.
Steven Spielbergs autobiografisches Drama „The Fabelmans“, in dem der 76-jährige Filmemacher auf seine Kindheit und auf das Leben seiner Eltern zurückschaut, wurde siebenmal nominiert, unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Beste Regie“. „Top Gun: Maverick“ kam auf sechs Nominierungen. „Black Panther: Wakanda Forever“ landete fünfmal, James Camerons „Avatar 2“ viermal auf der Liste.

Debatte über „Corsage“ geht weiter
Dass die Diskussion über Kreutzers Sisi-Film weitergeht, scheint auch nach dem Ausscheiden von „Corsage“ aus dem Oscar-Rennen fix: Bereits in den letzten Wochen hatte die heimische Filmszene debattiert, ob Kreutzer bereits 2021 nach Bekanntwerden erster Gerüchte über Teichtmeister die Vorwürfe hätte ernster nehmen sollen.
Der Schauspieler, der in „Corsage“ Kaiser Franz Joseph verkörpert, muss sich im Februar wegen des Besitzes von Dateien sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vor Gericht verantworten. Teichtmeister zeigte sich geständig, zwischen 2008 und 2021 58.000 Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger aus dem Darknet heruntergeladen zu haben.

In Interviews unter anderem in „ORF III Live“ und in „kulturMontag“ hatte die sichtlich betroffen wirkende Regisseurin das Filmprojekt stets verteidigt und den feministischen Grundton von „Corsage“ betont. Ein selbst gewählter Rückzug des Films aus dem Oscar-Rennen wäre für sie nicht infrage gekommen: „Wir würden ihm (Teichtmeister, Anm.) eine ungeheure Macht geben, wenn wir sagen: ‚Man kann diesen Film nicht mehr sehen.‘ Dazu bin ich nicht bereit“, argumentierte Kreuzer in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
Geplantes Filmprojekt über Pädokriminalität
„In ‚Corsage‘ stecken jahrelange Arbeit und viel Liebe von vielen Menschen. Deshalb tut es ja auch so weh, dass der Film immer mit diesen grauenvollen Taten behaftet sein wird“, so Kreutzer. Ein zweiter, namentlich nicht genannter „Corsage“-Schauspieler ist inzwischen mit Vorwürfen sexueller Belästigung konfrontiert.
„Das ist mein größtes Unglück“, sie habe „den beiden Männern vertraut, das war vielleicht nicht richtig“. Seit September 2020 arbeitet Kreutzer an einem neuen Filmstoff, der sich mit einem ähnlichen Themenkreis wie der Fall Teichtmeister befasst. Ob dieses Projekt mit dem Arbeitstitel „Johnny Maccaroni“ nun zustande kommt, ist ungewiss.